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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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une gleichen Stammes mit ihren christlichen Nachbarn sind, dieselbe Sprache
mit ihnen reden und einen großen Theil ihrer Sitten und Ideen mit ihnen
gemein haben. Kommt es in letzter Beziehung doch nicht selten vor, daß böh¬
mische Muslime bei Krankheiten die Gebete und Amulete der Franziskaner in
Anspruch nehmen, daß sie Wahnsinnige an christliche Wallfahrtsorte schicken,
ja daß sie für Schwerkranke im benachbarten Kloster Messen lesen lassen.

Bei den einsichtsvollen Muslimen Bosnien's wird die Haltung ihrer vor¬
nehmen Geschlechter von großem Einfluß sein, und so wird man versuchen
müssen, diese zu gewinnen. Die Macht und der Reichthum dieser Adelsfamilien,
der Tschengitj, der Tnromanowitj, der Sokolowitj, der Kapetanowitj und
Anderer hat zwar in Folge der vielen Aufstände und der daran sich knüpfenden
Gütereinziehnngen stark gelitten, sie sind aber noch immer bedeutend, und der
Stammbaum mancher von ihnen ist älter als der von vielen Geschlechtern des
österreichischen hohen Adels. Auch wissen sie das und halten große Stücke
darauf. 1861 schrieb ein Mitglied des kroatischen Landtags: "Ich kenne
manchen reichen Beg des Landes, der seine Adels- und Besitztitel aus vor¬
türkischer Zeit heilig aufbewahrt hat, und wenn Du ihn darum fragst, Dir ver¬
stohlen schmunzelnd zuraunt: Wer weiß, wozu es noch einmal gut ist." Auch
diesen Punkt darf der neue Landesherr nicht außer Augen lassen. Eine ange¬
sehene Aristokratie mit historischen Erinnerungen ist ein wichtiger Faktor im
politischen Haushalte, und die Staatsweisheit gebietet, dieselbe nicht, weil sie
etwa ihre Stellung bisher gemißbraucht hat, zu nullifizireu, soudern sie für die
neue Ordnung der Dinge zu gewinnen und zu interessiren, indem sie ihr darin
eine ihren Begriffen von Standesehre entsprechende Stellung sichert. Nach der
Reokkupation von Venedig im Jahre 1814 wurden die dortigen Nobili unter
gewissen Voraussetzungen als Reichsadel anerkannt. Nicht unmöglich wäre,
daß Aehnliches den böhmischen Beg's und Aga's gewährt würde, und es ist
kaum zu besorgen, daß es bei ihnen auf Abneigung und Abkehr stoßen könnte.

Ungefähr das Gleiche wie von den muhammedanischen Südslaven gilt von
den wilderen und unbändigeren Albanesen, Arnauten oder Skipetaren, mit
deren nördlichen Abzweigungen Oesterreich im Gebiete von Novibazar in un¬
mittelbare Berührung kommen wird. Sie sind starre, harte, maßlos stolze und
jeder feineren Herzensregung entbehrende Menschen, kriegerisch und von Haß
und Verachtung gegen alles erfüllt, was nicht ihre Sprache spricht. Obwohl
großentheils Muslime, verabscheuen sie das ihnen aufgedrungene liederliche
und selbstsüchtige Regiment der Nationaltürken bis auf den Grund der Seele.
Nicht minder freilich auch die Christen, ihre Nachbarn, gegen die sie sich wieder¬
holt furchtbare Exzesse erlaubt haben. Dennoch sind sie nicht aufzugeben.
Ami Bouc, ein gründlicher Kenner des Arnautenlandes, sagt in einem Aufsatze,


une gleichen Stammes mit ihren christlichen Nachbarn sind, dieselbe Sprache
mit ihnen reden und einen großen Theil ihrer Sitten und Ideen mit ihnen
gemein haben. Kommt es in letzter Beziehung doch nicht selten vor, daß böh¬
mische Muslime bei Krankheiten die Gebete und Amulete der Franziskaner in
Anspruch nehmen, daß sie Wahnsinnige an christliche Wallfahrtsorte schicken,
ja daß sie für Schwerkranke im benachbarten Kloster Messen lesen lassen.

Bei den einsichtsvollen Muslimen Bosnien's wird die Haltung ihrer vor¬
nehmen Geschlechter von großem Einfluß sein, und so wird man versuchen
müssen, diese zu gewinnen. Die Macht und der Reichthum dieser Adelsfamilien,
der Tschengitj, der Tnromanowitj, der Sokolowitj, der Kapetanowitj und
Anderer hat zwar in Folge der vielen Aufstände und der daran sich knüpfenden
Gütereinziehnngen stark gelitten, sie sind aber noch immer bedeutend, und der
Stammbaum mancher von ihnen ist älter als der von vielen Geschlechtern des
österreichischen hohen Adels. Auch wissen sie das und halten große Stücke
darauf. 1861 schrieb ein Mitglied des kroatischen Landtags: „Ich kenne
manchen reichen Beg des Landes, der seine Adels- und Besitztitel aus vor¬
türkischer Zeit heilig aufbewahrt hat, und wenn Du ihn darum fragst, Dir ver¬
stohlen schmunzelnd zuraunt: Wer weiß, wozu es noch einmal gut ist." Auch
diesen Punkt darf der neue Landesherr nicht außer Augen lassen. Eine ange¬
sehene Aristokratie mit historischen Erinnerungen ist ein wichtiger Faktor im
politischen Haushalte, und die Staatsweisheit gebietet, dieselbe nicht, weil sie
etwa ihre Stellung bisher gemißbraucht hat, zu nullifizireu, soudern sie für die
neue Ordnung der Dinge zu gewinnen und zu interessiren, indem sie ihr darin
eine ihren Begriffen von Standesehre entsprechende Stellung sichert. Nach der
Reokkupation von Venedig im Jahre 1814 wurden die dortigen Nobili unter
gewissen Voraussetzungen als Reichsadel anerkannt. Nicht unmöglich wäre,
daß Aehnliches den böhmischen Beg's und Aga's gewährt würde, und es ist
kaum zu besorgen, daß es bei ihnen auf Abneigung und Abkehr stoßen könnte.

Ungefähr das Gleiche wie von den muhammedanischen Südslaven gilt von
den wilderen und unbändigeren Albanesen, Arnauten oder Skipetaren, mit
deren nördlichen Abzweigungen Oesterreich im Gebiete von Novibazar in un¬
mittelbare Berührung kommen wird. Sie sind starre, harte, maßlos stolze und
jeder feineren Herzensregung entbehrende Menschen, kriegerisch und von Haß
und Verachtung gegen alles erfüllt, was nicht ihre Sprache spricht. Obwohl
großentheils Muslime, verabscheuen sie das ihnen aufgedrungene liederliche
und selbstsüchtige Regiment der Nationaltürken bis auf den Grund der Seele.
Nicht minder freilich auch die Christen, ihre Nachbarn, gegen die sie sich wieder¬
holt furchtbare Exzesse erlaubt haben. Dennoch sind sie nicht aufzugeben.
Ami Bouc, ein gründlicher Kenner des Arnautenlandes, sagt in einem Aufsatze,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/69>, abgerufen am 02.10.2024.