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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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muhcuumedanische Bevölkerung Bosnien's an, sich den österreichischen Heeren
bei ihrem Einrücken gewaltsam entgegenzustellen. Die Vorstellung, daß die
Letzteren gekommen seien, den Islam und seine Bekenner zu vernichten, von
Hadschi Loja mit Fanatismus verbreitet, fand einen guten Boden in der
groben Unwissenheit der Muslime aller Klassen, und die Hoffnung auf Erfolg
jeues Widerstandes entsprang dem ungeheuerlichen Dünkel und der lächerlichen
Selbstüberschätzung derselben. Der Sultan ist ihnen der Herr, Stambul der
Mittelpunkt der Welt. "Es gibt kein Volk wie die Osmanli," sagte ein Had-
schija zu Wilkinson; "wenn die europäischen Mächte sich gegen die Türken zu
empören wagten und alle ihre Streitkräfte gegen sie sammelten, so würden sie
ihnen doch keinen Augenblick Stand halten können." Die Lektion, die diesem
Aberglauben im Winter von 1877 in Bulgarien und Armenien und im
Sommer 1878 in Bosnien ertheilt wurde, wird ihre Wirkung nicht verfehlt
haben, und der mit jenem maßlosen Selbstgefühl verbundenen Unwissenheit
wird allmählich abzuhelfen sein. Die zahlreichen russischen Muslime siud schou
lange nicht mehr so einfältig und so eingebildet als ehedem.

Für die erste Zeit aber muß man die böhmischen Muhammedaner in dieser
Hinsicht sich selbst überlassen. "Man lasse ihnen," so räth unsere Schrift sehr
richtig, "durchaus ihre Art. Man dringe ihnen nichts ans, keine unsrer An¬
stalten, keine unsrer Schulen. Man stelle derlei Institute in ihre Mitte hin,
sür die Katholiken, für die Orthodoxen, für die Juden, man lasse den Muslim
zuschauen, wie das geht und wirkt, mit der Zeit wird er es vielleicht nicht so
arg finden und sich das Zeug sür sein eigenes Blut wünschen. Die Haupt¬
sache ist zunächst, daß er sich überhaupt der neuen Ordnung der Dinge fügt,
wenn nicht aktiv, doch passiv, daß er von seinem fatalistischen Standpunkte
über sich ergehen läßt, was das Schicksal über ihn verhängt hat." Wenn er
den Herrn sieht, wird er sich beugen, wenn er ihn gerecht findet, wird er ihn
loben, und wenn er bemerkt, daß seine Einrichtungen ihm Vortheil verheißen,
wird er anfangen, sich ihrer zu bedienen.

Zu diesen allgemeinen Momenten treten in der Bosra und Herzegowina
noch besondere für Oesterreich vortheilhafte. Die Türkenherrschaft war bei den
mnhammedanisirteu Südslaven nie beliebt, der Osmanli wurde jederzeit als
ein Fremder angesehen. Der Gedanke, sich dieses Elements zu entledigen, ist
bei jeder nationalen Erhebung, von derjenigen Hussein's vou Gradatschatz, des
"böhmischen Drachen" (vgl. S. 74 bis 77) an bis auf die jüngsten Stand-
uud Brandreden Hadschi Loja's von Neuem hervorgetreten. Die Entfremdung
von Stambul wird also das Letzte sein, was der muhamiuedauische Bosnier
und Herzegowiner beseufzen wird.

Ein zweiter sehr günstiger Umstand ist der, daß die südslavischen Mus-


muhcuumedanische Bevölkerung Bosnien's an, sich den österreichischen Heeren
bei ihrem Einrücken gewaltsam entgegenzustellen. Die Vorstellung, daß die
Letzteren gekommen seien, den Islam und seine Bekenner zu vernichten, von
Hadschi Loja mit Fanatismus verbreitet, fand einen guten Boden in der
groben Unwissenheit der Muslime aller Klassen, und die Hoffnung auf Erfolg
jeues Widerstandes entsprang dem ungeheuerlichen Dünkel und der lächerlichen
Selbstüberschätzung derselben. Der Sultan ist ihnen der Herr, Stambul der
Mittelpunkt der Welt. „Es gibt kein Volk wie die Osmanli," sagte ein Had-
schija zu Wilkinson; „wenn die europäischen Mächte sich gegen die Türken zu
empören wagten und alle ihre Streitkräfte gegen sie sammelten, so würden sie
ihnen doch keinen Augenblick Stand halten können." Die Lektion, die diesem
Aberglauben im Winter von 1877 in Bulgarien und Armenien und im
Sommer 1878 in Bosnien ertheilt wurde, wird ihre Wirkung nicht verfehlt
haben, und der mit jenem maßlosen Selbstgefühl verbundenen Unwissenheit
wird allmählich abzuhelfen sein. Die zahlreichen russischen Muslime siud schou
lange nicht mehr so einfältig und so eingebildet als ehedem.

Für die erste Zeit aber muß man die böhmischen Muhammedaner in dieser
Hinsicht sich selbst überlassen. „Man lasse ihnen," so räth unsere Schrift sehr
richtig, „durchaus ihre Art. Man dringe ihnen nichts ans, keine unsrer An¬
stalten, keine unsrer Schulen. Man stelle derlei Institute in ihre Mitte hin,
sür die Katholiken, für die Orthodoxen, für die Juden, man lasse den Muslim
zuschauen, wie das geht und wirkt, mit der Zeit wird er es vielleicht nicht so
arg finden und sich das Zeug sür sein eigenes Blut wünschen. Die Haupt¬
sache ist zunächst, daß er sich überhaupt der neuen Ordnung der Dinge fügt,
wenn nicht aktiv, doch passiv, daß er von seinem fatalistischen Standpunkte
über sich ergehen läßt, was das Schicksal über ihn verhängt hat." Wenn er
den Herrn sieht, wird er sich beugen, wenn er ihn gerecht findet, wird er ihn
loben, und wenn er bemerkt, daß seine Einrichtungen ihm Vortheil verheißen,
wird er anfangen, sich ihrer zu bedienen.

Zu diesen allgemeinen Momenten treten in der Bosra und Herzegowina
noch besondere für Oesterreich vortheilhafte. Die Türkenherrschaft war bei den
mnhammedanisirteu Südslaven nie beliebt, der Osmanli wurde jederzeit als
ein Fremder angesehen. Der Gedanke, sich dieses Elements zu entledigen, ist
bei jeder nationalen Erhebung, von derjenigen Hussein's vou Gradatschatz, des
„böhmischen Drachen" (vgl. S. 74 bis 77) an bis auf die jüngsten Stand-
uud Brandreden Hadschi Loja's von Neuem hervorgetreten. Die Entfremdung
von Stambul wird also das Letzte sein, was der muhamiuedauische Bosnier
und Herzegowiner beseufzen wird.

Ein zweiter sehr günstiger Umstand ist der, daß die südslavischen Mus-


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[0068] muhcuumedanische Bevölkerung Bosnien's an, sich den österreichischen Heeren bei ihrem Einrücken gewaltsam entgegenzustellen. Die Vorstellung, daß die Letzteren gekommen seien, den Islam und seine Bekenner zu vernichten, von Hadschi Loja mit Fanatismus verbreitet, fand einen guten Boden in der groben Unwissenheit der Muslime aller Klassen, und die Hoffnung auf Erfolg jeues Widerstandes entsprang dem ungeheuerlichen Dünkel und der lächerlichen Selbstüberschätzung derselben. Der Sultan ist ihnen der Herr, Stambul der Mittelpunkt der Welt. „Es gibt kein Volk wie die Osmanli," sagte ein Had- schija zu Wilkinson; „wenn die europäischen Mächte sich gegen die Türken zu empören wagten und alle ihre Streitkräfte gegen sie sammelten, so würden sie ihnen doch keinen Augenblick Stand halten können." Die Lektion, die diesem Aberglauben im Winter von 1877 in Bulgarien und Armenien und im Sommer 1878 in Bosnien ertheilt wurde, wird ihre Wirkung nicht verfehlt haben, und der mit jenem maßlosen Selbstgefühl verbundenen Unwissenheit wird allmählich abzuhelfen sein. Die zahlreichen russischen Muslime siud schou lange nicht mehr so einfältig und so eingebildet als ehedem. Für die erste Zeit aber muß man die böhmischen Muhammedaner in dieser Hinsicht sich selbst überlassen. „Man lasse ihnen," so räth unsere Schrift sehr richtig, „durchaus ihre Art. Man dringe ihnen nichts ans, keine unsrer An¬ stalten, keine unsrer Schulen. Man stelle derlei Institute in ihre Mitte hin, sür die Katholiken, für die Orthodoxen, für die Juden, man lasse den Muslim zuschauen, wie das geht und wirkt, mit der Zeit wird er es vielleicht nicht so arg finden und sich das Zeug sür sein eigenes Blut wünschen. Die Haupt¬ sache ist zunächst, daß er sich überhaupt der neuen Ordnung der Dinge fügt, wenn nicht aktiv, doch passiv, daß er von seinem fatalistischen Standpunkte über sich ergehen läßt, was das Schicksal über ihn verhängt hat." Wenn er den Herrn sieht, wird er sich beugen, wenn er ihn gerecht findet, wird er ihn loben, und wenn er bemerkt, daß seine Einrichtungen ihm Vortheil verheißen, wird er anfangen, sich ihrer zu bedienen. Zu diesen allgemeinen Momenten treten in der Bosra und Herzegowina noch besondere für Oesterreich vortheilhafte. Die Türkenherrschaft war bei den mnhammedanisirteu Südslaven nie beliebt, der Osmanli wurde jederzeit als ein Fremder angesehen. Der Gedanke, sich dieses Elements zu entledigen, ist bei jeder nationalen Erhebung, von derjenigen Hussein's vou Gradatschatz, des „böhmischen Drachen" (vgl. S. 74 bis 77) an bis auf die jüngsten Stand- uud Brandreden Hadschi Loja's von Neuem hervorgetreten. Die Entfremdung von Stambul wird also das Letzte sein, was der muhamiuedauische Bosnier und Herzegowiner beseufzen wird. Ein zweiter sehr günstiger Umstand ist der, daß die südslavischen Mus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/68>, abgerufen am 02.10.2024.