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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Herrschaft von ihrer Seite die Regierung keinen Anstand nehmen wird, sie ihre
nationale Wehr wieder tragen zu lassen.

Die orientalische Rajah des Bosra- und Narentagebietes ist ferner unge¬
bildeter als die lateinische, aber das ist nicht ihre Schuld, sondern die ihrer
Seelenhirten und ihrer phanariotischen Kirchenfürsten. Die Popen konnten bis¬
her zum Theil nicht einmal lesen, die Mönche waren ebenso unwissend; denn
jene Bischöfe oder Vladikeu aus dem Phanar kümmerten sich nicht im Gering¬
sten um den Bildungsgrad derer, die sie über eine ihrer Kirchengemeinden setzten.
Die Pfründen wurden verkauft, und der Käufer wurde, namentlich wenn er
versprach, seinen Pfarrkindern jährlich eine tüchtige Summe für den Vladika
abzupressen, zum Popen geweiht, wenn er (vgl. S. 245) auch früher die
Schweine gehütet hatte, und sein ganzes theologisches Wissen darin bestand, daß
er das Evangelium beriefen kounte. In der jüngsten Zeit ist das hier und da
etwas besser geworden. In Serajewo und Mostar haben die orientalischen
Christen Normalschulen, in ersterer Stadt auch ein Gymnasium und Mädchen¬
schulen, Alles nach österreichischem Muster. Im größten Theile des Landes
aber besteht die alte Mißwirthschaft und Dunkelheit fort, und die höhere wie
die niedere Geistlichkeit ist so gehaßt und verachtet, daß man schon wiederholt
in Stambul gebeten hat, man möge die Hersendung von Phanarioten einstellen
und den Sprengeln und Gemeinden erlauben, sich Bischöfe und Pfarrer ihres
Glaubens und ihrer Nationalität aus Oesterreich kommen zu lassen. Das ist
der Punkt, auf den die neue Zivilverwaltung vorzüglich ihr Augenmerk zu
richten haben wird, und der Weg, auf dem hier Wandel zu schaffen wäre, ist
nach Heisere's Ansicht auch gegeben. Die heutigen Metropoliten von Karlowitz
sind, wie geschichtlich und kirchenrechtlich unanfechtbar darzuthun ist, die einzig
wahren Nachfolger des alten, ehemals den ganzen serbischen Stamm kirchlich
regierenden Patriarchats von Petsch oder Jpek, und diesem müssen die jetzt unter
dem Patriarchen im Phanar stehenden Bosnier von griechischem Ritus unter¬
geordnet werden. Von dort allein kann die Reform der Geistlichkeit und der
Schulen mit Hoffnung auf raschen Erfolg in Angriff genommen werden.")

Wie wird Oesterreich aber mit den sehr zahlreichen Muslimen türkischen
und serbischen Stammes, die Bosnien bewohnen, zu verfahren haben? Die
Antwort lautet: ähnlich wie mit den Angehörigen der griechischen oder ortho¬
doxen Kirche, ernst, streng, aber gerecht, so daß sie die Ueberzeugung gewinnen,
ihr Glaube, sowie ihre ganze Art und Lebensweise sei durch das neue Regi¬
ment nicht bedroht. Das Gegentheil von dieser Ueberzeugung trieb die



Nach den neuesten Nachrichten hätte die Regierung diesen Weg nicht betreten, sondern
die Unterordnung der böhmischen Orthodoxen unter das Patriarchat von Konstantinopel mit
letzterem neu vereinbart.

Herrschaft von ihrer Seite die Regierung keinen Anstand nehmen wird, sie ihre
nationale Wehr wieder tragen zu lassen.

Die orientalische Rajah des Bosra- und Narentagebietes ist ferner unge¬
bildeter als die lateinische, aber das ist nicht ihre Schuld, sondern die ihrer
Seelenhirten und ihrer phanariotischen Kirchenfürsten. Die Popen konnten bis¬
her zum Theil nicht einmal lesen, die Mönche waren ebenso unwissend; denn
jene Bischöfe oder Vladikeu aus dem Phanar kümmerten sich nicht im Gering¬
sten um den Bildungsgrad derer, die sie über eine ihrer Kirchengemeinden setzten.
Die Pfründen wurden verkauft, und der Käufer wurde, namentlich wenn er
versprach, seinen Pfarrkindern jährlich eine tüchtige Summe für den Vladika
abzupressen, zum Popen geweiht, wenn er (vgl. S. 245) auch früher die
Schweine gehütet hatte, und sein ganzes theologisches Wissen darin bestand, daß
er das Evangelium beriefen kounte. In der jüngsten Zeit ist das hier und da
etwas besser geworden. In Serajewo und Mostar haben die orientalischen
Christen Normalschulen, in ersterer Stadt auch ein Gymnasium und Mädchen¬
schulen, Alles nach österreichischem Muster. Im größten Theile des Landes
aber besteht die alte Mißwirthschaft und Dunkelheit fort, und die höhere wie
die niedere Geistlichkeit ist so gehaßt und verachtet, daß man schon wiederholt
in Stambul gebeten hat, man möge die Hersendung von Phanarioten einstellen
und den Sprengeln und Gemeinden erlauben, sich Bischöfe und Pfarrer ihres
Glaubens und ihrer Nationalität aus Oesterreich kommen zu lassen. Das ist
der Punkt, auf den die neue Zivilverwaltung vorzüglich ihr Augenmerk zu
richten haben wird, und der Weg, auf dem hier Wandel zu schaffen wäre, ist
nach Heisere's Ansicht auch gegeben. Die heutigen Metropoliten von Karlowitz
sind, wie geschichtlich und kirchenrechtlich unanfechtbar darzuthun ist, die einzig
wahren Nachfolger des alten, ehemals den ganzen serbischen Stamm kirchlich
regierenden Patriarchats von Petsch oder Jpek, und diesem müssen die jetzt unter
dem Patriarchen im Phanar stehenden Bosnier von griechischem Ritus unter¬
geordnet werden. Von dort allein kann die Reform der Geistlichkeit und der
Schulen mit Hoffnung auf raschen Erfolg in Angriff genommen werden.")

Wie wird Oesterreich aber mit den sehr zahlreichen Muslimen türkischen
und serbischen Stammes, die Bosnien bewohnen, zu verfahren haben? Die
Antwort lautet: ähnlich wie mit den Angehörigen der griechischen oder ortho¬
doxen Kirche, ernst, streng, aber gerecht, so daß sie die Ueberzeugung gewinnen,
ihr Glaube, sowie ihre ganze Art und Lebensweise sei durch das neue Regi¬
ment nicht bedroht. Das Gegentheil von dieser Ueberzeugung trieb die



Nach den neuesten Nachrichten hätte die Regierung diesen Weg nicht betreten, sondern
die Unterordnung der böhmischen Orthodoxen unter das Patriarchat von Konstantinopel mit
letzterem neu vereinbart.
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[0067] Herrschaft von ihrer Seite die Regierung keinen Anstand nehmen wird, sie ihre nationale Wehr wieder tragen zu lassen. Die orientalische Rajah des Bosra- und Narentagebietes ist ferner unge¬ bildeter als die lateinische, aber das ist nicht ihre Schuld, sondern die ihrer Seelenhirten und ihrer phanariotischen Kirchenfürsten. Die Popen konnten bis¬ her zum Theil nicht einmal lesen, die Mönche waren ebenso unwissend; denn jene Bischöfe oder Vladikeu aus dem Phanar kümmerten sich nicht im Gering¬ sten um den Bildungsgrad derer, die sie über eine ihrer Kirchengemeinden setzten. Die Pfründen wurden verkauft, und der Käufer wurde, namentlich wenn er versprach, seinen Pfarrkindern jährlich eine tüchtige Summe für den Vladika abzupressen, zum Popen geweiht, wenn er (vgl. S. 245) auch früher die Schweine gehütet hatte, und sein ganzes theologisches Wissen darin bestand, daß er das Evangelium beriefen kounte. In der jüngsten Zeit ist das hier und da etwas besser geworden. In Serajewo und Mostar haben die orientalischen Christen Normalschulen, in ersterer Stadt auch ein Gymnasium und Mädchen¬ schulen, Alles nach österreichischem Muster. Im größten Theile des Landes aber besteht die alte Mißwirthschaft und Dunkelheit fort, und die höhere wie die niedere Geistlichkeit ist so gehaßt und verachtet, daß man schon wiederholt in Stambul gebeten hat, man möge die Hersendung von Phanarioten einstellen und den Sprengeln und Gemeinden erlauben, sich Bischöfe und Pfarrer ihres Glaubens und ihrer Nationalität aus Oesterreich kommen zu lassen. Das ist der Punkt, auf den die neue Zivilverwaltung vorzüglich ihr Augenmerk zu richten haben wird, und der Weg, auf dem hier Wandel zu schaffen wäre, ist nach Heisere's Ansicht auch gegeben. Die heutigen Metropoliten von Karlowitz sind, wie geschichtlich und kirchenrechtlich unanfechtbar darzuthun ist, die einzig wahren Nachfolger des alten, ehemals den ganzen serbischen Stamm kirchlich regierenden Patriarchats von Petsch oder Jpek, und diesem müssen die jetzt unter dem Patriarchen im Phanar stehenden Bosnier von griechischem Ritus unter¬ geordnet werden. Von dort allein kann die Reform der Geistlichkeit und der Schulen mit Hoffnung auf raschen Erfolg in Angriff genommen werden.") Wie wird Oesterreich aber mit den sehr zahlreichen Muslimen türkischen und serbischen Stammes, die Bosnien bewohnen, zu verfahren haben? Die Antwort lautet: ähnlich wie mit den Angehörigen der griechischen oder ortho¬ doxen Kirche, ernst, streng, aber gerecht, so daß sie die Ueberzeugung gewinnen, ihr Glaube, sowie ihre ganze Art und Lebensweise sei durch das neue Regi¬ ment nicht bedroht. Das Gegentheil von dieser Ueberzeugung trieb die Nach den neuesten Nachrichten hätte die Regierung diesen Weg nicht betreten, sondern die Unterordnung der böhmischen Orthodoxen unter das Patriarchat von Konstantinopel mit letzterem neu vereinbart.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/67>, abgerufen am 06.02.2025.