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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Aber selbst die kolossalsten, massigsten Gestalten, welche dem Geiste des
Malerfürsten entsprossen, weisen durch einen wohlgebildeten und festbegründeten
Organismus ihre Existenzfähigkeit nach. Die gesteigerte Sinnlichkeit, die aus
ihnen spricht, hebt sie zwar in eine übermenschliche Sphäre; es sind aber immer¬
hin Individuen, die unter denselben Bedingungen existiren könnten wie wir.

Makart hat diese Rubens'sche Sinnlichkeit noch bedeutend potenzirt, die
Ueppigkeit seiner Formen übertrumpft. Aber es fehlte ihm die sichere Kenntniß
des Körpers, um diesen gewaltigen Leibern auch ein Knochengerüst zu geben,
welches die Fleischmassen zu tragen oder dieselben auch nur wahrscheinlich zu
machen im Stande ist. Das blendende Kolorit, ein berauschendes "Farben¬
konzert" -- diese Bezeichnung ist speziell für den Makart'schen Kolorismus er¬
funden worden -- sollte den Mangel an Durchbildung der Formen decken. Je
leichter sich anfangs die großen Massen durch solche glänzende Dekorationen
verblüffen ließen, je größer die Erfolge wurden, desto größer wurde auch die
Nachlässigkeit des Malers in der Behandlung des menschlichen Körpers. Die
gröbsten Zeichenfehler, eine bis zur Liederlichkeit getriebene Vernachlässigung
der Formen, der es auf ein paar Glieder mehr oder weniger nicht mehr ankam,
eine Verflachung der menschlichen Gesichtszüge bis zur Stupidität, ja bis zum
Idiotenthum -- das wurden schließlich, im Verein mit einer bis zur Idiosynkrasie
getriebenen Unwahrheit des Kolorits, die charakteristischen Eigenthümlichkeiten
der Makart'schen Kunstweise. Wir werden später sehen, daß der Maler in
jüngster Zeit rühmliche Versuche gemacht hat, diese Bahnen, auf welchen ihm
kein vernünftiger Mensch mehr folgen konnte, wieder zu verlassen und sich zu
erinnern, daß der menschliche Körper ein Tempel der Gottheit ist.

In seinen ersten Staffeleibildern, soweit sie nicht dekorativen Zwecken
dienen, herrscht ein romantisch-phantastischer Zug vor, der sich auch in der
Wahl der Stoffe kundgibt. Ein Ritter, der dem Spiele der Nixen zusieht, kam
1865 in die Schack'sche Galerie in München. Ein Heine'sches Gedicht lag dieser
Komposition zu Grunde. Ein zweites Bild, Lavoisier im Gefängniß, zeigte
ganz die Eigenheiten der Piloty-Schule. Der berühmte Naturforscher, der dem
Hasse der französischen Revolutionsmänner zum Opfer siel, war eine der be¬
liebtesten Figuren aus dem historischen Leitfaden der Münchener Schule. Nachdem
Makart dann noch eine Leda gemalt, begab er sich 1866 nach Italien. Er mag auf
dieser Reise wohl schon die ersten Studien nach den großen Venetianern gemacht
haben, mit denen er später zu wetteifern suchte, nach Tizian, Carpaccio, Cima
da Conegliano, vor allen nach Paolo Veronese,; aber das erste Bild, mit welchem
er nach seiner Rückkehr in die Öffentlichkeit trat, war eine Landschaft, "Römische
Ruinen", auf denen sich zuerst seine koloristische Spezialität offenbarte. In
Paris, wohin er das Bild in den "Salon" geschickt, hatte man noch kein Ver-


Aber selbst die kolossalsten, massigsten Gestalten, welche dem Geiste des
Malerfürsten entsprossen, weisen durch einen wohlgebildeten und festbegründeten
Organismus ihre Existenzfähigkeit nach. Die gesteigerte Sinnlichkeit, die aus
ihnen spricht, hebt sie zwar in eine übermenschliche Sphäre; es sind aber immer¬
hin Individuen, die unter denselben Bedingungen existiren könnten wie wir.

Makart hat diese Rubens'sche Sinnlichkeit noch bedeutend potenzirt, die
Ueppigkeit seiner Formen übertrumpft. Aber es fehlte ihm die sichere Kenntniß
des Körpers, um diesen gewaltigen Leibern auch ein Knochengerüst zu geben,
welches die Fleischmassen zu tragen oder dieselben auch nur wahrscheinlich zu
machen im Stande ist. Das blendende Kolorit, ein berauschendes „Farben¬
konzert" — diese Bezeichnung ist speziell für den Makart'schen Kolorismus er¬
funden worden — sollte den Mangel an Durchbildung der Formen decken. Je
leichter sich anfangs die großen Massen durch solche glänzende Dekorationen
verblüffen ließen, je größer die Erfolge wurden, desto größer wurde auch die
Nachlässigkeit des Malers in der Behandlung des menschlichen Körpers. Die
gröbsten Zeichenfehler, eine bis zur Liederlichkeit getriebene Vernachlässigung
der Formen, der es auf ein paar Glieder mehr oder weniger nicht mehr ankam,
eine Verflachung der menschlichen Gesichtszüge bis zur Stupidität, ja bis zum
Idiotenthum — das wurden schließlich, im Verein mit einer bis zur Idiosynkrasie
getriebenen Unwahrheit des Kolorits, die charakteristischen Eigenthümlichkeiten
der Makart'schen Kunstweise. Wir werden später sehen, daß der Maler in
jüngster Zeit rühmliche Versuche gemacht hat, diese Bahnen, auf welchen ihm
kein vernünftiger Mensch mehr folgen konnte, wieder zu verlassen und sich zu
erinnern, daß der menschliche Körper ein Tempel der Gottheit ist.

In seinen ersten Staffeleibildern, soweit sie nicht dekorativen Zwecken
dienen, herrscht ein romantisch-phantastischer Zug vor, der sich auch in der
Wahl der Stoffe kundgibt. Ein Ritter, der dem Spiele der Nixen zusieht, kam
1865 in die Schack'sche Galerie in München. Ein Heine'sches Gedicht lag dieser
Komposition zu Grunde. Ein zweites Bild, Lavoisier im Gefängniß, zeigte
ganz die Eigenheiten der Piloty-Schule. Der berühmte Naturforscher, der dem
Hasse der französischen Revolutionsmänner zum Opfer siel, war eine der be¬
liebtesten Figuren aus dem historischen Leitfaden der Münchener Schule. Nachdem
Makart dann noch eine Leda gemalt, begab er sich 1866 nach Italien. Er mag auf
dieser Reise wohl schon die ersten Studien nach den großen Venetianern gemacht
haben, mit denen er später zu wetteifern suchte, nach Tizian, Carpaccio, Cima
da Conegliano, vor allen nach Paolo Veronese,; aber das erste Bild, mit welchem
er nach seiner Rückkehr in die Öffentlichkeit trat, war eine Landschaft, „Römische
Ruinen", auf denen sich zuerst seine koloristische Spezialität offenbarte. In
Paris, wohin er das Bild in den „Salon" geschickt, hatte man noch kein Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/508>, abgerufen am 06.02.2025.