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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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ständniß für diesen neuen Zweig an Baume der europäischen Kunst, und es
mußte noch eine geraume Zeit vergehen, Makart mußte Noch mehrere Phasen
durchmachen, bis er Gnade vor den Augen der Pariser fand.

Sein nächstes Werk, "moderne Amoretten", d. h. eine Sammlung jener
fleischigen Kinder mit unförmlichen Gliedern, eingedrückten Nasen und hängende,:
Wangen, die nachmals auf den Abundantiabildern und anderen Cyclen eine so
unangenehme Rolle spiele" sollten, machte schon größeres Aufsehen, wenigstens
in München. Diese Kindergruppen waren auf Goldgrund gemalt und in drei
friesartige Theile geschieden. Ihr Zweck war ein rein dekorativer, und darauf
hin waren sie auch gemalt, derb und flüchtig, aber effektvoll und mit sinnlicher
Gluth. Aehnlich wie dieses Bild ist die kurz zuvor oder kurz darauf vollendete
"Elfenkönigin" in drei räumlich von einander getrennten Gruppen arrmigirt.
Das Bild, zu welchem ebenfalls ein Heine'sches Gedicht die Inspiration geliehen,
ging damals in den Besitz Wilhelm v. Kaulbach's über. Der Graf Raczynski
in Berlin hat sich später das mittelste dieser Bilder wiederholen lassen. Der¬
selbe Kunstfreund besitzt auch eine Farbenskizze von Makart's Hand, auf welcher
weiberraubende Kentauren dargestellt sein sollen. Was Graf Raczynski in
dem Verzeichnis^ seiner Gemäldesammlung über diese Skizze sagt, charakterisirt
nicht nur ihn, sondern auch die große Mehrzahl der Makart-Enthusiasten so vor¬
trefflich, daß ich einige Worte aus feinem Bekenntniß hier folgen lasse. "Makart
selber," sagt der Graf, "bezeichnet das Bild als eine Farbenskizze. Als solche
darf es (?) verworren und unverständlich sein. Das ist es auch sür mich; aber
der Farbenglanz und die Gesammtwirkung entzücken mich ... Auch ist es über¬
mäßig toll, nichtsdestoweniger das Werk eines Genies wie es deren wenige
gegeben hat... Bei den Centauren genirt mich am meisten die vergebliche Mühe,
welche ich mir gebe, um viele der Glieder und Köpfe an ihre rechtmäßigen Besitzer
zu vertheilen und zu errathen, ob sie wirklich das sind, wofür ich sie halte.
Man möchte beinahe das Entstehen des Gemäldes dem wüsten Traume nach
einer Orgie zuschreiben. Ueberhaupt muß ich gestehen, daß bei den mir be¬
kannten Werken Makart's der erste Eindruck für mich fesselnd und bezaubernd
ist, daß seine Bilder die Prüfung unwiderstehlich provociren, und daß, wenn
ich einmal soweit gekommen bin, die Abkühlung nicht ausbleibt... Ich ver¬
stehe das Bild nicht, bin aber nichtsdestoweniger davon entzückt."

Wir wollen diese letzen Worte keiner Kritik unterziehen, obwohl sie bedenk¬
lich an jenes berühmte Diktum eines Parlamentariers erinnern: "Ich kenne die
Gründe der Regierung nicht, aber ich mißbillige sie." Gleichwohl charakterisiren
sie vortrefflich den naiven Standpunkt, welchen der größte Theil des deutschen
Publikums der folgende:: Schöpfung Makart's gegenüber eingenommen hat.

"Die sieben Todsünden" oder "Die Pest in Florenz", welche den Namen


ständniß für diesen neuen Zweig an Baume der europäischen Kunst, und es
mußte noch eine geraume Zeit vergehen, Makart mußte Noch mehrere Phasen
durchmachen, bis er Gnade vor den Augen der Pariser fand.

Sein nächstes Werk, „moderne Amoretten", d. h. eine Sammlung jener
fleischigen Kinder mit unförmlichen Gliedern, eingedrückten Nasen und hängende,:
Wangen, die nachmals auf den Abundantiabildern und anderen Cyclen eine so
unangenehme Rolle spiele» sollten, machte schon größeres Aufsehen, wenigstens
in München. Diese Kindergruppen waren auf Goldgrund gemalt und in drei
friesartige Theile geschieden. Ihr Zweck war ein rein dekorativer, und darauf
hin waren sie auch gemalt, derb und flüchtig, aber effektvoll und mit sinnlicher
Gluth. Aehnlich wie dieses Bild ist die kurz zuvor oder kurz darauf vollendete
„Elfenkönigin" in drei räumlich von einander getrennten Gruppen arrmigirt.
Das Bild, zu welchem ebenfalls ein Heine'sches Gedicht die Inspiration geliehen,
ging damals in den Besitz Wilhelm v. Kaulbach's über. Der Graf Raczynski
in Berlin hat sich später das mittelste dieser Bilder wiederholen lassen. Der¬
selbe Kunstfreund besitzt auch eine Farbenskizze von Makart's Hand, auf welcher
weiberraubende Kentauren dargestellt sein sollen. Was Graf Raczynski in
dem Verzeichnis^ seiner Gemäldesammlung über diese Skizze sagt, charakterisirt
nicht nur ihn, sondern auch die große Mehrzahl der Makart-Enthusiasten so vor¬
trefflich, daß ich einige Worte aus feinem Bekenntniß hier folgen lasse. „Makart
selber," sagt der Graf, „bezeichnet das Bild als eine Farbenskizze. Als solche
darf es (?) verworren und unverständlich sein. Das ist es auch sür mich; aber
der Farbenglanz und die Gesammtwirkung entzücken mich ... Auch ist es über¬
mäßig toll, nichtsdestoweniger das Werk eines Genies wie es deren wenige
gegeben hat... Bei den Centauren genirt mich am meisten die vergebliche Mühe,
welche ich mir gebe, um viele der Glieder und Köpfe an ihre rechtmäßigen Besitzer
zu vertheilen und zu errathen, ob sie wirklich das sind, wofür ich sie halte.
Man möchte beinahe das Entstehen des Gemäldes dem wüsten Traume nach
einer Orgie zuschreiben. Ueberhaupt muß ich gestehen, daß bei den mir be¬
kannten Werken Makart's der erste Eindruck für mich fesselnd und bezaubernd
ist, daß seine Bilder die Prüfung unwiderstehlich provociren, und daß, wenn
ich einmal soweit gekommen bin, die Abkühlung nicht ausbleibt... Ich ver¬
stehe das Bild nicht, bin aber nichtsdestoweniger davon entzückt."

Wir wollen diese letzen Worte keiner Kritik unterziehen, obwohl sie bedenk¬
lich an jenes berühmte Diktum eines Parlamentariers erinnern: „Ich kenne die
Gründe der Regierung nicht, aber ich mißbillige sie." Gleichwohl charakterisiren
sie vortrefflich den naiven Standpunkt, welchen der größte Theil des deutschen
Publikums der folgende:: Schöpfung Makart's gegenüber eingenommen hat.

„Die sieben Todsünden" oder „Die Pest in Florenz", welche den Namen


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[0509] ständniß für diesen neuen Zweig an Baume der europäischen Kunst, und es mußte noch eine geraume Zeit vergehen, Makart mußte Noch mehrere Phasen durchmachen, bis er Gnade vor den Augen der Pariser fand. Sein nächstes Werk, „moderne Amoretten", d. h. eine Sammlung jener fleischigen Kinder mit unförmlichen Gliedern, eingedrückten Nasen und hängende,: Wangen, die nachmals auf den Abundantiabildern und anderen Cyclen eine so unangenehme Rolle spiele» sollten, machte schon größeres Aufsehen, wenigstens in München. Diese Kindergruppen waren auf Goldgrund gemalt und in drei friesartige Theile geschieden. Ihr Zweck war ein rein dekorativer, und darauf hin waren sie auch gemalt, derb und flüchtig, aber effektvoll und mit sinnlicher Gluth. Aehnlich wie dieses Bild ist die kurz zuvor oder kurz darauf vollendete „Elfenkönigin" in drei räumlich von einander getrennten Gruppen arrmigirt. Das Bild, zu welchem ebenfalls ein Heine'sches Gedicht die Inspiration geliehen, ging damals in den Besitz Wilhelm v. Kaulbach's über. Der Graf Raczynski in Berlin hat sich später das mittelste dieser Bilder wiederholen lassen. Der¬ selbe Kunstfreund besitzt auch eine Farbenskizze von Makart's Hand, auf welcher weiberraubende Kentauren dargestellt sein sollen. Was Graf Raczynski in dem Verzeichnis^ seiner Gemäldesammlung über diese Skizze sagt, charakterisirt nicht nur ihn, sondern auch die große Mehrzahl der Makart-Enthusiasten so vor¬ trefflich, daß ich einige Worte aus feinem Bekenntniß hier folgen lasse. „Makart selber," sagt der Graf, „bezeichnet das Bild als eine Farbenskizze. Als solche darf es (?) verworren und unverständlich sein. Das ist es auch sür mich; aber der Farbenglanz und die Gesammtwirkung entzücken mich ... Auch ist es über¬ mäßig toll, nichtsdestoweniger das Werk eines Genies wie es deren wenige gegeben hat... Bei den Centauren genirt mich am meisten die vergebliche Mühe, welche ich mir gebe, um viele der Glieder und Köpfe an ihre rechtmäßigen Besitzer zu vertheilen und zu errathen, ob sie wirklich das sind, wofür ich sie halte. Man möchte beinahe das Entstehen des Gemäldes dem wüsten Traume nach einer Orgie zuschreiben. Ueberhaupt muß ich gestehen, daß bei den mir be¬ kannten Werken Makart's der erste Eindruck für mich fesselnd und bezaubernd ist, daß seine Bilder die Prüfung unwiderstehlich provociren, und daß, wenn ich einmal soweit gekommen bin, die Abkühlung nicht ausbleibt... Ich ver¬ stehe das Bild nicht, bin aber nichtsdestoweniger davon entzückt." Wir wollen diese letzen Worte keiner Kritik unterziehen, obwohl sie bedenk¬ lich an jenes berühmte Diktum eines Parlamentariers erinnern: „Ich kenne die Gründe der Regierung nicht, aber ich mißbillige sie." Gleichwohl charakterisiren sie vortrefflich den naiven Standpunkt, welchen der größte Theil des deutschen Publikums der folgende:: Schöpfung Makart's gegenüber eingenommen hat. „Die sieben Todsünden" oder „Die Pest in Florenz", welche den Namen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/509>, abgerufen am 06.02.2025.