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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Die Aealschul'e in Italien.*)

Als das italienische Handelsministerium, das von Crispi während seiner
kurzen Regierung aufgehoben worden war, wieder in's Leben gerufen wurde,
ließ man dem Unterrichtsministerium die Leitung der sogenannten technischen
Institute. Das Unterrichtsministerium, dem beiläufig gesagt die Abtheilung
für den Kultus nicht unterstellt ist, da diese in Italien vom Großsiegelbe¬
wahrer abhängt, hat somit jetzt fast den ganzen öffentlichen Unterricht unter
sich. Von denjenigen Fachanstalten abgesehen, welche, wie wohl in allen Ländern,
dem Kriegs- und dem Marineministerium unterstehen, abgesehen ferner von
den Priesterseminarien als den Vorbereitungsanstalten für künftige Theologen,
auf welche die italienische Regierung sich nicht die mindeste Einwirkung vor¬
behalten hat, sind dem Wirkungskreise des Ministeriums für den öffentlichen
Unterricht noch immer entzogen und dem Ministerium für Ackerbau, Handel
und Industrie verblieben die Handwerkerschulen (souols ä'arti o russtisri) und,
außer dem Gewerbemuseum in Turin, die höhere Handelsschule in Venedig
und die höhere nautische Schule in Genua: die Zöglinge der beiden zuletzt ge¬
nannten Institute kommen von Schulen her, die unter dem Unterrichtsmini¬
sterium stehen, und es hat nicht geringe Verwunderung erregt, daß das Prinzip
der einheitlichen Oberleitung der Schulen ohne zwingenden Grund hier durch¬
löchert worden ist. Man glaubt, daß der politische Einfluß der beiden betref¬
fenden Schulvorstände, von denen der eine Abgeordnete, der andere Senator
ist, die Ausnahmsmaßregel mit veranlaßt hat.

Wir wollen uns für heute nur mit jenen Mittelschulen beschäftigen, welche
auf dem Gebiete des nicht-klassischen Unterrichtes dem Gymnasium oder, wie
man in Italien sagt, dem Lyceum entsprechen. Unter Benutzung eines um¬
fassenden Berichtes, welcher am 30. September vorigen Jahres von Herrn
O. Casaglia, dem Abtheilungsvorstand für den technischen Unterricht, an den
Unterrichtsminister De Sanetis gerichtet worden ist, wollen wir versuchen, die
thatsächlichen Zustände der italienischen Realschule (erster Ordnung) zu schildern,
wobei wir sogleich bemerken, daß die italienische Anstalt als Ganzes genommen
nicht mit den gleichnamigen Schulen anderer Länder verglichen werden darf.
Diese Ablehnung der Vergleichbarkeit bedeutet keineswegs einen Verzicht auf
Kritik, die schon durch die häufigen Aenderungen, über welche sich der Bericht



Bei dem lebhaften Interesse, welches kürzlich die Frage wegen Neugestaltung des
technischen Unterrichtswesens in Preußen hervorgerufen hat, dürfte der vorliegende Aufsatz,
der in eine Partie des analogen italienischen Unterrichtswesens Einblicke gewährt manchem
,
D. Red. unserer Leser willkommen sein-
Die Aealschul'e in Italien.*)

Als das italienische Handelsministerium, das von Crispi während seiner
kurzen Regierung aufgehoben worden war, wieder in's Leben gerufen wurde,
ließ man dem Unterrichtsministerium die Leitung der sogenannten technischen
Institute. Das Unterrichtsministerium, dem beiläufig gesagt die Abtheilung
für den Kultus nicht unterstellt ist, da diese in Italien vom Großsiegelbe¬
wahrer abhängt, hat somit jetzt fast den ganzen öffentlichen Unterricht unter
sich. Von denjenigen Fachanstalten abgesehen, welche, wie wohl in allen Ländern,
dem Kriegs- und dem Marineministerium unterstehen, abgesehen ferner von
den Priesterseminarien als den Vorbereitungsanstalten für künftige Theologen,
auf welche die italienische Regierung sich nicht die mindeste Einwirkung vor¬
behalten hat, sind dem Wirkungskreise des Ministeriums für den öffentlichen
Unterricht noch immer entzogen und dem Ministerium für Ackerbau, Handel
und Industrie verblieben die Handwerkerschulen (souols ä'arti o russtisri) und,
außer dem Gewerbemuseum in Turin, die höhere Handelsschule in Venedig
und die höhere nautische Schule in Genua: die Zöglinge der beiden zuletzt ge¬
nannten Institute kommen von Schulen her, die unter dem Unterrichtsmini¬
sterium stehen, und es hat nicht geringe Verwunderung erregt, daß das Prinzip
der einheitlichen Oberleitung der Schulen ohne zwingenden Grund hier durch¬
löchert worden ist. Man glaubt, daß der politische Einfluß der beiden betref¬
fenden Schulvorstände, von denen der eine Abgeordnete, der andere Senator
ist, die Ausnahmsmaßregel mit veranlaßt hat.

Wir wollen uns für heute nur mit jenen Mittelschulen beschäftigen, welche
auf dem Gebiete des nicht-klassischen Unterrichtes dem Gymnasium oder, wie
man in Italien sagt, dem Lyceum entsprechen. Unter Benutzung eines um¬
fassenden Berichtes, welcher am 30. September vorigen Jahres von Herrn
O. Casaglia, dem Abtheilungsvorstand für den technischen Unterricht, an den
Unterrichtsminister De Sanetis gerichtet worden ist, wollen wir versuchen, die
thatsächlichen Zustände der italienischen Realschule (erster Ordnung) zu schildern,
wobei wir sogleich bemerken, daß die italienische Anstalt als Ganzes genommen
nicht mit den gleichnamigen Schulen anderer Länder verglichen werden darf.
Diese Ablehnung der Vergleichbarkeit bedeutet keineswegs einen Verzicht auf
Kritik, die schon durch die häufigen Aenderungen, über welche sich der Bericht



Bei dem lebhaften Interesse, welches kürzlich die Frage wegen Neugestaltung des
technischen Unterrichtswesens in Preußen hervorgerufen hat, dürfte der vorliegende Aufsatz,
der in eine Partie des analogen italienischen Unterrichtswesens Einblicke gewährt manchem
,
D. Red. unserer Leser willkommen sein-
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[0431] Die Aealschul'e in Italien.*) Als das italienische Handelsministerium, das von Crispi während seiner kurzen Regierung aufgehoben worden war, wieder in's Leben gerufen wurde, ließ man dem Unterrichtsministerium die Leitung der sogenannten technischen Institute. Das Unterrichtsministerium, dem beiläufig gesagt die Abtheilung für den Kultus nicht unterstellt ist, da diese in Italien vom Großsiegelbe¬ wahrer abhängt, hat somit jetzt fast den ganzen öffentlichen Unterricht unter sich. Von denjenigen Fachanstalten abgesehen, welche, wie wohl in allen Ländern, dem Kriegs- und dem Marineministerium unterstehen, abgesehen ferner von den Priesterseminarien als den Vorbereitungsanstalten für künftige Theologen, auf welche die italienische Regierung sich nicht die mindeste Einwirkung vor¬ behalten hat, sind dem Wirkungskreise des Ministeriums für den öffentlichen Unterricht noch immer entzogen und dem Ministerium für Ackerbau, Handel und Industrie verblieben die Handwerkerschulen (souols ä'arti o russtisri) und, außer dem Gewerbemuseum in Turin, die höhere Handelsschule in Venedig und die höhere nautische Schule in Genua: die Zöglinge der beiden zuletzt ge¬ nannten Institute kommen von Schulen her, die unter dem Unterrichtsmini¬ sterium stehen, und es hat nicht geringe Verwunderung erregt, daß das Prinzip der einheitlichen Oberleitung der Schulen ohne zwingenden Grund hier durch¬ löchert worden ist. Man glaubt, daß der politische Einfluß der beiden betref¬ fenden Schulvorstände, von denen der eine Abgeordnete, der andere Senator ist, die Ausnahmsmaßregel mit veranlaßt hat. Wir wollen uns für heute nur mit jenen Mittelschulen beschäftigen, welche auf dem Gebiete des nicht-klassischen Unterrichtes dem Gymnasium oder, wie man in Italien sagt, dem Lyceum entsprechen. Unter Benutzung eines um¬ fassenden Berichtes, welcher am 30. September vorigen Jahres von Herrn O. Casaglia, dem Abtheilungsvorstand für den technischen Unterricht, an den Unterrichtsminister De Sanetis gerichtet worden ist, wollen wir versuchen, die thatsächlichen Zustände der italienischen Realschule (erster Ordnung) zu schildern, wobei wir sogleich bemerken, daß die italienische Anstalt als Ganzes genommen nicht mit den gleichnamigen Schulen anderer Länder verglichen werden darf. Diese Ablehnung der Vergleichbarkeit bedeutet keineswegs einen Verzicht auf Kritik, die schon durch die häufigen Aenderungen, über welche sich der Bericht Bei dem lebhaften Interesse, welches kürzlich die Frage wegen Neugestaltung des technischen Unterrichtswesens in Preußen hervorgerufen hat, dürfte der vorliegende Aufsatz, der in eine Partie des analogen italienischen Unterrichtswesens Einblicke gewährt manchem , D. Red. unserer Leser willkommen sein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/431>, abgerufen am 03.07.2024.