Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

28. Februar gegen das Abkommen gemacht wurde, änderte an der Sache nichts;
Preußen verharrte vielmehr bei seiner Politik den Polen gegenüber und er¬
möglichte so den Russen die Niederwerfung der Revolution und die Zurück¬
weisung der Vorschläge, welche Frankreich, England und Oesterreich am 27. Juni
gemeinschaftlich nach Petersburg abgesandt hatten, und in welchen u. a. eine
Konferenz der acht Mächte, die den Wiener Vertrag unterzeichnet', zur Bei¬
legung des Streites zwischen Rußland und den Insurgenten beantragt
worden war.

1866 und 1870 hat Rußland den Ereignissen in Deutschland, Böhmen
und zuletzt in Frankreich Gewehr beim Fuß zugesehen, und wir schulden ihm
ohne Zweifel Dank dafür. Indeß war es doch nicht blos Wohlwollen, wenn
man unterließ, die Gelegenheit zu einem Angriff auf Deutschland zu benutzen.
1866 mußten wir in Petersburg als die Exekutoren des russischen Zornes
erscheinen, den Oesterreich sich dnrch sein im Hinblick auf die von Kaiser Niko¬
laus zur Erstickung der ungarischen Insurrektion geleistete Hilfe "undankbares"
Verhalten während des Krimkrieges und während des polnischen Aufstandes
zugezogen hatte. Auch mußte man einen Sieg der Wiener Politik und die
darauf sicher folgende österreichische Hegemonie in Deutschland aus vielen
Gründen für den Interessen Rußland's weniger entsprechend ansehen, als eine
Einigung Deutschland's unter Preußen, das sich 1863 freundnachbarlich und
1854 wenigstens nicht feindselig verhalten hatte. 1870 aber konnte man un¬
möglich wünschen, daß Oesterreich-Ungarn sich am Kriege betheiligte, und daß
eine österreichisch-französische Armee sich der Grenze Polen's näherte, das von
Paris her traditionell, von Wien aus wenigstens in den letzten Jahren auf
Rußland's Kosten begünstigt worden war. Waren wir trotzdem zu Danke
verpflichtet, so haben wir ihn 1870 dadurch abgetragen, daß wir Rußland
die Freiheit des Schwarzen Meeres wieder verschafften, die es ohne uns von
England und Frankreich nicht erlangt hätte.

Nun wolle man addiren und dann subtrahiren.


^


28. Februar gegen das Abkommen gemacht wurde, änderte an der Sache nichts;
Preußen verharrte vielmehr bei seiner Politik den Polen gegenüber und er¬
möglichte so den Russen die Niederwerfung der Revolution und die Zurück¬
weisung der Vorschläge, welche Frankreich, England und Oesterreich am 27. Juni
gemeinschaftlich nach Petersburg abgesandt hatten, und in welchen u. a. eine
Konferenz der acht Mächte, die den Wiener Vertrag unterzeichnet', zur Bei¬
legung des Streites zwischen Rußland und den Insurgenten beantragt
worden war.

1866 und 1870 hat Rußland den Ereignissen in Deutschland, Böhmen
und zuletzt in Frankreich Gewehr beim Fuß zugesehen, und wir schulden ihm
ohne Zweifel Dank dafür. Indeß war es doch nicht blos Wohlwollen, wenn
man unterließ, die Gelegenheit zu einem Angriff auf Deutschland zu benutzen.
1866 mußten wir in Petersburg als die Exekutoren des russischen Zornes
erscheinen, den Oesterreich sich dnrch sein im Hinblick auf die von Kaiser Niko¬
laus zur Erstickung der ungarischen Insurrektion geleistete Hilfe „undankbares"
Verhalten während des Krimkrieges und während des polnischen Aufstandes
zugezogen hatte. Auch mußte man einen Sieg der Wiener Politik und die
darauf sicher folgende österreichische Hegemonie in Deutschland aus vielen
Gründen für den Interessen Rußland's weniger entsprechend ansehen, als eine
Einigung Deutschland's unter Preußen, das sich 1863 freundnachbarlich und
1854 wenigstens nicht feindselig verhalten hatte. 1870 aber konnte man un¬
möglich wünschen, daß Oesterreich-Ungarn sich am Kriege betheiligte, und daß
eine österreichisch-französische Armee sich der Grenze Polen's näherte, das von
Paris her traditionell, von Wien aus wenigstens in den letzten Jahren auf
Rußland's Kosten begünstigt worden war. Waren wir trotzdem zu Danke
verpflichtet, so haben wir ihn 1870 dadurch abgetragen, daß wir Rußland
die Freiheit des Schwarzen Meeres wieder verschafften, die es ohne uns von
England und Frankreich nicht erlangt hätte.

Nun wolle man addiren und dann subtrahiren.


^


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141841"/>
          <p xml:id="ID_1264" prev="#ID_1263"> 28. Februar gegen das Abkommen gemacht wurde, änderte an der Sache nichts;<lb/>
Preußen verharrte vielmehr bei seiner Politik den Polen gegenüber und er¬<lb/>
möglichte so den Russen die Niederwerfung der Revolution und die Zurück¬<lb/>
weisung der Vorschläge, welche Frankreich, England und Oesterreich am 27. Juni<lb/>
gemeinschaftlich nach Petersburg abgesandt hatten, und in welchen u. a. eine<lb/>
Konferenz der acht Mächte, die den Wiener Vertrag unterzeichnet', zur Bei¬<lb/>
legung des Streites zwischen Rußland und den Insurgenten beantragt<lb/>
worden war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1265"> 1866 und 1870 hat Rußland den Ereignissen in Deutschland, Böhmen<lb/>
und zuletzt in Frankreich Gewehr beim Fuß zugesehen, und wir schulden ihm<lb/>
ohne Zweifel Dank dafür. Indeß war es doch nicht blos Wohlwollen, wenn<lb/>
man unterließ, die Gelegenheit zu einem Angriff auf Deutschland zu benutzen.<lb/>
1866 mußten wir in Petersburg als die Exekutoren des russischen Zornes<lb/>
erscheinen, den Oesterreich sich dnrch sein im Hinblick auf die von Kaiser Niko¬<lb/>
laus zur Erstickung der ungarischen Insurrektion geleistete Hilfe &#x201E;undankbares"<lb/>
Verhalten während des Krimkrieges und während des polnischen Aufstandes<lb/>
zugezogen hatte. Auch mußte man einen Sieg der Wiener Politik und die<lb/>
darauf sicher folgende österreichische Hegemonie in Deutschland aus vielen<lb/>
Gründen für den Interessen Rußland's weniger entsprechend ansehen, als eine<lb/>
Einigung Deutschland's unter Preußen, das sich 1863 freundnachbarlich und<lb/>
1854 wenigstens nicht feindselig verhalten hatte. 1870 aber konnte man un¬<lb/>
möglich wünschen, daß Oesterreich-Ungarn sich am Kriege betheiligte, und daß<lb/>
eine österreichisch-französische Armee sich der Grenze Polen's näherte, das von<lb/>
Paris her traditionell, von Wien aus wenigstens in den letzten Jahren auf<lb/>
Rußland's Kosten begünstigt worden war. Waren wir trotzdem zu Danke<lb/>
verpflichtet, so haben wir ihn 1870 dadurch abgetragen, daß wir Rußland<lb/>
die Freiheit des Schwarzen Meeres wieder verschafften, die es ohne uns von<lb/>
England und Frankreich nicht erlangt hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1266"> Nun wolle man addiren und dann subtrahiren.</p><lb/>
          <note type="byline"> ^</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0430] 28. Februar gegen das Abkommen gemacht wurde, änderte an der Sache nichts; Preußen verharrte vielmehr bei seiner Politik den Polen gegenüber und er¬ möglichte so den Russen die Niederwerfung der Revolution und die Zurück¬ weisung der Vorschläge, welche Frankreich, England und Oesterreich am 27. Juni gemeinschaftlich nach Petersburg abgesandt hatten, und in welchen u. a. eine Konferenz der acht Mächte, die den Wiener Vertrag unterzeichnet', zur Bei¬ legung des Streites zwischen Rußland und den Insurgenten beantragt worden war. 1866 und 1870 hat Rußland den Ereignissen in Deutschland, Böhmen und zuletzt in Frankreich Gewehr beim Fuß zugesehen, und wir schulden ihm ohne Zweifel Dank dafür. Indeß war es doch nicht blos Wohlwollen, wenn man unterließ, die Gelegenheit zu einem Angriff auf Deutschland zu benutzen. 1866 mußten wir in Petersburg als die Exekutoren des russischen Zornes erscheinen, den Oesterreich sich dnrch sein im Hinblick auf die von Kaiser Niko¬ laus zur Erstickung der ungarischen Insurrektion geleistete Hilfe „undankbares" Verhalten während des Krimkrieges und während des polnischen Aufstandes zugezogen hatte. Auch mußte man einen Sieg der Wiener Politik und die darauf sicher folgende österreichische Hegemonie in Deutschland aus vielen Gründen für den Interessen Rußland's weniger entsprechend ansehen, als eine Einigung Deutschland's unter Preußen, das sich 1863 freundnachbarlich und 1854 wenigstens nicht feindselig verhalten hatte. 1870 aber konnte man un¬ möglich wünschen, daß Oesterreich-Ungarn sich am Kriege betheiligte, und daß eine österreichisch-französische Armee sich der Grenze Polen's näherte, das von Paris her traditionell, von Wien aus wenigstens in den letzten Jahren auf Rußland's Kosten begünstigt worden war. Waren wir trotzdem zu Danke verpflichtet, so haben wir ihn 1870 dadurch abgetragen, daß wir Rußland die Freiheit des Schwarzen Meeres wieder verschafften, die es ohne uns von England und Frankreich nicht erlangt hätte. Nun wolle man addiren und dann subtrahiren. ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/430
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/430>, abgerufen am 03.07.2024.