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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Annäherung an Frankreich nach 1840 viel für sich. In Folge des Todes der
Herzogin von Nassau war ein nicht unwichtiger Punkt West-Deutschland's ohne
russische Beziehungen, die frühere Verbindung mit dem württembergischen
Königshause hatte aufgehört, die mit Baden war gelockert. Ein Besuch des
Kaisers Nikolaus in London hatte seinen Zweck nicht erreicht. In Rußland
gährte es unter den Bauern, und in den vornehmen Kreisen herrschte Ver¬
stimmung, in Polen entdeckte man immer neue Verschwörungen, im Kaukasus
hatten die russischen Waffen nur mäßige Erfolge. In Persien hemmte die
englische Politik die Verfolgung der von den Rüster errungenen Vortheile, in
der Türkei stellte sich die Quadrupel-Allianz von 1842 einem raschen Vor¬
wärtskommen entgegen; in den Balkanlündern hatte die panslavistische Bewegung
zwischen ihrem Verhältniß zum russischen Volke und ihrer Stellung zu den
Regierungsgrundsätzen des Czaren zu unterscheiden begonnen. Unter solchen
Verhältnissen mußte Rußland zunächst wieder festen Fuß im Westen zu fassen
bemüht sein, und das beste Mittel dazu war eine Allianz mit Frankreich.
Schon war man dabei, sie abzuschließen, als die Februar-Revolution ausbrach,
der die Stürme in Deutschland und Oesterreich folgten.

Inzwischen schlug Preußen, zwar zunächst im eigenen, dann aber auch im
russischen Interesse den Aufstand in der Provinz Posen nieder. Am 10. Juli
1849 schloß es auf Andringen Rußland's mit Dünemark einen Waffenstillstand,
der Schleswig von Holstein trennte. Am 26. Oktober 1850 äußerte sich der
Kaiser Nikolaus, den sein königlicher Schwager vergebens für die Unionspolitik
zu gewinnen versucht hatte, zu Warschau in einer Weise über die deutschen
Dinge und die Bestrebungen Preußen's, daß der bekannte saure Gang nach Ol-
mütz sür unerläßlich gehalten wurde. Während des Krimkrieges schloß sich
das vier Jahre vorher von Rußland als Erhalter der deutschen Ohnmacht
geförderte und unterstützte Oesterreich den Gegnern der russischen Politik an,
während das damals schlechtbehandelte und zur Demüthigung gezwungene
Preußen sich wohlwollend verhielt und neutral blieb.

Sehr werthvolle Dienste erwies Preußen den Russen 1863 bei dem großen
Aufstande in Polen, dem alle anderen Mächte mit Einschluß Oesterreich's ihre
Theilnahme und ihre Unterstützung wenigstens auf diplomatischem Wege zu¬
wendeten. Das preußische Kabinet, bereits unter der Leitung eines Staats¬
mannes, dessen Politik nicht von gefühlvollen Umwandlungen beeinflußt wird,
stellte sich ohne Verzug auf die Seite Rußland's und schloß am 8. Februar
ein Uebereinkommen mit dieser Macht ab, nach welchem Preußen in dieser
Angelegenheit mit letzterer die Konsequenzen der Theilungsverträge des vorigen
Jahrhunderts gemeinsam zu tragen hatte. Die tendenziöse Opposition, die
im Abgeordnetenhause in dreitägiger Debatte und in einer Resolution vom


Grenzboten I. 1S79, 64

Annäherung an Frankreich nach 1840 viel für sich. In Folge des Todes der
Herzogin von Nassau war ein nicht unwichtiger Punkt West-Deutschland's ohne
russische Beziehungen, die frühere Verbindung mit dem württembergischen
Königshause hatte aufgehört, die mit Baden war gelockert. Ein Besuch des
Kaisers Nikolaus in London hatte seinen Zweck nicht erreicht. In Rußland
gährte es unter den Bauern, und in den vornehmen Kreisen herrschte Ver¬
stimmung, in Polen entdeckte man immer neue Verschwörungen, im Kaukasus
hatten die russischen Waffen nur mäßige Erfolge. In Persien hemmte die
englische Politik die Verfolgung der von den Rüster errungenen Vortheile, in
der Türkei stellte sich die Quadrupel-Allianz von 1842 einem raschen Vor¬
wärtskommen entgegen; in den Balkanlündern hatte die panslavistische Bewegung
zwischen ihrem Verhältniß zum russischen Volke und ihrer Stellung zu den
Regierungsgrundsätzen des Czaren zu unterscheiden begonnen. Unter solchen
Verhältnissen mußte Rußland zunächst wieder festen Fuß im Westen zu fassen
bemüht sein, und das beste Mittel dazu war eine Allianz mit Frankreich.
Schon war man dabei, sie abzuschließen, als die Februar-Revolution ausbrach,
der die Stürme in Deutschland und Oesterreich folgten.

Inzwischen schlug Preußen, zwar zunächst im eigenen, dann aber auch im
russischen Interesse den Aufstand in der Provinz Posen nieder. Am 10. Juli
1849 schloß es auf Andringen Rußland's mit Dünemark einen Waffenstillstand,
der Schleswig von Holstein trennte. Am 26. Oktober 1850 äußerte sich der
Kaiser Nikolaus, den sein königlicher Schwager vergebens für die Unionspolitik
zu gewinnen versucht hatte, zu Warschau in einer Weise über die deutschen
Dinge und die Bestrebungen Preußen's, daß der bekannte saure Gang nach Ol-
mütz sür unerläßlich gehalten wurde. Während des Krimkrieges schloß sich
das vier Jahre vorher von Rußland als Erhalter der deutschen Ohnmacht
geförderte und unterstützte Oesterreich den Gegnern der russischen Politik an,
während das damals schlechtbehandelte und zur Demüthigung gezwungene
Preußen sich wohlwollend verhielt und neutral blieb.

Sehr werthvolle Dienste erwies Preußen den Russen 1863 bei dem großen
Aufstande in Polen, dem alle anderen Mächte mit Einschluß Oesterreich's ihre
Theilnahme und ihre Unterstützung wenigstens auf diplomatischem Wege zu¬
wendeten. Das preußische Kabinet, bereits unter der Leitung eines Staats¬
mannes, dessen Politik nicht von gefühlvollen Umwandlungen beeinflußt wird,
stellte sich ohne Verzug auf die Seite Rußland's und schloß am 8. Februar
ein Uebereinkommen mit dieser Macht ab, nach welchem Preußen in dieser
Angelegenheit mit letzterer die Konsequenzen der Theilungsverträge des vorigen
Jahrhunderts gemeinsam zu tragen hatte. Die tendenziöse Opposition, die
im Abgeordnetenhause in dreitägiger Debatte und in einer Resolution vom


Grenzboten I. 1S79, 64
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[0429] Annäherung an Frankreich nach 1840 viel für sich. In Folge des Todes der Herzogin von Nassau war ein nicht unwichtiger Punkt West-Deutschland's ohne russische Beziehungen, die frühere Verbindung mit dem württembergischen Königshause hatte aufgehört, die mit Baden war gelockert. Ein Besuch des Kaisers Nikolaus in London hatte seinen Zweck nicht erreicht. In Rußland gährte es unter den Bauern, und in den vornehmen Kreisen herrschte Ver¬ stimmung, in Polen entdeckte man immer neue Verschwörungen, im Kaukasus hatten die russischen Waffen nur mäßige Erfolge. In Persien hemmte die englische Politik die Verfolgung der von den Rüster errungenen Vortheile, in der Türkei stellte sich die Quadrupel-Allianz von 1842 einem raschen Vor¬ wärtskommen entgegen; in den Balkanlündern hatte die panslavistische Bewegung zwischen ihrem Verhältniß zum russischen Volke und ihrer Stellung zu den Regierungsgrundsätzen des Czaren zu unterscheiden begonnen. Unter solchen Verhältnissen mußte Rußland zunächst wieder festen Fuß im Westen zu fassen bemüht sein, und das beste Mittel dazu war eine Allianz mit Frankreich. Schon war man dabei, sie abzuschließen, als die Februar-Revolution ausbrach, der die Stürme in Deutschland und Oesterreich folgten. Inzwischen schlug Preußen, zwar zunächst im eigenen, dann aber auch im russischen Interesse den Aufstand in der Provinz Posen nieder. Am 10. Juli 1849 schloß es auf Andringen Rußland's mit Dünemark einen Waffenstillstand, der Schleswig von Holstein trennte. Am 26. Oktober 1850 äußerte sich der Kaiser Nikolaus, den sein königlicher Schwager vergebens für die Unionspolitik zu gewinnen versucht hatte, zu Warschau in einer Weise über die deutschen Dinge und die Bestrebungen Preußen's, daß der bekannte saure Gang nach Ol- mütz sür unerläßlich gehalten wurde. Während des Krimkrieges schloß sich das vier Jahre vorher von Rußland als Erhalter der deutschen Ohnmacht geförderte und unterstützte Oesterreich den Gegnern der russischen Politik an, während das damals schlechtbehandelte und zur Demüthigung gezwungene Preußen sich wohlwollend verhielt und neutral blieb. Sehr werthvolle Dienste erwies Preußen den Russen 1863 bei dem großen Aufstande in Polen, dem alle anderen Mächte mit Einschluß Oesterreich's ihre Theilnahme und ihre Unterstützung wenigstens auf diplomatischem Wege zu¬ wendeten. Das preußische Kabinet, bereits unter der Leitung eines Staats¬ mannes, dessen Politik nicht von gefühlvollen Umwandlungen beeinflußt wird, stellte sich ohne Verzug auf die Seite Rußland's und schloß am 8. Februar ein Uebereinkommen mit dieser Macht ab, nach welchem Preußen in dieser Angelegenheit mit letzterer die Konsequenzen der Theilungsverträge des vorigen Jahrhunderts gemeinsam zu tragen hatte. Die tendenziöse Opposition, die im Abgeordnetenhause in dreitägiger Debatte und in einer Resolution vom Grenzboten I. 1S79, 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/429>, abgerufen am 03.07.2024.