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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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griffe auf die deutsche Politik und deren Träger schwerlich mit Unrecht ihm
auf die Rechnung gesetzt; denn sie stimmen zu seinem Wesen und Denken.

Fürst Gortschakoff gilt ohne Grund Manchem als besonders kluger und
gewandter Diplomat. Er folgt keinen großen Gesichtspunkten, und er hat
somit keine großen Erfolge aufzuweisen. Wie seine Politik nicht die des
Kaisers Alexander ist, so ist sie auch keine russische, sondern eine in erster
Linie von der Rücksicht auf seine eigene Person und dann von seiner Vorliebe
für Frankreich, die sein Gebieter nicht theilt, eingegebene und geleitete. Seine
Haupteigenschaft ist ein stark entwickeltes Selbstgefühl, fein Hauptziel Befrie¬
digung feines Bedürfnisses nach dem Ruhme, zu sein, was er eben nicht ist,
ein Politiker ersten Ranges. Daher seine stete Neigung, Szenen zu erfinden,
in denen er eine Rolle spielen kann, in welcher er auf Beifall von Seiten der
zuschauenden öffentlichen Meinung zu hoffen hat.

selbstthätig ist der russische Reichskanzler eigentlich nnr in den letzten vier
Jahren gewesen, und da wird kein Sachkenner behaupten wollen, daß er mit
viel Geschick und Umsicht operirt habe. Diese vier Jahre waren der Vorbe¬
reitung auf den Krieg mit der Pforte und der Sicherung eines für Rußland
günstigen und einträglichen Ausganges desselben gewidmet. Die Art und Weise
aber, wie dabei verfahren wurde, zeugte nicht gerade für einen Geist, der sich
über seine Ziele und die Mittel zur Erreichung derselben vollkommen klar
ist. Die wichtigste Aufgabe war bei der Borbereitung des Kampfes mit den
Türken, sich Gewißheit zu verschaffen, welche Stellung Oesterreich-Ungarn und
Deutschland zu den russischen Absichten einnahmen, und gute Beziehungen zu
diesen Staaten herzustellen, resp, zu pflegen. Dies ist, wie bekannt, nicht ge¬
nügend geschehen. Nicht einmal zu Rumänien ist ein klares und sicheres
Verhältniß angebahnt und unterhalten worden, während doch der sechsmonat¬
liche Aufenthalt des russischen Reichskanzlers in Bukarest dazu reichlich Ge¬
legenheit bot.

Wie die Arbeit, so waren auch die Resultate der Politik des Fürsten,
nämlich mittelmäßig. Sein Verlangen aber, mehr zu sein, als er war, min¬
destens mehr zu scheinen, blieb so groß, wie es allezeit gewesen. Nach 1874
sah es aus, als ob sein Durst nach Lob und Ruhm ihm keine Ruhe mehr
lassen wollte. Zur Zeit der Reichstädter Konvention soll er geäußert haben:
N6 xsux xas lUvr ooramv uns laraxiz, Mi s'ötoiiit. II Kind <ZM ^'6 ins
eouoks oorwNs un astrs." Der Dreikaiserbund befriedigte ihn nnr auf kurze
Zeit. 1874 schon begegnete man den Fäden der Gortschakoff-Jomini'schen
Politik, die wir jetzt im "Golos" erkennen, in der ausländischen Presse. Schon
damals trat das Ziel dieser Politik, die Herstellung eines intimen Verhältnisses
zwischen Rußland und dem revanchebedürftigen Frankreich, mittelst dessen man


griffe auf die deutsche Politik und deren Träger schwerlich mit Unrecht ihm
auf die Rechnung gesetzt; denn sie stimmen zu seinem Wesen und Denken.

Fürst Gortschakoff gilt ohne Grund Manchem als besonders kluger und
gewandter Diplomat. Er folgt keinen großen Gesichtspunkten, und er hat
somit keine großen Erfolge aufzuweisen. Wie seine Politik nicht die des
Kaisers Alexander ist, so ist sie auch keine russische, sondern eine in erster
Linie von der Rücksicht auf seine eigene Person und dann von seiner Vorliebe
für Frankreich, die sein Gebieter nicht theilt, eingegebene und geleitete. Seine
Haupteigenschaft ist ein stark entwickeltes Selbstgefühl, fein Hauptziel Befrie¬
digung feines Bedürfnisses nach dem Ruhme, zu sein, was er eben nicht ist,
ein Politiker ersten Ranges. Daher seine stete Neigung, Szenen zu erfinden,
in denen er eine Rolle spielen kann, in welcher er auf Beifall von Seiten der
zuschauenden öffentlichen Meinung zu hoffen hat.

selbstthätig ist der russische Reichskanzler eigentlich nnr in den letzten vier
Jahren gewesen, und da wird kein Sachkenner behaupten wollen, daß er mit
viel Geschick und Umsicht operirt habe. Diese vier Jahre waren der Vorbe¬
reitung auf den Krieg mit der Pforte und der Sicherung eines für Rußland
günstigen und einträglichen Ausganges desselben gewidmet. Die Art und Weise
aber, wie dabei verfahren wurde, zeugte nicht gerade für einen Geist, der sich
über seine Ziele und die Mittel zur Erreichung derselben vollkommen klar
ist. Die wichtigste Aufgabe war bei der Borbereitung des Kampfes mit den
Türken, sich Gewißheit zu verschaffen, welche Stellung Oesterreich-Ungarn und
Deutschland zu den russischen Absichten einnahmen, und gute Beziehungen zu
diesen Staaten herzustellen, resp, zu pflegen. Dies ist, wie bekannt, nicht ge¬
nügend geschehen. Nicht einmal zu Rumänien ist ein klares und sicheres
Verhältniß angebahnt und unterhalten worden, während doch der sechsmonat¬
liche Aufenthalt des russischen Reichskanzlers in Bukarest dazu reichlich Ge¬
legenheit bot.

Wie die Arbeit, so waren auch die Resultate der Politik des Fürsten,
nämlich mittelmäßig. Sein Verlangen aber, mehr zu sein, als er war, min¬
destens mehr zu scheinen, blieb so groß, wie es allezeit gewesen. Nach 1874
sah es aus, als ob sein Durst nach Lob und Ruhm ihm keine Ruhe mehr
lassen wollte. Zur Zeit der Reichstädter Konvention soll er geäußert haben:
N6 xsux xas lUvr ooramv uns laraxiz, Mi s'ötoiiit. II Kind <ZM ^'6 ins
eouoks oorwNs un astrs." Der Dreikaiserbund befriedigte ihn nnr auf kurze
Zeit. 1874 schon begegnete man den Fäden der Gortschakoff-Jomini'schen
Politik, die wir jetzt im „Golos" erkennen, in der ausländischen Presse. Schon
damals trat das Ziel dieser Politik, die Herstellung eines intimen Verhältnisses
zwischen Rußland und dem revanchebedürftigen Frankreich, mittelst dessen man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/425>, abgerufen am 23.07.2024.