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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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dasselbe von neuem die Nothwendigkeit herantritt, auf dem europäischen Fest¬
lande, wo nicht Verbündete, so doch Freunde zu suchen. Oesterreich-Ungarn
oder Rußland sind die einzigen Mächte, von denen es Unterstützung gegen das
(wieder nur in der Phantasie des "Golos") durch den Sieg der französischen
Republikaner stark beunruhigte Deutschland erwarten kann. Die neulich er¬
folgte Einwilligung der Wiener Regierung in die Beseitigung der Klausel des
Artikels V des Prager Friedens muß Frankreich veranlassen, sich eher Ru߬
land als Oesterreich zuzuwenden. Die französischen Staatsmänner wissen aber
sehr gut, durch welche Mittel sie in diesem Falle ihr Ziel erreichen können." ...
"Alles, was den Einfluß der Engländer in der Türkei vermindern kann, wird
von uns mit Vergnügen begrüßt werden und unsere Unterstützung finden, wenn
nur durch Thatsachen bewiesen wird, daß die Nebenbuhlerschaft Frankreich's
und England's im Orient eine ernste ist und nicht irgend ein heimliches Ein-
verständniß maskirt. Ueberhaupt aber halten wir im jetzigen Augenblicke die
politische Annäherung Frankreich's und Rußland's auf dem Boden der orien¬
talischen Frage für außerordentlich wünschenswert!). Sie ist schon deshalb zu
wünschen, weil die Interessen dieser beiden Mächte auf dem erwähnten Boden
viel weniger zusammenstoßen als die Interessen Rußland's und England's oder
irgend einer anderen Macht. Die uns ungelegener Folgen des Berliner Ver¬
trages können nur auf diesem Wege beseitigt werden. Die Zeit ist für ein Ein¬
vernehmen die allergünstigste."

Wer ist es nun, der hinter diesem Tadel, diesen Angriffen und Verdächti¬
gungen, diesen Hoffnungen auf einen Rücktritt des Fürsten Bismarck vom
Staatsruder steht? Wer findet ein Bündniß zwischen Rußland und Frankreich,
das nicht nur gegen England, sondern auch gegen "das durch den Sieg der
französischen Republikaner stark beunruhigte Deutschland" gerichtet sein würde,
erstrebenswerth?

Der "Golos" war früher notorisch ein mit dem Vertrauen des russischen
Reichskanzlers beehrtes Preßorgan, das offiziöse Sprachrohr seiner Anschauungen
und Wünsche. Dieses Verhältniß soll jetzt nicht mehr bestehen. Aber es wird
erlaubt sein, daran zu zweifeln, und wir bedienen uns dieser, Erlaubniß aus
guten Gründen. Wir halten es trotz aller Zeichen von Ungnade mindestens für
sehr möglich, daß jene antideutschen Publikationen des "Golos" vom Auswär¬
tigen Amte in Petersburg angeregt worden sind, und daß der Souffleur
Jomini heißt, der die rechte Hand des Fürsten Gortschakoff ist. Der letztere
ist ein alter Herr mit stark verminderten Kräften, und man spricht jetzt von
seinem Rücktritt und gibt ihm Labanoff, den Botschafter bei der Pforte, zum
Nachfolger. Unterrichtete aber glauben nicht daran, daß er, so lange er lebt,
sein Amt niederlegen werde, und trotz seiner Altersschwäche werden jene An--


dasselbe von neuem die Nothwendigkeit herantritt, auf dem europäischen Fest¬
lande, wo nicht Verbündete, so doch Freunde zu suchen. Oesterreich-Ungarn
oder Rußland sind die einzigen Mächte, von denen es Unterstützung gegen das
(wieder nur in der Phantasie des „Golos") durch den Sieg der französischen
Republikaner stark beunruhigte Deutschland erwarten kann. Die neulich er¬
folgte Einwilligung der Wiener Regierung in die Beseitigung der Klausel des
Artikels V des Prager Friedens muß Frankreich veranlassen, sich eher Ru߬
land als Oesterreich zuzuwenden. Die französischen Staatsmänner wissen aber
sehr gut, durch welche Mittel sie in diesem Falle ihr Ziel erreichen können." ...
„Alles, was den Einfluß der Engländer in der Türkei vermindern kann, wird
von uns mit Vergnügen begrüßt werden und unsere Unterstützung finden, wenn
nur durch Thatsachen bewiesen wird, daß die Nebenbuhlerschaft Frankreich's
und England's im Orient eine ernste ist und nicht irgend ein heimliches Ein-
verständniß maskirt. Ueberhaupt aber halten wir im jetzigen Augenblicke die
politische Annäherung Frankreich's und Rußland's auf dem Boden der orien¬
talischen Frage für außerordentlich wünschenswert!). Sie ist schon deshalb zu
wünschen, weil die Interessen dieser beiden Mächte auf dem erwähnten Boden
viel weniger zusammenstoßen als die Interessen Rußland's und England's oder
irgend einer anderen Macht. Die uns ungelegener Folgen des Berliner Ver¬
trages können nur auf diesem Wege beseitigt werden. Die Zeit ist für ein Ein¬
vernehmen die allergünstigste."

Wer ist es nun, der hinter diesem Tadel, diesen Angriffen und Verdächti¬
gungen, diesen Hoffnungen auf einen Rücktritt des Fürsten Bismarck vom
Staatsruder steht? Wer findet ein Bündniß zwischen Rußland und Frankreich,
das nicht nur gegen England, sondern auch gegen „das durch den Sieg der
französischen Republikaner stark beunruhigte Deutschland" gerichtet sein würde,
erstrebenswerth?

Der „Golos" war früher notorisch ein mit dem Vertrauen des russischen
Reichskanzlers beehrtes Preßorgan, das offiziöse Sprachrohr seiner Anschauungen
und Wünsche. Dieses Verhältniß soll jetzt nicht mehr bestehen. Aber es wird
erlaubt sein, daran zu zweifeln, und wir bedienen uns dieser, Erlaubniß aus
guten Gründen. Wir halten es trotz aller Zeichen von Ungnade mindestens für
sehr möglich, daß jene antideutschen Publikationen des „Golos" vom Auswär¬
tigen Amte in Petersburg angeregt worden sind, und daß der Souffleur
Jomini heißt, der die rechte Hand des Fürsten Gortschakoff ist. Der letztere
ist ein alter Herr mit stark verminderten Kräften, und man spricht jetzt von
seinem Rücktritt und gibt ihm Labanoff, den Botschafter bei der Pforte, zum
Nachfolger. Unterrichtete aber glauben nicht daran, daß er, so lange er lebt,
sein Amt niederlegen werde, und trotz seiner Altersschwäche werden jene An--


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[0424] dasselbe von neuem die Nothwendigkeit herantritt, auf dem europäischen Fest¬ lande, wo nicht Verbündete, so doch Freunde zu suchen. Oesterreich-Ungarn oder Rußland sind die einzigen Mächte, von denen es Unterstützung gegen das (wieder nur in der Phantasie des „Golos") durch den Sieg der französischen Republikaner stark beunruhigte Deutschland erwarten kann. Die neulich er¬ folgte Einwilligung der Wiener Regierung in die Beseitigung der Klausel des Artikels V des Prager Friedens muß Frankreich veranlassen, sich eher Ru߬ land als Oesterreich zuzuwenden. Die französischen Staatsmänner wissen aber sehr gut, durch welche Mittel sie in diesem Falle ihr Ziel erreichen können." ... „Alles, was den Einfluß der Engländer in der Türkei vermindern kann, wird von uns mit Vergnügen begrüßt werden und unsere Unterstützung finden, wenn nur durch Thatsachen bewiesen wird, daß die Nebenbuhlerschaft Frankreich's und England's im Orient eine ernste ist und nicht irgend ein heimliches Ein- verständniß maskirt. Ueberhaupt aber halten wir im jetzigen Augenblicke die politische Annäherung Frankreich's und Rußland's auf dem Boden der orien¬ talischen Frage für außerordentlich wünschenswert!). Sie ist schon deshalb zu wünschen, weil die Interessen dieser beiden Mächte auf dem erwähnten Boden viel weniger zusammenstoßen als die Interessen Rußland's und England's oder irgend einer anderen Macht. Die uns ungelegener Folgen des Berliner Ver¬ trages können nur auf diesem Wege beseitigt werden. Die Zeit ist für ein Ein¬ vernehmen die allergünstigste." Wer ist es nun, der hinter diesem Tadel, diesen Angriffen und Verdächti¬ gungen, diesen Hoffnungen auf einen Rücktritt des Fürsten Bismarck vom Staatsruder steht? Wer findet ein Bündniß zwischen Rußland und Frankreich, das nicht nur gegen England, sondern auch gegen „das durch den Sieg der französischen Republikaner stark beunruhigte Deutschland" gerichtet sein würde, erstrebenswerth? Der „Golos" war früher notorisch ein mit dem Vertrauen des russischen Reichskanzlers beehrtes Preßorgan, das offiziöse Sprachrohr seiner Anschauungen und Wünsche. Dieses Verhältniß soll jetzt nicht mehr bestehen. Aber es wird erlaubt sein, daran zu zweifeln, und wir bedienen uns dieser, Erlaubniß aus guten Gründen. Wir halten es trotz aller Zeichen von Ungnade mindestens für sehr möglich, daß jene antideutschen Publikationen des „Golos" vom Auswär¬ tigen Amte in Petersburg angeregt worden sind, und daß der Souffleur Jomini heißt, der die rechte Hand des Fürsten Gortschakoff ist. Der letztere ist ein alter Herr mit stark verminderten Kräften, und man spricht jetzt von seinem Rücktritt und gibt ihm Labanoff, den Botschafter bei der Pforte, zum Nachfolger. Unterrichtete aber glauben nicht daran, daß er, so lange er lebt, sein Amt niederlegen werde, und trotz seiner Altersschwäche werden jene An--

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/424>, abgerufen am 23.07.2024.