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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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auf Deutschland drücken und ihm drohen konnte, deutlich hervor. Die Ab¬
lehnung dieses Bestrebens, das vom Kaiser Alexander nicht getheilt worden zu
sein scheint, von Seiten Frankreich's, ließ von weiteren Versuchen in dieser
Richtung nicht absehen. Dieselben kulminirten in der Periode von 1875 bis 1877,
wo u. a. das Gerücht, daß Rußland die Franzosen von einer großen Gefahr
gerettet habe, durch die Welt ging. Die Sache ist so charakteristisch, daß wir
näher auf sie eingehen müssen.

Es hieß, Gortschakoff sei 1875 durch Gontaut, den damaligen französischen
Botschafter in Se. Petersburg, darauf aufmerksam gemacht worden, daß Deutsch¬
land im Begriffe sei, Frankreich mit Krieg zu überziehen. Gortschakoff habe
geantwortet, daß er dieses Unternehmen mißbillige. Dann sei der Kaiser
Alexander nach Berlin gereist, und seinen Vorstellungen sei es gelungen, die
preußische Militärpartei, von der die Sache betrieben worden, von ihrem Vor¬
haben abzubringen. Der russische Reichskanzler aber habe darauf eine Zir¬
kulardepesche an die Gesandtschaften gerichtet, die mit den Worten begonnen
habe: "NWitöHÄQt, Is. xaix sse g,Wurü<z."

Von diesem Gerücht, das von Se. Petersburg ausgegangen war und den
Zweck hatte, den Fürsten Gortschakoff der Welt im Glänze des großen Friedens¬
stifters erscheinen zu lassen und den Franzosen zum Freunde zu empfehlen,
sind nur die Reise des Kaisers uach Berlin und die ruhmredige Zirkulardepesche
seines Ministers wahr. Vollkommen richtig dagegen ist, mit Ausnahme dessen,
was über eine Frankreich feindlich und auf einen Krieg mit demselben bedacht
gewesene preußische Militärpartei gesagt wird, die Mittheilung, die der bekannte
englische Journalist Blowitz nach einer Unterredung, die er zur Zeit des Ber¬
liner Kongresses mit dem Fürsten Bismarck gehabt, über die Angelegenheit
gemacht hat. Der betreffende Artikel stand in der "Times" vom 7. September
vorigen Jahres, und die Hauptstelle desselben lautet:

"Bismarck ist eifersüchtig nicht blos auf seinen eigenen, sondern auch auf
seines Vaterlandes Ruhm und stellt in Abrede, daß ein solcher Plan der
preußischen Militärbehörden (zu einem Angriff auf Frankreich) jemals existirt
habe. Als ich zu Ende meiner Unterredung mit ihm bemerkte, Europa habe
auf Frieden gerechnet, sobald es erfahren, er wünsche ihn, griff er diese Rede¬
wendung eifrig auf, um auf eine entschiedene Ableugnung jedes Einverständnisses
mit den Urhebern des Planes zurückzukommen, seine Rechnung mit dem Fürsten
Gortschakoff auszugleichen und ganz Deutschland von dem verwerflichen Vor¬
haben freizusprechen, welches Europa in Schrecken gesetzt. Er rief aus: ,Jch
würde den Frieden nicht gewünscht haben, wenn ich der Bösewicht gewesen
wäre, den Gortschakoff 1875 aus mir machte/ Die ganze Geschichte, welche
Europa damals zusammenschrecken ließ, und welcher die ,Times° ein so ge-


auf Deutschland drücken und ihm drohen konnte, deutlich hervor. Die Ab¬
lehnung dieses Bestrebens, das vom Kaiser Alexander nicht getheilt worden zu
sein scheint, von Seiten Frankreich's, ließ von weiteren Versuchen in dieser
Richtung nicht absehen. Dieselben kulminirten in der Periode von 1875 bis 1877,
wo u. a. das Gerücht, daß Rußland die Franzosen von einer großen Gefahr
gerettet habe, durch die Welt ging. Die Sache ist so charakteristisch, daß wir
näher auf sie eingehen müssen.

Es hieß, Gortschakoff sei 1875 durch Gontaut, den damaligen französischen
Botschafter in Se. Petersburg, darauf aufmerksam gemacht worden, daß Deutsch¬
land im Begriffe sei, Frankreich mit Krieg zu überziehen. Gortschakoff habe
geantwortet, daß er dieses Unternehmen mißbillige. Dann sei der Kaiser
Alexander nach Berlin gereist, und seinen Vorstellungen sei es gelungen, die
preußische Militärpartei, von der die Sache betrieben worden, von ihrem Vor¬
haben abzubringen. Der russische Reichskanzler aber habe darauf eine Zir¬
kulardepesche an die Gesandtschaften gerichtet, die mit den Worten begonnen
habe: „NWitöHÄQt, Is. xaix sse g,Wurü<z."

Von diesem Gerücht, das von Se. Petersburg ausgegangen war und den
Zweck hatte, den Fürsten Gortschakoff der Welt im Glänze des großen Friedens¬
stifters erscheinen zu lassen und den Franzosen zum Freunde zu empfehlen,
sind nur die Reise des Kaisers uach Berlin und die ruhmredige Zirkulardepesche
seines Ministers wahr. Vollkommen richtig dagegen ist, mit Ausnahme dessen,
was über eine Frankreich feindlich und auf einen Krieg mit demselben bedacht
gewesene preußische Militärpartei gesagt wird, die Mittheilung, die der bekannte
englische Journalist Blowitz nach einer Unterredung, die er zur Zeit des Ber¬
liner Kongresses mit dem Fürsten Bismarck gehabt, über die Angelegenheit
gemacht hat. Der betreffende Artikel stand in der „Times" vom 7. September
vorigen Jahres, und die Hauptstelle desselben lautet:

„Bismarck ist eifersüchtig nicht blos auf seinen eigenen, sondern auch auf
seines Vaterlandes Ruhm und stellt in Abrede, daß ein solcher Plan der
preußischen Militärbehörden (zu einem Angriff auf Frankreich) jemals existirt
habe. Als ich zu Ende meiner Unterredung mit ihm bemerkte, Europa habe
auf Frieden gerechnet, sobald es erfahren, er wünsche ihn, griff er diese Rede¬
wendung eifrig auf, um auf eine entschiedene Ableugnung jedes Einverständnisses
mit den Urhebern des Planes zurückzukommen, seine Rechnung mit dem Fürsten
Gortschakoff auszugleichen und ganz Deutschland von dem verwerflichen Vor¬
haben freizusprechen, welches Europa in Schrecken gesetzt. Er rief aus: ,Jch
würde den Frieden nicht gewünscht haben, wenn ich der Bösewicht gewesen
wäre, den Gortschakoff 1875 aus mir machte/ Die ganze Geschichte, welche
Europa damals zusammenschrecken ließ, und welcher die ,Times° ein so ge-


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[0426] auf Deutschland drücken und ihm drohen konnte, deutlich hervor. Die Ab¬ lehnung dieses Bestrebens, das vom Kaiser Alexander nicht getheilt worden zu sein scheint, von Seiten Frankreich's, ließ von weiteren Versuchen in dieser Richtung nicht absehen. Dieselben kulminirten in der Periode von 1875 bis 1877, wo u. a. das Gerücht, daß Rußland die Franzosen von einer großen Gefahr gerettet habe, durch die Welt ging. Die Sache ist so charakteristisch, daß wir näher auf sie eingehen müssen. Es hieß, Gortschakoff sei 1875 durch Gontaut, den damaligen französischen Botschafter in Se. Petersburg, darauf aufmerksam gemacht worden, daß Deutsch¬ land im Begriffe sei, Frankreich mit Krieg zu überziehen. Gortschakoff habe geantwortet, daß er dieses Unternehmen mißbillige. Dann sei der Kaiser Alexander nach Berlin gereist, und seinen Vorstellungen sei es gelungen, die preußische Militärpartei, von der die Sache betrieben worden, von ihrem Vor¬ haben abzubringen. Der russische Reichskanzler aber habe darauf eine Zir¬ kulardepesche an die Gesandtschaften gerichtet, die mit den Worten begonnen habe: „NWitöHÄQt, Is. xaix sse g,Wurü<z." Von diesem Gerücht, das von Se. Petersburg ausgegangen war und den Zweck hatte, den Fürsten Gortschakoff der Welt im Glänze des großen Friedens¬ stifters erscheinen zu lassen und den Franzosen zum Freunde zu empfehlen, sind nur die Reise des Kaisers uach Berlin und die ruhmredige Zirkulardepesche seines Ministers wahr. Vollkommen richtig dagegen ist, mit Ausnahme dessen, was über eine Frankreich feindlich und auf einen Krieg mit demselben bedacht gewesene preußische Militärpartei gesagt wird, die Mittheilung, die der bekannte englische Journalist Blowitz nach einer Unterredung, die er zur Zeit des Ber¬ liner Kongresses mit dem Fürsten Bismarck gehabt, über die Angelegenheit gemacht hat. Der betreffende Artikel stand in der „Times" vom 7. September vorigen Jahres, und die Hauptstelle desselben lautet: „Bismarck ist eifersüchtig nicht blos auf seinen eigenen, sondern auch auf seines Vaterlandes Ruhm und stellt in Abrede, daß ein solcher Plan der preußischen Militärbehörden (zu einem Angriff auf Frankreich) jemals existirt habe. Als ich zu Ende meiner Unterredung mit ihm bemerkte, Europa habe auf Frieden gerechnet, sobald es erfahren, er wünsche ihn, griff er diese Rede¬ wendung eifrig auf, um auf eine entschiedene Ableugnung jedes Einverständnisses mit den Urhebern des Planes zurückzukommen, seine Rechnung mit dem Fürsten Gortschakoff auszugleichen und ganz Deutschland von dem verwerflichen Vor¬ haben freizusprechen, welches Europa in Schrecken gesetzt. Er rief aus: ,Jch würde den Frieden nicht gewünscht haben, wenn ich der Bösewicht gewesen wäre, den Gortschakoff 1875 aus mir machte/ Die ganze Geschichte, welche Europa damals zusammenschrecken ließ, und welcher die ,Times° ein so ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/426>, abgerufen am 23.07.2024.