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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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der Historienmaler an. Er trat in das Atelier des Landschaftsmalers Johann
Wilhelm Schirmer ein; durch ihn wurde Böcklin zuerst in die Geheimnisse des
französischen Kvlorismus eingeweiht, bei ihm eignete er sich die Vorliebe für die
heroische, die stilisirte Landschaft an, und unter seiner Leitung wurde ihm das
Verständniß für die Tonstimmungen der Landschaft erschlossen. Schirmer hatte
mehrfach Studienreisen nach Frankreich, besonders nach der Normandie gemacht.
Er hatte eine goldene Medaille auf der Pariser Ausstellung erhalten und war
vollständig mit den koloristischen Bestrebungen der modernen französischen Maler¬
schule vertraut. Bald lernte Böcklin- die französische Kunst auch an der Quelle
kennen. Nachdem er ein halbes Jahr in Brüssel gelebt, dort aber weniger bei
den Chorführern des belgischen Realismus als in der Galerie studirt hatte, begab
er sich im Frühling 1848 nach Paris. Er kam kurz vor dem Ausbruche der
Revolution dort an und wurde somit Augenzeuge der Greuelszenen, die sich
während derselben und später noch einmal während des Juniaufstandes ereigneten.
Friedrich Pecht sagt in einer panegyrischen Schilderung Böcklin's, in welcher
auch alle auf seinen äußeren Lebensgang bezüglichen Daten zusammengetragen
sind: "Das machte einen unauslöschlichen Eindruck auf sein jugendliches Gemüth,
und ihm haben wir wohl jenes Element des Schauerlichen, von Mord und
Gewaltthat, von grellen Dissonanzen aller Art in Stoff wie der Form zu ver¬
danken, das bei ihm ab und zu mit einer gewissen Wildheit auftaucht."

Nachdem er in Basel seiner Militärpflicht genügt, wanderte er im Frühling
1850 nach Rom und kam dort bald in einen Kreis, welchem Franz Dreher,
Feuerbach, Gürtel, Oswald Ueberhand nud Flaum angehörten. Dreher darf,
was die Wahl seiner Stoffe und den Charakter seiner Kunst anlangt, als ein
Vorläufer Böcklin's betrachtet werden, soweit es sich um Landschaften mit antiker
Staffage handelt, und Feuerbach war in dieser Richtung ebenfalls nicht ohne
Einfluß auf Heu jungen Künstler. Während seine Genossen in der Umgebung
von Rom, namentlich in dem an Reizen unerschöpflichen Olevano fleißig Studien
machten, schweifte Böcklin, wie Friedrich Pecht erzählt, "unaufhörlich in der
Gegend umher, um zu schauen, ohne doch je direkt nach der Natur zu arbeiten.
Vielmehr sitzt er zurückkehrend ans seinem Zimmer und malt ein ganz selbst
komponirtes, nur den allgemeinen Charakter der Gegend, diesen aber höchst
prägnant, ja grandios wiedergebendes Bild, das alle seine Genossen entzückt."
Wir, die wir den Enthusiasmus Pecht's und das Entzücken der Böcklin'schen
Genossen nicht theilen, sehen in dieser Vernachlässigung des direkten Natur¬
studiums eine der breitesten Schattenseiten der Böcklin'schen Art. Mit welchem
Eifer, mit welcher Treue hat Franz^Dreher nach der Natur studirt! Als matt
nach seinem 1875 erfolgten Tode die Studienmappen des früh Verblichenen
öffnete, kamen fast unermeßlich reiche Schätze an das Licht, die uns zeigten,


der Historienmaler an. Er trat in das Atelier des Landschaftsmalers Johann
Wilhelm Schirmer ein; durch ihn wurde Böcklin zuerst in die Geheimnisse des
französischen Kvlorismus eingeweiht, bei ihm eignete er sich die Vorliebe für die
heroische, die stilisirte Landschaft an, und unter seiner Leitung wurde ihm das
Verständniß für die Tonstimmungen der Landschaft erschlossen. Schirmer hatte
mehrfach Studienreisen nach Frankreich, besonders nach der Normandie gemacht.
Er hatte eine goldene Medaille auf der Pariser Ausstellung erhalten und war
vollständig mit den koloristischen Bestrebungen der modernen französischen Maler¬
schule vertraut. Bald lernte Böcklin- die französische Kunst auch an der Quelle
kennen. Nachdem er ein halbes Jahr in Brüssel gelebt, dort aber weniger bei
den Chorführern des belgischen Realismus als in der Galerie studirt hatte, begab
er sich im Frühling 1848 nach Paris. Er kam kurz vor dem Ausbruche der
Revolution dort an und wurde somit Augenzeuge der Greuelszenen, die sich
während derselben und später noch einmal während des Juniaufstandes ereigneten.
Friedrich Pecht sagt in einer panegyrischen Schilderung Böcklin's, in welcher
auch alle auf seinen äußeren Lebensgang bezüglichen Daten zusammengetragen
sind: „Das machte einen unauslöschlichen Eindruck auf sein jugendliches Gemüth,
und ihm haben wir wohl jenes Element des Schauerlichen, von Mord und
Gewaltthat, von grellen Dissonanzen aller Art in Stoff wie der Form zu ver¬
danken, das bei ihm ab und zu mit einer gewissen Wildheit auftaucht."

Nachdem er in Basel seiner Militärpflicht genügt, wanderte er im Frühling
1850 nach Rom und kam dort bald in einen Kreis, welchem Franz Dreher,
Feuerbach, Gürtel, Oswald Ueberhand nud Flaum angehörten. Dreher darf,
was die Wahl seiner Stoffe und den Charakter seiner Kunst anlangt, als ein
Vorläufer Böcklin's betrachtet werden, soweit es sich um Landschaften mit antiker
Staffage handelt, und Feuerbach war in dieser Richtung ebenfalls nicht ohne
Einfluß auf Heu jungen Künstler. Während seine Genossen in der Umgebung
von Rom, namentlich in dem an Reizen unerschöpflichen Olevano fleißig Studien
machten, schweifte Böcklin, wie Friedrich Pecht erzählt, „unaufhörlich in der
Gegend umher, um zu schauen, ohne doch je direkt nach der Natur zu arbeiten.
Vielmehr sitzt er zurückkehrend ans seinem Zimmer und malt ein ganz selbst
komponirtes, nur den allgemeinen Charakter der Gegend, diesen aber höchst
prägnant, ja grandios wiedergebendes Bild, das alle seine Genossen entzückt."
Wir, die wir den Enthusiasmus Pecht's und das Entzücken der Böcklin'schen
Genossen nicht theilen, sehen in dieser Vernachlässigung des direkten Natur¬
studiums eine der breitesten Schattenseiten der Böcklin'schen Art. Mit welchem
Eifer, mit welcher Treue hat Franz^Dreher nach der Natur studirt! Als matt
nach seinem 1875 erfolgten Tode die Studienmappen des früh Verblichenen
öffnete, kamen fast unermeßlich reiche Schätze an das Licht, die uns zeigten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/398>, abgerufen am 23.07.2024.