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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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wie sich die heroischen und stilisirtett Landschaften des Künstlers durchweg aus
Motiven aus der römischen Natur aufgebaut hatten^ Und ein ebenso fleißiger
Schüler der Allmeisterin Natur war Friedrich Heller, der es auf der Höhe
seines Schaffens auch zu der höchsten Meisterschaft in der heroischen Landschaft
brachte. Böcklin ignorirt dagegen die Form mit souveräner Verachtung. In
seinem Geiste hat sich dafür ein phantastisches Substrat gebildet, das er in eine
Farbe taucht, die wiederum mit der Natur, die das unbefangene Auge eines
jeden Andern sieht, wenig gemein hat. Man kann sagen, daß Böcklin alle
Farben um einen Ton tiefer sieht als jeder andere Sterbliche. Wo Jedermann
Blau sieht, da sieht Böcklin ein leuchtendes Dunkelblau und malt es auch; wo
ein anderer ein lichtes Frühlingsgrün sieht, da offenbart sich dem Auge Böcklin's
ein tiefes Smaragdgrün. Und da er im Stande ist, mit Zuhilfenahme eines
technischen Kunstgriffes alle Farben, die er so sieht, auch so zu malen, hat er bei
einem Publikum, das sich an hohlen Abstraktionen von der Natur genügen und
durch ein möglichst schreiendes "Farbenkonzert" willig berauschen läßt, Erfolg
auf Erfolg. Wer jedoch dieser Kunstrichtung bis auf den Grund schaut, der
wird sich durch das gleißende Machwerk ebensowenig berauschen oder täuschen
lassen, wie durch die leeren, aber wohlklingenden und dem Ohre sich ein¬
schmeichelnden Phrasen eines Schönredners.

Die Versuchung, hier die Perspektive zu erweitern und zu vertiefen und
einen Ausblick auch auf andere Künste zu nehmen, liegt sehr nahe. Es war
nicht schwer nachzuweisen, daß ein verwandter Geist schaffend und bestimmend
in der Wagner'schen Musik, in der Schopenhauer - Hartmann'schen Philosophie
lebt. Aber bei einer weiteren Ausführung dieser Vergleiche würde uns auf
Schritt und Tritt der Geist Lessing's warnend in den Weg treten. Es mag
daher genug sein, diese geistige Verwandtschaft zwischen den immerhin hervor¬
ragenden Erscheinungen unserer Kultur von neuem angedeutet zu haben. Am
Ende entsteht noch gar die Frage, ob wir nicht vielmehr in diesen drei Erschei¬
nungen, von denen die eine die andere vielleicht nicht einmal beeinflußt hat,
drei gleichwerthige, von einander unabhängige Offenbarungen unseres, des mo¬
dernen Zeitgeistes zu erkennen haben. Ein direkter persönlicher Zusammenhang
läßt sich ohnehin nur zwischen Wagner und Schopenhauer nachweisen.

Wenn wir den Lebensgang Böcklin's weiter verfolgen, so begegnen wir
einem bedeutsamen Wendepunkte erst wieder um das Jahr 1856, als Böcklin,
dessen Sprunghafte, stets erregte und ruhelose Phantasie auch der Leitstern
seines Lebens war, Italien verließ, mit Weib und Kind nach Basel ging und
dort einen größeren Auftrag erhielt. Ein reicher Kunstfreund in Hannover trug
ihm auf, seinen Speisesaal auszumalen. Böcklin schuf nun in Hannover einen
Zyklus von fünf Kompositionen, welche den Menschen in seinen wohlthätigen


wie sich die heroischen und stilisirtett Landschaften des Künstlers durchweg aus
Motiven aus der römischen Natur aufgebaut hatten^ Und ein ebenso fleißiger
Schüler der Allmeisterin Natur war Friedrich Heller, der es auf der Höhe
seines Schaffens auch zu der höchsten Meisterschaft in der heroischen Landschaft
brachte. Böcklin ignorirt dagegen die Form mit souveräner Verachtung. In
seinem Geiste hat sich dafür ein phantastisches Substrat gebildet, das er in eine
Farbe taucht, die wiederum mit der Natur, die das unbefangene Auge eines
jeden Andern sieht, wenig gemein hat. Man kann sagen, daß Böcklin alle
Farben um einen Ton tiefer sieht als jeder andere Sterbliche. Wo Jedermann
Blau sieht, da sieht Böcklin ein leuchtendes Dunkelblau und malt es auch; wo
ein anderer ein lichtes Frühlingsgrün sieht, da offenbart sich dem Auge Böcklin's
ein tiefes Smaragdgrün. Und da er im Stande ist, mit Zuhilfenahme eines
technischen Kunstgriffes alle Farben, die er so sieht, auch so zu malen, hat er bei
einem Publikum, das sich an hohlen Abstraktionen von der Natur genügen und
durch ein möglichst schreiendes „Farbenkonzert" willig berauschen läßt, Erfolg
auf Erfolg. Wer jedoch dieser Kunstrichtung bis auf den Grund schaut, der
wird sich durch das gleißende Machwerk ebensowenig berauschen oder täuschen
lassen, wie durch die leeren, aber wohlklingenden und dem Ohre sich ein¬
schmeichelnden Phrasen eines Schönredners.

Die Versuchung, hier die Perspektive zu erweitern und zu vertiefen und
einen Ausblick auch auf andere Künste zu nehmen, liegt sehr nahe. Es war
nicht schwer nachzuweisen, daß ein verwandter Geist schaffend und bestimmend
in der Wagner'schen Musik, in der Schopenhauer - Hartmann'schen Philosophie
lebt. Aber bei einer weiteren Ausführung dieser Vergleiche würde uns auf
Schritt und Tritt der Geist Lessing's warnend in den Weg treten. Es mag
daher genug sein, diese geistige Verwandtschaft zwischen den immerhin hervor¬
ragenden Erscheinungen unserer Kultur von neuem angedeutet zu haben. Am
Ende entsteht noch gar die Frage, ob wir nicht vielmehr in diesen drei Erschei¬
nungen, von denen die eine die andere vielleicht nicht einmal beeinflußt hat,
drei gleichwerthige, von einander unabhängige Offenbarungen unseres, des mo¬
dernen Zeitgeistes zu erkennen haben. Ein direkter persönlicher Zusammenhang
läßt sich ohnehin nur zwischen Wagner und Schopenhauer nachweisen.

Wenn wir den Lebensgang Böcklin's weiter verfolgen, so begegnen wir
einem bedeutsamen Wendepunkte erst wieder um das Jahr 1856, als Böcklin,
dessen Sprunghafte, stets erregte und ruhelose Phantasie auch der Leitstern
seines Lebens war, Italien verließ, mit Weib und Kind nach Basel ging und
dort einen größeren Auftrag erhielt. Ein reicher Kunstfreund in Hannover trug
ihm auf, seinen Speisesaal auszumalen. Böcklin schuf nun in Hannover einen
Zyklus von fünf Kompositionen, welche den Menschen in seinen wohlthätigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/399>, abgerufen am 23.07.2024.