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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Im Abendmahle sieht Paulus ein Opfermahl und stellt es deshalb formell
auf dieselbe Linie mit den Opfermahlzeiten der Juden und Heiden; aber es
ist ihm nicht eine Opferhandlung. Das von Jesus auf Golgatha dargebrachte
Opfer eignen sich im Abendmahle die Genießenden an; nur in diesem Sinne
stellt Paulus das Abendmahl in Beziehung zum Opferbegriff. Es liegt auf
der Hand, daß diese Feier cholerisch sein mußte, sie war ein thatsächliches Be¬
kenntniß zu Jesus, setzte die innere Zugehörigkeit zu seiner Gemeinde voraus.

Durch eine Entweihung dieses heiligen Mahles, die ans Heiden-christlichem
Gebiet, in Korinth, eingetreten war. wurde Paulus veranlaßt, diese gottes¬
dienstlichen Versammlungen nach ihrem wahren Inhalt und Zweck eingehend
zu beleuchten. Es waren spezifisch heidnische Ausschreitungen, die Paulus
bekämpfte, von denen sich juten-christliche Gemeinden frei gehalten haben werden.
Die Korinther hatten die Agapen nicht als Einleitung zu der Feier des
Abendmahls, sondern als Selbstzweck betrachtet, die Idee einer Vollziehung
der brüderlichen Gemeinschaft hatte in den Agapen keine Darstellung mehr
gefunden. In Gruppen gesondert saßen hier Reiche, dort Arme; die einen
vom Ueberfluß genießend, die andern kärglich sich speisend. Auch die Partei¬
gegensätze in der Gemeinde hatten sich bei dieser Gelegenheit zur Geltung ge¬
bracht. Die Feier, die einer Ausgleichung der sozialen Unterschiede dienen
sollte, war zu einer Stätte geworden, in der sie bestätigt und befestigt wurden.
Unter solchen Voraussetzungen konnte der Höhepunkt der Feier, der Genuß des
Abendmahles, nicht auf empfängliche Gemüther rechnen.

Die Versammlung fand am Abend statt, und zwar, wie wir mit Be¬
stimmtheit voraussetzen dürfen, am Sonntag. Die Apostelgeschichte berichtet
uns, daß die Gemeinde Troas sich am ersten Tage der Woche versammelt
habe, das Brod zu brechen; denselben Tag bestimmt Paulus den Korinthern
für die Aufbringung einer Kollekte, und die Apokalypse nennt ihn den Tag
des Herrn. Zum Gedächtniß der Auferstehung Christi herausgehoben aus den
übrigen Tagen, wurde er Versammlungstag für die Gemeinde, allerdings wohl
nicht der einzige.

Außer der esoterischen, abendlichen Feier des Herrenmahles fanden exote-
rische Morgengottesdienste statt, die aus Rede, Gebet und Gesang sich zusam¬
mensetzten. Wie waren diese im Einzelnen beschaffen?

Unsere Darlegung der Verfassungsverhältnisse in den apostolischen Ge¬
meinden hat zu dem Ergebniß geführt, daß erst im Ausgange des ersten Jahr¬
hunderts in Analogie der Synagoge ein Amt sich bildete, dessen Aufgabe es
war, den Inhalt des Gottesdienstes zu erzeugen, daß dagegen in der Zeit der
Wirksamkeit des Paulus, wenigstens auf dem Gebiete derselben, durch die freie
Thätigkeit der Gemeindeglieder die Erbauung hervorgebracht wurde. Es


Im Abendmahle sieht Paulus ein Opfermahl und stellt es deshalb formell
auf dieselbe Linie mit den Opfermahlzeiten der Juden und Heiden; aber es
ist ihm nicht eine Opferhandlung. Das von Jesus auf Golgatha dargebrachte
Opfer eignen sich im Abendmahle die Genießenden an; nur in diesem Sinne
stellt Paulus das Abendmahl in Beziehung zum Opferbegriff. Es liegt auf
der Hand, daß diese Feier cholerisch sein mußte, sie war ein thatsächliches Be¬
kenntniß zu Jesus, setzte die innere Zugehörigkeit zu seiner Gemeinde voraus.

Durch eine Entweihung dieses heiligen Mahles, die ans Heiden-christlichem
Gebiet, in Korinth, eingetreten war. wurde Paulus veranlaßt, diese gottes¬
dienstlichen Versammlungen nach ihrem wahren Inhalt und Zweck eingehend
zu beleuchten. Es waren spezifisch heidnische Ausschreitungen, die Paulus
bekämpfte, von denen sich juten-christliche Gemeinden frei gehalten haben werden.
Die Korinther hatten die Agapen nicht als Einleitung zu der Feier des
Abendmahls, sondern als Selbstzweck betrachtet, die Idee einer Vollziehung
der brüderlichen Gemeinschaft hatte in den Agapen keine Darstellung mehr
gefunden. In Gruppen gesondert saßen hier Reiche, dort Arme; die einen
vom Ueberfluß genießend, die andern kärglich sich speisend. Auch die Partei¬
gegensätze in der Gemeinde hatten sich bei dieser Gelegenheit zur Geltung ge¬
bracht. Die Feier, die einer Ausgleichung der sozialen Unterschiede dienen
sollte, war zu einer Stätte geworden, in der sie bestätigt und befestigt wurden.
Unter solchen Voraussetzungen konnte der Höhepunkt der Feier, der Genuß des
Abendmahles, nicht auf empfängliche Gemüther rechnen.

Die Versammlung fand am Abend statt, und zwar, wie wir mit Be¬
stimmtheit voraussetzen dürfen, am Sonntag. Die Apostelgeschichte berichtet
uns, daß die Gemeinde Troas sich am ersten Tage der Woche versammelt
habe, das Brod zu brechen; denselben Tag bestimmt Paulus den Korinthern
für die Aufbringung einer Kollekte, und die Apokalypse nennt ihn den Tag
des Herrn. Zum Gedächtniß der Auferstehung Christi herausgehoben aus den
übrigen Tagen, wurde er Versammlungstag für die Gemeinde, allerdings wohl
nicht der einzige.

Außer der esoterischen, abendlichen Feier des Herrenmahles fanden exote-
rische Morgengottesdienste statt, die aus Rede, Gebet und Gesang sich zusam¬
mensetzten. Wie waren diese im Einzelnen beschaffen?

Unsere Darlegung der Verfassungsverhältnisse in den apostolischen Ge¬
meinden hat zu dem Ergebniß geführt, daß erst im Ausgange des ersten Jahr¬
hunderts in Analogie der Synagoge ein Amt sich bildete, dessen Aufgabe es
war, den Inhalt des Gottesdienstes zu erzeugen, daß dagegen in der Zeit der
Wirksamkeit des Paulus, wenigstens auf dem Gebiete derselben, durch die freie
Thätigkeit der Gemeindeglieder die Erbauung hervorgebracht wurde. Es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/391>, abgerufen am 26.08.2024.