Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

redlichkeit der Beamten auch ihre Vortheile für die Bevölkerung hatte, wie
oben gesagt worden ist. Und doch war dem leider so. Denn oft blieb dem
Redlichen, der verfolgten Unschuld, der beraubten Waise doch wenigstens dieser
eine Weg übrig, zu ihrem Rechte zu gelangen; die Beamten wurden zu edlen
und gerechten Handlungen für denselben Preis gekauft, wie zur Vollziehung
von Schlechtigkeiten. Alles hatte seinen durch Herkommen geregelten Preis.
Ohne die bestechlichen Zensoren und Zollbeamten wäre es unmöglich gewesen,
Hunderttausende von belehrenden Büchern und Schriften in Schiffsladungen in's
Land zu schmuggeln, ohne bestechliche Richter und Verwaltungsbeamte hätte das
Volk erliegen müssen unter dem Druck tyrannischer, im Zorn erlassener Ver¬
fügungen. Der "Tschinownik" sorgte dafür, daß die Suppe nicht fo heiß ge¬
gessen wurde, wie sie gekocht war. Die fromme Sekte der Raskolniks, welche
ein wahrhaft tugendhaftes Leben erstrebten, unglücklicher Weise aber den Staats¬
streich Peter's I., der ihn zum Papst der griechischen Kirche machte, nicht an¬
erkannten, hätten den 200 jährigen Verfolgungen gegenüber ebensowenig, wie
Dutzende von weniger achtungswerthen Sektirern bestehen können, ohne den
silberbedürftigen Tschinownik. Diese Beispiele ließen sich endlos vermehren.

Weil man wußte, wie jämmerlich es mit der Besoldung stand, und doch
keine Abhilfe schaffen konnte -- denn das Land war arm und ist es heute
noch, da der größte Theil seiner natürlichen Reichthümer wegen des Mangels
an Kommunikationen werthlos ist --, so drückte man oft beide Augen zu,
wenn dergleichen Mißbräuche zur Sprache kamen. Der Angeber erntete wenig
Dank, wenn man ihm auch in's Gesicht seinen tugendhaften Eifer lobte. Die
Strafen waren milde bemessen. Die gewöhnlichste war Versetzung in eine ent¬
fernte Gegend, wo der Verklagte als doroo novus im Gewände des vimäiMs
erschien. Der Betroffene erschien unbefangen mit kaum gemindertem Ansehen
in der Gesellschaft. Nur Veruntreuungen an Staats- oder öffentlichen Geldern
wurden vom Gesetz und der Gesellschaft härter beurtheilt, ohne doch wie bei
uns mit dem völligen Ausstoßen aus der Gesellschaft bestraft zu werden. Der
Fremde, der allmählich bekannt wird, namentlich in den unabhängigen und
fast durchweg sehr achtbaren Kreisen der höheren Kaufmannschaft, erfährt da
mitunter kuriose Details über Leute, mit denen er in den besten Häusern Be¬
kanntschaft gemacht und arglos gepflegt hatte. Die Gutmüthigkeit, mit der
solche Existenzen geduldet werden, ist in Wahrheit ein furchtbar anklagendes
Zeichen, auf welches Niveau der allgemeine Ehrbegriff gesunken ist.

Unter dem jetzigen Kaiser ist Viel, unendlich Viel zum Guten geändert
worden, und für denjenigen, der nicht gewohnt ist, sich von zeitgemäßen Phrasen
blenden zu lassen, wie in unserer abolitionistisch gesinnten Zeit es zum guten
Tone gehört, und für Abschaffung jeder Art von Hörigkeit zu schwärmen, son-


redlichkeit der Beamten auch ihre Vortheile für die Bevölkerung hatte, wie
oben gesagt worden ist. Und doch war dem leider so. Denn oft blieb dem
Redlichen, der verfolgten Unschuld, der beraubten Waise doch wenigstens dieser
eine Weg übrig, zu ihrem Rechte zu gelangen; die Beamten wurden zu edlen
und gerechten Handlungen für denselben Preis gekauft, wie zur Vollziehung
von Schlechtigkeiten. Alles hatte seinen durch Herkommen geregelten Preis.
Ohne die bestechlichen Zensoren und Zollbeamten wäre es unmöglich gewesen,
Hunderttausende von belehrenden Büchern und Schriften in Schiffsladungen in's
Land zu schmuggeln, ohne bestechliche Richter und Verwaltungsbeamte hätte das
Volk erliegen müssen unter dem Druck tyrannischer, im Zorn erlassener Ver¬
fügungen. Der „Tschinownik" sorgte dafür, daß die Suppe nicht fo heiß ge¬
gessen wurde, wie sie gekocht war. Die fromme Sekte der Raskolniks, welche
ein wahrhaft tugendhaftes Leben erstrebten, unglücklicher Weise aber den Staats¬
streich Peter's I., der ihn zum Papst der griechischen Kirche machte, nicht an¬
erkannten, hätten den 200 jährigen Verfolgungen gegenüber ebensowenig, wie
Dutzende von weniger achtungswerthen Sektirern bestehen können, ohne den
silberbedürftigen Tschinownik. Diese Beispiele ließen sich endlos vermehren.

Weil man wußte, wie jämmerlich es mit der Besoldung stand, und doch
keine Abhilfe schaffen konnte — denn das Land war arm und ist es heute
noch, da der größte Theil seiner natürlichen Reichthümer wegen des Mangels
an Kommunikationen werthlos ist —, so drückte man oft beide Augen zu,
wenn dergleichen Mißbräuche zur Sprache kamen. Der Angeber erntete wenig
Dank, wenn man ihm auch in's Gesicht seinen tugendhaften Eifer lobte. Die
Strafen waren milde bemessen. Die gewöhnlichste war Versetzung in eine ent¬
fernte Gegend, wo der Verklagte als doroo novus im Gewände des vimäiMs
erschien. Der Betroffene erschien unbefangen mit kaum gemindertem Ansehen
in der Gesellschaft. Nur Veruntreuungen an Staats- oder öffentlichen Geldern
wurden vom Gesetz und der Gesellschaft härter beurtheilt, ohne doch wie bei
uns mit dem völligen Ausstoßen aus der Gesellschaft bestraft zu werden. Der
Fremde, der allmählich bekannt wird, namentlich in den unabhängigen und
fast durchweg sehr achtbaren Kreisen der höheren Kaufmannschaft, erfährt da
mitunter kuriose Details über Leute, mit denen er in den besten Häusern Be¬
kanntschaft gemacht und arglos gepflegt hatte. Die Gutmüthigkeit, mit der
solche Existenzen geduldet werden, ist in Wahrheit ein furchtbar anklagendes
Zeichen, auf welches Niveau der allgemeine Ehrbegriff gesunken ist.

Unter dem jetzigen Kaiser ist Viel, unendlich Viel zum Guten geändert
worden, und für denjenigen, der nicht gewohnt ist, sich von zeitgemäßen Phrasen
blenden zu lassen, wie in unserer abolitionistisch gesinnten Zeit es zum guten
Tone gehört, und für Abschaffung jeder Art von Hörigkeit zu schwärmen, son-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141791"/>
          <p xml:id="ID_1104" prev="#ID_1103"> redlichkeit der Beamten auch ihre Vortheile für die Bevölkerung hatte, wie<lb/>
oben gesagt worden ist. Und doch war dem leider so. Denn oft blieb dem<lb/>
Redlichen, der verfolgten Unschuld, der beraubten Waise doch wenigstens dieser<lb/>
eine Weg übrig, zu ihrem Rechte zu gelangen; die Beamten wurden zu edlen<lb/>
und gerechten Handlungen für denselben Preis gekauft, wie zur Vollziehung<lb/>
von Schlechtigkeiten. Alles hatte seinen durch Herkommen geregelten Preis.<lb/>
Ohne die bestechlichen Zensoren und Zollbeamten wäre es unmöglich gewesen,<lb/>
Hunderttausende von belehrenden Büchern und Schriften in Schiffsladungen in's<lb/>
Land zu schmuggeln, ohne bestechliche Richter und Verwaltungsbeamte hätte das<lb/>
Volk erliegen müssen unter dem Druck tyrannischer, im Zorn erlassener Ver¬<lb/>
fügungen. Der &#x201E;Tschinownik" sorgte dafür, daß die Suppe nicht fo heiß ge¬<lb/>
gessen wurde, wie sie gekocht war. Die fromme Sekte der Raskolniks, welche<lb/>
ein wahrhaft tugendhaftes Leben erstrebten, unglücklicher Weise aber den Staats¬<lb/>
streich Peter's I., der ihn zum Papst der griechischen Kirche machte, nicht an¬<lb/>
erkannten, hätten den 200 jährigen Verfolgungen gegenüber ebensowenig, wie<lb/>
Dutzende von weniger achtungswerthen Sektirern bestehen können, ohne den<lb/>
silberbedürftigen Tschinownik. Diese Beispiele ließen sich endlos vermehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1105"> Weil man wußte, wie jämmerlich es mit der Besoldung stand, und doch<lb/>
keine Abhilfe schaffen konnte &#x2014; denn das Land war arm und ist es heute<lb/>
noch, da der größte Theil seiner natürlichen Reichthümer wegen des Mangels<lb/>
an Kommunikationen werthlos ist &#x2014;, so drückte man oft beide Augen zu,<lb/>
wenn dergleichen Mißbräuche zur Sprache kamen. Der Angeber erntete wenig<lb/>
Dank, wenn man ihm auch in's Gesicht seinen tugendhaften Eifer lobte. Die<lb/>
Strafen waren milde bemessen. Die gewöhnlichste war Versetzung in eine ent¬<lb/>
fernte Gegend, wo der Verklagte als doroo novus im Gewände des vimäiMs<lb/>
erschien. Der Betroffene erschien unbefangen mit kaum gemindertem Ansehen<lb/>
in der Gesellschaft. Nur Veruntreuungen an Staats- oder öffentlichen Geldern<lb/>
wurden vom Gesetz und der Gesellschaft härter beurtheilt, ohne doch wie bei<lb/>
uns mit dem völligen Ausstoßen aus der Gesellschaft bestraft zu werden. Der<lb/>
Fremde, der allmählich bekannt wird, namentlich in den unabhängigen und<lb/>
fast durchweg sehr achtbaren Kreisen der höheren Kaufmannschaft, erfährt da<lb/>
mitunter kuriose Details über Leute, mit denen er in den besten Häusern Be¬<lb/>
kanntschaft gemacht und arglos gepflegt hatte. Die Gutmüthigkeit, mit der<lb/>
solche Existenzen geduldet werden, ist in Wahrheit ein furchtbar anklagendes<lb/>
Zeichen, auf welches Niveau der allgemeine Ehrbegriff gesunken ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1106" next="#ID_1107"> Unter dem jetzigen Kaiser ist Viel, unendlich Viel zum Guten geändert<lb/>
worden, und für denjenigen, der nicht gewohnt ist, sich von zeitgemäßen Phrasen<lb/>
blenden zu lassen, wie in unserer abolitionistisch gesinnten Zeit es zum guten<lb/>
Tone gehört, und für Abschaffung jeder Art von Hörigkeit zu schwärmen, son-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0380] redlichkeit der Beamten auch ihre Vortheile für die Bevölkerung hatte, wie oben gesagt worden ist. Und doch war dem leider so. Denn oft blieb dem Redlichen, der verfolgten Unschuld, der beraubten Waise doch wenigstens dieser eine Weg übrig, zu ihrem Rechte zu gelangen; die Beamten wurden zu edlen und gerechten Handlungen für denselben Preis gekauft, wie zur Vollziehung von Schlechtigkeiten. Alles hatte seinen durch Herkommen geregelten Preis. Ohne die bestechlichen Zensoren und Zollbeamten wäre es unmöglich gewesen, Hunderttausende von belehrenden Büchern und Schriften in Schiffsladungen in's Land zu schmuggeln, ohne bestechliche Richter und Verwaltungsbeamte hätte das Volk erliegen müssen unter dem Druck tyrannischer, im Zorn erlassener Ver¬ fügungen. Der „Tschinownik" sorgte dafür, daß die Suppe nicht fo heiß ge¬ gessen wurde, wie sie gekocht war. Die fromme Sekte der Raskolniks, welche ein wahrhaft tugendhaftes Leben erstrebten, unglücklicher Weise aber den Staats¬ streich Peter's I., der ihn zum Papst der griechischen Kirche machte, nicht an¬ erkannten, hätten den 200 jährigen Verfolgungen gegenüber ebensowenig, wie Dutzende von weniger achtungswerthen Sektirern bestehen können, ohne den silberbedürftigen Tschinownik. Diese Beispiele ließen sich endlos vermehren. Weil man wußte, wie jämmerlich es mit der Besoldung stand, und doch keine Abhilfe schaffen konnte — denn das Land war arm und ist es heute noch, da der größte Theil seiner natürlichen Reichthümer wegen des Mangels an Kommunikationen werthlos ist —, so drückte man oft beide Augen zu, wenn dergleichen Mißbräuche zur Sprache kamen. Der Angeber erntete wenig Dank, wenn man ihm auch in's Gesicht seinen tugendhaften Eifer lobte. Die Strafen waren milde bemessen. Die gewöhnlichste war Versetzung in eine ent¬ fernte Gegend, wo der Verklagte als doroo novus im Gewände des vimäiMs erschien. Der Betroffene erschien unbefangen mit kaum gemindertem Ansehen in der Gesellschaft. Nur Veruntreuungen an Staats- oder öffentlichen Geldern wurden vom Gesetz und der Gesellschaft härter beurtheilt, ohne doch wie bei uns mit dem völligen Ausstoßen aus der Gesellschaft bestraft zu werden. Der Fremde, der allmählich bekannt wird, namentlich in den unabhängigen und fast durchweg sehr achtbaren Kreisen der höheren Kaufmannschaft, erfährt da mitunter kuriose Details über Leute, mit denen er in den besten Häusern Be¬ kanntschaft gemacht und arglos gepflegt hatte. Die Gutmüthigkeit, mit der solche Existenzen geduldet werden, ist in Wahrheit ein furchtbar anklagendes Zeichen, auf welches Niveau der allgemeine Ehrbegriff gesunken ist. Unter dem jetzigen Kaiser ist Viel, unendlich Viel zum Guten geändert worden, und für denjenigen, der nicht gewohnt ist, sich von zeitgemäßen Phrasen blenden zu lassen, wie in unserer abolitionistisch gesinnten Zeit es zum guten Tone gehört, und für Abschaffung jeder Art von Hörigkeit zu schwärmen, son-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/380
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/380>, abgerufen am 23.07.2024.