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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Dem talentvollen Gogol gelang es, Gott weiß durch welche Bestechungen
und Intriguen, die Erlaubniß zur Aufführung eines Lustspiels auf dem kaiser¬
lichen Theater zu Petersburg zu erwirken. Das Stück hieß "Der Inspekteur".
Am ersten Tage war das Publikum geradezu starr; die Kühnheit des Dichters
drückte jede Beifallsbezeigung nieder. An den folgenden Tagen schlug man
sich um die Plätze. Der Polizeiminister erstattete natürlich sofort Rapport an
den Czar Nikolaus über die unerhörten Verbrechen, welche in idealer Kon¬
kurrenz in dieser Aufführung durcheinander wimmelten. Jeder einigermaßen
gewandte Kriminalist konnte mehrere hunderttausend Jahre Sibirien nebst
Milliarden Knutenhieben aus dem Hochverrätherischen Inhalt zusammenrechnen.
Da die Sache aber kein Verbrechen gegen die militärische Disziplin enthielt,
so behielt Nikolaus seine Ruhe und befahl zum Entsetzen des Polizeiministers,
das Stück sollte absolut unverändert wiederholt werden, er werde es selbst
ansehen und dann urtheilen. So geschah es. Und was enthielt das Lustspiel?
Es entwarf ein grelles, aber durchaus wahrheitsgetreues Gemälde der russi¬
schen "Tschinowniks" jener Zeit. '

In einer mittleren Stadt des inneren Rußland's sind die Beamten durch
einen wohlwollenden Gönner aus dem betreffenden Petersburger Bureau da¬
von in Kenntniß gesetzt worden, daß in Folge gewisser Vorfälle ein außer¬
ordentlicher Inspekteur a,ä too unterwegs sei, der Herz und Nieren prüfen
und demnächst inkognito unter irgend einer harmlosen Maske eintreffen werde.
Während die Spitzen der Behörden in einer drastischen Szene sich über die
Mittel berathen, mit denen man den gefürchteten Rhadamanthus am sichersten
"schmieren" könne, um ihn unschädlich zu machen, kommt die Nachricht, daß
ein eleganter Mann mit vornehmen Manieren im Gasthause logire und sich
als angeblich mittelloser Hochstapler gerire. Kein Zweifel -- er ist's. Der
erkannte Inspekteur wird mit allen Ehrenbezeigungen und Geschenken über¬
häuft, ist sehr gutartiger Natur, lebt einige Tage herrlich und in Freuden,
pumpt den Einen der Honoratioren gründlich an, verlobt sich mit der Tochter
des Andern und fährt endlich davon auf Nimmerwiedersehen, während mitten
unter den Verblüfften der wirkliche Inspekteur erscheint.

Kaiser Nikolaus lachte und applaudirte dieser derben Persiflage seiner
Bureaukratie, gegen deren Macht und passiven Widerstand sein eigener Wille,
seine besten Bestrebungen so oft gescheitert waren, wenn er sich dies anch kaum
selbst mit voller Klarheit gestehen mochte. Er gönnte seinen Beamten die
Demüthigung. Dies kaiserliche Beifallsgelächter aber entfesselte einen Strom
von Satire in der russischen Literatur, das erste Zeichen eines beginnenden
Umschwungs, der freilich erst nach des Kaisers Tode zur Geltung kam. Traurig
aber ist es, wenn in Wahrheit gesagt werden konnte, daß die allgemeine Un-


Dem talentvollen Gogol gelang es, Gott weiß durch welche Bestechungen
und Intriguen, die Erlaubniß zur Aufführung eines Lustspiels auf dem kaiser¬
lichen Theater zu Petersburg zu erwirken. Das Stück hieß „Der Inspekteur".
Am ersten Tage war das Publikum geradezu starr; die Kühnheit des Dichters
drückte jede Beifallsbezeigung nieder. An den folgenden Tagen schlug man
sich um die Plätze. Der Polizeiminister erstattete natürlich sofort Rapport an
den Czar Nikolaus über die unerhörten Verbrechen, welche in idealer Kon¬
kurrenz in dieser Aufführung durcheinander wimmelten. Jeder einigermaßen
gewandte Kriminalist konnte mehrere hunderttausend Jahre Sibirien nebst
Milliarden Knutenhieben aus dem Hochverrätherischen Inhalt zusammenrechnen.
Da die Sache aber kein Verbrechen gegen die militärische Disziplin enthielt,
so behielt Nikolaus seine Ruhe und befahl zum Entsetzen des Polizeiministers,
das Stück sollte absolut unverändert wiederholt werden, er werde es selbst
ansehen und dann urtheilen. So geschah es. Und was enthielt das Lustspiel?
Es entwarf ein grelles, aber durchaus wahrheitsgetreues Gemälde der russi¬
schen „Tschinowniks" jener Zeit. '

In einer mittleren Stadt des inneren Rußland's sind die Beamten durch
einen wohlwollenden Gönner aus dem betreffenden Petersburger Bureau da¬
von in Kenntniß gesetzt worden, daß in Folge gewisser Vorfälle ein außer¬
ordentlicher Inspekteur a,ä too unterwegs sei, der Herz und Nieren prüfen
und demnächst inkognito unter irgend einer harmlosen Maske eintreffen werde.
Während die Spitzen der Behörden in einer drastischen Szene sich über die
Mittel berathen, mit denen man den gefürchteten Rhadamanthus am sichersten
„schmieren" könne, um ihn unschädlich zu machen, kommt die Nachricht, daß
ein eleganter Mann mit vornehmen Manieren im Gasthause logire und sich
als angeblich mittelloser Hochstapler gerire. Kein Zweifel — er ist's. Der
erkannte Inspekteur wird mit allen Ehrenbezeigungen und Geschenken über¬
häuft, ist sehr gutartiger Natur, lebt einige Tage herrlich und in Freuden,
pumpt den Einen der Honoratioren gründlich an, verlobt sich mit der Tochter
des Andern und fährt endlich davon auf Nimmerwiedersehen, während mitten
unter den Verblüfften der wirkliche Inspekteur erscheint.

Kaiser Nikolaus lachte und applaudirte dieser derben Persiflage seiner
Bureaukratie, gegen deren Macht und passiven Widerstand sein eigener Wille,
seine besten Bestrebungen so oft gescheitert waren, wenn er sich dies anch kaum
selbst mit voller Klarheit gestehen mochte. Er gönnte seinen Beamten die
Demüthigung. Dies kaiserliche Beifallsgelächter aber entfesselte einen Strom
von Satire in der russischen Literatur, das erste Zeichen eines beginnenden
Umschwungs, der freilich erst nach des Kaisers Tode zur Geltung kam. Traurig
aber ist es, wenn in Wahrheit gesagt werden konnte, daß die allgemeine Un-


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[0379] Dem talentvollen Gogol gelang es, Gott weiß durch welche Bestechungen und Intriguen, die Erlaubniß zur Aufführung eines Lustspiels auf dem kaiser¬ lichen Theater zu Petersburg zu erwirken. Das Stück hieß „Der Inspekteur". Am ersten Tage war das Publikum geradezu starr; die Kühnheit des Dichters drückte jede Beifallsbezeigung nieder. An den folgenden Tagen schlug man sich um die Plätze. Der Polizeiminister erstattete natürlich sofort Rapport an den Czar Nikolaus über die unerhörten Verbrechen, welche in idealer Kon¬ kurrenz in dieser Aufführung durcheinander wimmelten. Jeder einigermaßen gewandte Kriminalist konnte mehrere hunderttausend Jahre Sibirien nebst Milliarden Knutenhieben aus dem Hochverrätherischen Inhalt zusammenrechnen. Da die Sache aber kein Verbrechen gegen die militärische Disziplin enthielt, so behielt Nikolaus seine Ruhe und befahl zum Entsetzen des Polizeiministers, das Stück sollte absolut unverändert wiederholt werden, er werde es selbst ansehen und dann urtheilen. So geschah es. Und was enthielt das Lustspiel? Es entwarf ein grelles, aber durchaus wahrheitsgetreues Gemälde der russi¬ schen „Tschinowniks" jener Zeit. ' In einer mittleren Stadt des inneren Rußland's sind die Beamten durch einen wohlwollenden Gönner aus dem betreffenden Petersburger Bureau da¬ von in Kenntniß gesetzt worden, daß in Folge gewisser Vorfälle ein außer¬ ordentlicher Inspekteur a,ä too unterwegs sei, der Herz und Nieren prüfen und demnächst inkognito unter irgend einer harmlosen Maske eintreffen werde. Während die Spitzen der Behörden in einer drastischen Szene sich über die Mittel berathen, mit denen man den gefürchteten Rhadamanthus am sichersten „schmieren" könne, um ihn unschädlich zu machen, kommt die Nachricht, daß ein eleganter Mann mit vornehmen Manieren im Gasthause logire und sich als angeblich mittelloser Hochstapler gerire. Kein Zweifel — er ist's. Der erkannte Inspekteur wird mit allen Ehrenbezeigungen und Geschenken über¬ häuft, ist sehr gutartiger Natur, lebt einige Tage herrlich und in Freuden, pumpt den Einen der Honoratioren gründlich an, verlobt sich mit der Tochter des Andern und fährt endlich davon auf Nimmerwiedersehen, während mitten unter den Verblüfften der wirkliche Inspekteur erscheint. Kaiser Nikolaus lachte und applaudirte dieser derben Persiflage seiner Bureaukratie, gegen deren Macht und passiven Widerstand sein eigener Wille, seine besten Bestrebungen so oft gescheitert waren, wenn er sich dies anch kaum selbst mit voller Klarheit gestehen mochte. Er gönnte seinen Beamten die Demüthigung. Dies kaiserliche Beifallsgelächter aber entfesselte einen Strom von Satire in der russischen Literatur, das erste Zeichen eines beginnenden Umschwungs, der freilich erst nach des Kaisers Tode zur Geltung kam. Traurig aber ist es, wenn in Wahrheit gesagt werden konnte, daß die allgemeine Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/379>, abgerufen am 23.07.2024.