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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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auch nicht vollständig, schon im "Jungen Goethe". Loeper, der ja stets mit größter
Genauigkeit über dergleichen Dinge Rechenschaft gibt, ist hier nicht ganz kon¬
sequent verfahren; man vermißt in seiner Ausgabe bei Ur. 32 und 43 die
Notiz, die in den anderen Fällen nicht sehlt, daß auch diese Briefe schon vor
Frese's Publikation bekannt waren.

Wozu aber überhaupt nach weniger als zwei Jahren nochmals eine neue
Ausgabe dieser eben erst von Frese veröffentlichten Briefe? Nun, diese ist
wahrlich nicht überflüssig, und man kann Loeper nicht dankbar genug dafür sein.
Frese hat die Briefe nach Kopieen herausgegeben, die sich Fritz Schlosser, der
Neffe von Goethe's Schwager, 1806 ziemlich flüchtig von den ihm damals
vorliegenden Originalen gemacht hatte, und die jetzt von der Familie Bernus
auf Stift Neuburg aufbewahrt werden. Loeper dagegen hat 19 Briefe, etwa
zwei Drittel des gesammten Textes, nach den Goethe'schen Originalen heraus¬
gegeben, die sich im Besitz des Appellationsgerichtsraths von Lützow in Glogau,
einem Urenkel von Sophie La Roche, befinden. Auf diese Weise ist nicht nur
in dem größeren Theile der Briefe die echte Goethe'sche Schreibweise, welche
in den Schlosser'schen Abschriften vielfach willkürlich verändert erscheint, nun
genau reprodnzirt, sondern der Text der Briefe auch von einer Anzahl sinn¬
entstellender Fehler gereinigt worden. Vor allem aber hat Loeper, was Frese
nur sehr zum Theil gelungen ist, in einem reichhaltigen Kommentar fast alle in
den Briefen angedeuteten Beziehungen, auch die entlegensten, nachgewiesen und
hierdurch die ganze Brieffolge, die zum größten Theile undatirt ist, unzweifelhaft
richtig datirt, fo daß sie sich nun vortrefflich in die im "Jungen Goethe" ver¬
öffentlichte Sammlung einfügen und als biographische ebenso wie als literar-
geschichtliche Quelle bequem und zuversichtlich benutzen lassen Hierzu gehörte
freilich der unermüdliche Spürsinn und die bewundernswürdige Sachkenntniß
Loeper's.

Wer die Briefe Goethe's aus den Sturm- und Drangjahren in Hirzel's
Sammlung überblickt, dem muß ihr eigenthümlich abspringendes, aphoristisches,
andeutendes, orakelhaftes Wefen auffallen. Zum Theil mag diese Eigenthüm¬
lichkeit auf Rechnung des kraftgenialischen Gebcchrens jener Zeit überhaupt zu
setzen fein, zum Theil auf die immer neu genährte leidenschaftliche Erregung,
in der sich Goethe selber damals befand, zum Theil aber hängt sie sicher, wie
Frese richtig bemerkt, mit dem ganzen Charakter des Briefverkehrs jener Zeit
zusammen. Sie tritt ja keineswegs blos bei Goethe hervor. Briefe waren da¬
mals fast wie literarische Novitäten, sie gingen von Hand zu Hand, man zeigte
sie einander in Freundeskreisen, las daraus vor, schickte sie von einem Kreis in
den anderen. Leuchsenring, der auch zu dem La Roche'schen Kreise gehörte,
reiste förmlich in Briefschaften. "Er führte," wie Goethe selbst in ,Dichtung und


auch nicht vollständig, schon im „Jungen Goethe". Loeper, der ja stets mit größter
Genauigkeit über dergleichen Dinge Rechenschaft gibt, ist hier nicht ganz kon¬
sequent verfahren; man vermißt in seiner Ausgabe bei Ur. 32 und 43 die
Notiz, die in den anderen Fällen nicht sehlt, daß auch diese Briefe schon vor
Frese's Publikation bekannt waren.

Wozu aber überhaupt nach weniger als zwei Jahren nochmals eine neue
Ausgabe dieser eben erst von Frese veröffentlichten Briefe? Nun, diese ist
wahrlich nicht überflüssig, und man kann Loeper nicht dankbar genug dafür sein.
Frese hat die Briefe nach Kopieen herausgegeben, die sich Fritz Schlosser, der
Neffe von Goethe's Schwager, 1806 ziemlich flüchtig von den ihm damals
vorliegenden Originalen gemacht hatte, und die jetzt von der Familie Bernus
auf Stift Neuburg aufbewahrt werden. Loeper dagegen hat 19 Briefe, etwa
zwei Drittel des gesammten Textes, nach den Goethe'schen Originalen heraus¬
gegeben, die sich im Besitz des Appellationsgerichtsraths von Lützow in Glogau,
einem Urenkel von Sophie La Roche, befinden. Auf diese Weise ist nicht nur
in dem größeren Theile der Briefe die echte Goethe'sche Schreibweise, welche
in den Schlosser'schen Abschriften vielfach willkürlich verändert erscheint, nun
genau reprodnzirt, sondern der Text der Briefe auch von einer Anzahl sinn¬
entstellender Fehler gereinigt worden. Vor allem aber hat Loeper, was Frese
nur sehr zum Theil gelungen ist, in einem reichhaltigen Kommentar fast alle in
den Briefen angedeuteten Beziehungen, auch die entlegensten, nachgewiesen und
hierdurch die ganze Brieffolge, die zum größten Theile undatirt ist, unzweifelhaft
richtig datirt, fo daß sie sich nun vortrefflich in die im „Jungen Goethe" ver¬
öffentlichte Sammlung einfügen und als biographische ebenso wie als literar-
geschichtliche Quelle bequem und zuversichtlich benutzen lassen Hierzu gehörte
freilich der unermüdliche Spürsinn und die bewundernswürdige Sachkenntniß
Loeper's.

Wer die Briefe Goethe's aus den Sturm- und Drangjahren in Hirzel's
Sammlung überblickt, dem muß ihr eigenthümlich abspringendes, aphoristisches,
andeutendes, orakelhaftes Wefen auffallen. Zum Theil mag diese Eigenthüm¬
lichkeit auf Rechnung des kraftgenialischen Gebcchrens jener Zeit überhaupt zu
setzen fein, zum Theil auf die immer neu genährte leidenschaftliche Erregung,
in der sich Goethe selber damals befand, zum Theil aber hängt sie sicher, wie
Frese richtig bemerkt, mit dem ganzen Charakter des Briefverkehrs jener Zeit
zusammen. Sie tritt ja keineswegs blos bei Goethe hervor. Briefe waren da¬
mals fast wie literarische Novitäten, sie gingen von Hand zu Hand, man zeigte
sie einander in Freundeskreisen, las daraus vor, schickte sie von einem Kreis in
den anderen. Leuchsenring, der auch zu dem La Roche'schen Kreise gehörte,
reiste förmlich in Briefschaften. „Er führte," wie Goethe selbst in ,Dichtung und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/356>, abgerufen am 03.07.2024.