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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Wir beschäftigen uns für diesmal mit der umfänglicheren ersten Hälfte des
Buches, den Briefen an Frau von La Roche. Sophie von La Roche (geb. 1731
in Kaufbeuern) war die Tochter des Arztes Chutermcum. Sie kam früh in das
Haus ihres Großvaters nach Biberach, wo Wieland 1749 sie kennen lernte und
eine innige Neigung zu ihr faßte, nachdem sie vorher schon mit einem Italiener
verlobt gewesen war, von dem sie sich nach dem Willen ihres Vaters des Religions¬
unterschiedes wegen wieder hatte trennen müssen. Im Jahre 1753 heirathete sie
den kurmainzischen Rath Max La Roche, und an der Seite dieses Mannes, der
seit Anfang 1771 in angesehener Stellung und guten Verhältnissen als Wirk¬
licher Geheimer Rath des Kurfürsten von Trier in Ehrenbreitstein lebte, hielt
sie ein gastfreies Haus, welches von den "schönen Geistern" jener Zeit viel
heimgesucht wurde. Sie entwickelte auch selbst eine fruchtbare schriftstellerische
Thätigkeit, deren Erzeugnisse freilich längst vergessen sind. Ihren ersten, einst
vielgelesenen Roman: "Die Geschichte des Fräulein von Sternheim" gab 1771
Wieland heraus. Die Rezension über den zweiten Theil desselben, die Goethe im
Februar 1772 in die "Frankfurter Gelehrten Anzeigen" schrieb, und in der er
den ersten Theil gegen die abfülligen Kritiken, die dieser vielfach erfahren hatte,
feinfühlig in Schutz nimmt, ist der erste nachweisliche Berührungspunkt zwischen
ihm und der Schriftstellerin. Goethe's persönliche Bekanntschaft mit ihr wurde
im April 1772 in Frankfurt durch Merck vermittelt; sie war damals 41,
Goethe noch nicht 23 Jahre alt. Mitte September 1772 traf er, nachdem er
Wetzlar verlassen, als Gast in ihrem Hause ein und hier abermals mit Merck
zusammen. Sechs Wochen darauf, im Spätherbst 1772, begann Goethe von
Frankfurt aus mit ihr die Korrespondenz, von der uns ein Theil in den hier
zu besprechenden Briefen vorliegt, Der Brief, mit welchem Goethe die Korre¬
spondenz eröffnete, ist verloren; der erste hier mitgetheilte, von Ende November
1772, ist der zweite, den er überhaupt an sie geschrieben. Von da an ziehen
sich die Briefe in ununterbrochener Kette fort durch die Jahre 1773, 1774
und 1775 bis zu Goethe's Uebersiedelung nach Weimar. Der letzte ist am
11. Oktober 1775, also wenige Wochen vor dem Weggange nach Weimar
geschrieben. Ein einziger, der anhangsweise noch hinzugefügt ist, stammt aus
dem Jahre 1780.

Gänzlich unbekannt bis jetzt waren von den 44 hier vereinigten Briefen
freilich nur -- zwei, Ur. 16 und 44. Die übrigen 42 sind bereits 1877 von
Julius Frese in seinen "Goethe-Briefen aus Fritz Schlosser's Nachlaß" (Stutt¬
gart, C. Krabbe) S. 138--167 veröffentlicht worden, und, wie Frese angibt,
waren von diesen wiederum 4 schon in Ludmilla Ussing's Biographie der
Sophie von La Roche (1859) vollständig abgedruckt, von wo sie dann auch in
Hirzel's "Jungen Goethe" übergegangen sind. Ein fünfter findet sich ebenfalls, wenn


Wir beschäftigen uns für diesmal mit der umfänglicheren ersten Hälfte des
Buches, den Briefen an Frau von La Roche. Sophie von La Roche (geb. 1731
in Kaufbeuern) war die Tochter des Arztes Chutermcum. Sie kam früh in das
Haus ihres Großvaters nach Biberach, wo Wieland 1749 sie kennen lernte und
eine innige Neigung zu ihr faßte, nachdem sie vorher schon mit einem Italiener
verlobt gewesen war, von dem sie sich nach dem Willen ihres Vaters des Religions¬
unterschiedes wegen wieder hatte trennen müssen. Im Jahre 1753 heirathete sie
den kurmainzischen Rath Max La Roche, und an der Seite dieses Mannes, der
seit Anfang 1771 in angesehener Stellung und guten Verhältnissen als Wirk¬
licher Geheimer Rath des Kurfürsten von Trier in Ehrenbreitstein lebte, hielt
sie ein gastfreies Haus, welches von den „schönen Geistern" jener Zeit viel
heimgesucht wurde. Sie entwickelte auch selbst eine fruchtbare schriftstellerische
Thätigkeit, deren Erzeugnisse freilich längst vergessen sind. Ihren ersten, einst
vielgelesenen Roman: „Die Geschichte des Fräulein von Sternheim" gab 1771
Wieland heraus. Die Rezension über den zweiten Theil desselben, die Goethe im
Februar 1772 in die „Frankfurter Gelehrten Anzeigen" schrieb, und in der er
den ersten Theil gegen die abfülligen Kritiken, die dieser vielfach erfahren hatte,
feinfühlig in Schutz nimmt, ist der erste nachweisliche Berührungspunkt zwischen
ihm und der Schriftstellerin. Goethe's persönliche Bekanntschaft mit ihr wurde
im April 1772 in Frankfurt durch Merck vermittelt; sie war damals 41,
Goethe noch nicht 23 Jahre alt. Mitte September 1772 traf er, nachdem er
Wetzlar verlassen, als Gast in ihrem Hause ein und hier abermals mit Merck
zusammen. Sechs Wochen darauf, im Spätherbst 1772, begann Goethe von
Frankfurt aus mit ihr die Korrespondenz, von der uns ein Theil in den hier
zu besprechenden Briefen vorliegt, Der Brief, mit welchem Goethe die Korre¬
spondenz eröffnete, ist verloren; der erste hier mitgetheilte, von Ende November
1772, ist der zweite, den er überhaupt an sie geschrieben. Von da an ziehen
sich die Briefe in ununterbrochener Kette fort durch die Jahre 1773, 1774
und 1775 bis zu Goethe's Uebersiedelung nach Weimar. Der letzte ist am
11. Oktober 1775, also wenige Wochen vor dem Weggange nach Weimar
geschrieben. Ein einziger, der anhangsweise noch hinzugefügt ist, stammt aus
dem Jahre 1780.

Gänzlich unbekannt bis jetzt waren von den 44 hier vereinigten Briefen
freilich nur — zwei, Ur. 16 und 44. Die übrigen 42 sind bereits 1877 von
Julius Frese in seinen „Goethe-Briefen aus Fritz Schlosser's Nachlaß" (Stutt¬
gart, C. Krabbe) S. 138—167 veröffentlicht worden, und, wie Frese angibt,
waren von diesen wiederum 4 schon in Ludmilla Ussing's Biographie der
Sophie von La Roche (1859) vollständig abgedruckt, von wo sie dann auch in
Hirzel's „Jungen Goethe" übergegangen sind. Ein fünfter findet sich ebenfalls, wenn


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[0355] Wir beschäftigen uns für diesmal mit der umfänglicheren ersten Hälfte des Buches, den Briefen an Frau von La Roche. Sophie von La Roche (geb. 1731 in Kaufbeuern) war die Tochter des Arztes Chutermcum. Sie kam früh in das Haus ihres Großvaters nach Biberach, wo Wieland 1749 sie kennen lernte und eine innige Neigung zu ihr faßte, nachdem sie vorher schon mit einem Italiener verlobt gewesen war, von dem sie sich nach dem Willen ihres Vaters des Religions¬ unterschiedes wegen wieder hatte trennen müssen. Im Jahre 1753 heirathete sie den kurmainzischen Rath Max La Roche, und an der Seite dieses Mannes, der seit Anfang 1771 in angesehener Stellung und guten Verhältnissen als Wirk¬ licher Geheimer Rath des Kurfürsten von Trier in Ehrenbreitstein lebte, hielt sie ein gastfreies Haus, welches von den „schönen Geistern" jener Zeit viel heimgesucht wurde. Sie entwickelte auch selbst eine fruchtbare schriftstellerische Thätigkeit, deren Erzeugnisse freilich längst vergessen sind. Ihren ersten, einst vielgelesenen Roman: „Die Geschichte des Fräulein von Sternheim" gab 1771 Wieland heraus. Die Rezension über den zweiten Theil desselben, die Goethe im Februar 1772 in die „Frankfurter Gelehrten Anzeigen" schrieb, und in der er den ersten Theil gegen die abfülligen Kritiken, die dieser vielfach erfahren hatte, feinfühlig in Schutz nimmt, ist der erste nachweisliche Berührungspunkt zwischen ihm und der Schriftstellerin. Goethe's persönliche Bekanntschaft mit ihr wurde im April 1772 in Frankfurt durch Merck vermittelt; sie war damals 41, Goethe noch nicht 23 Jahre alt. Mitte September 1772 traf er, nachdem er Wetzlar verlassen, als Gast in ihrem Hause ein und hier abermals mit Merck zusammen. Sechs Wochen darauf, im Spätherbst 1772, begann Goethe von Frankfurt aus mit ihr die Korrespondenz, von der uns ein Theil in den hier zu besprechenden Briefen vorliegt, Der Brief, mit welchem Goethe die Korre¬ spondenz eröffnete, ist verloren; der erste hier mitgetheilte, von Ende November 1772, ist der zweite, den er überhaupt an sie geschrieben. Von da an ziehen sich die Briefe in ununterbrochener Kette fort durch die Jahre 1773, 1774 und 1775 bis zu Goethe's Uebersiedelung nach Weimar. Der letzte ist am 11. Oktober 1775, also wenige Wochen vor dem Weggange nach Weimar geschrieben. Ein einziger, der anhangsweise noch hinzugefügt ist, stammt aus dem Jahre 1780. Gänzlich unbekannt bis jetzt waren von den 44 hier vereinigten Briefen freilich nur — zwei, Ur. 16 und 44. Die übrigen 42 sind bereits 1877 von Julius Frese in seinen „Goethe-Briefen aus Fritz Schlosser's Nachlaß" (Stutt¬ gart, C. Krabbe) S. 138—167 veröffentlicht worden, und, wie Frese angibt, waren von diesen wiederum 4 schon in Ludmilla Ussing's Biographie der Sophie von La Roche (1859) vollständig abgedruckt, von wo sie dann auch in Hirzel's „Jungen Goethe" übergegangen sind. Ein fünfter findet sich ebenfalls, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/355>, abgerufen am 01.07.2024.