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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Rathhauses beraubt und darum gezwungen war, ihren Gottesdienst in einem
Privathause zu halten, so war dieselbe jetzt ganz von diesem Vertrage ausge¬
schlossen. Der Kurfürst war groß genug, dem Pfalzgrafen auch jetzt noch wie
bisher mit einem guten Beispiele voranzugehen. Er befahl der clevischen
Regierung nochmals ausdrücklich, in allen religiösen Streitfragen "Moderation
zu gebrauchen, damit man dem Pfalzgrafen und seinen Räthen zu gleichmäßiger
Vezeigung gegen die Evangelischen Ursach und Anlaß gebe". Im Jahre 1671
traten zu Bielefeld nochmals Abgesandte der pfalzgräflichen und kurfürstlichen
Regierung zusammen, um auf's neue über die Religionsfrage zu verhandeln.
Im allgemeinen ging man von den Bestimmungen des westphälischen Friedens
aus. Doch leistete man Verzicht auf das Recht der Landesverweisung wegen
des religiösen Bekenntnisses. Am 6. Mai 1672 wurde der Religionsvergleich
Zwischen Brandenburg und Pfalz Neuburg unterzeichnet. Er blieb in Kraft
bis zum Untergange des alten Reiches.

In den übrigen Ländern des kurbrandenburgischen Staates waren die
religiösen Verhältnisse einfacher als in Eleve, weil sich dort fast alles zu der
evangelischen Lehre bekannte. Nur in Preußen war die Lage schwieriger, weil
durch die Beziehungen zu dem katholischen Polen viele Verwickelungen geschaffen
Wurden. Ueberall aber bewies sich der Kurfürst gegen seine katholischen Unter¬
thanen so duldsam, daß sogar ein Gerücht aufkam, er sei im Herzen katholisch
gesinnt. In der That war die Haltung des Kurfürsten seinen evangelischen
Unterthanen gegenüber manchmal eine überraschende. Zu derselben Zeit, in
welcher der König von Frankreich das Edikt von Nantes widerrechtlich aufhob,
beschied der Kurfürst die Protestanten eines Dorfes im schwibuser Kreise,
welche ihn um Anstellung eines evangelischen Geistlichen ersucht hatten, ab¬
schlägig; und als sich dieselben dennoch einen Pfarrer gewählt hatten, befahl
er ihnen, die eigenmächtig eingerichtete Predigt abzustellen und dem katholischen
Pfarrer "schuldigen Respekt und Gebühr zu erweisen und zu geben".

Vergleicht man mit dieser Religionspolitik des großen Kurfürsten diejenige
aller übrigen Staaten in jener Zeit, so wird die außerordentliche Überlegen¬
heit derselben sofort ersichtlich. In Spanien, Italien und Polen galt bis in
Unsere Zeit die Mißhandlung der Evangelischen als ein nationaler Sport.
Frankreich wurden sie von allen politischen und bürgerlichen Rechten aus¬
geschlossen. Noch 1762 fiel hier das Haupt eines reformirten Predigers unter
dem Henkerbeile. In Oesterreich gab erst Joseph H. den Evangelischen eine
bescheidene staatsrechtliche Existenz. Der protestantische Norden, England, Däne¬
mark, Schweden, verhielt sich ähnlich gegen die Katholiken, wie der katholische
^uden gegen die Protestanten, wenn auch der große Unterschied nicht zu
übersehen ist, daß der erstere mit ganz vereinzelten Ausnahmen sich auf eine


Rathhauses beraubt und darum gezwungen war, ihren Gottesdienst in einem
Privathause zu halten, so war dieselbe jetzt ganz von diesem Vertrage ausge¬
schlossen. Der Kurfürst war groß genug, dem Pfalzgrafen auch jetzt noch wie
bisher mit einem guten Beispiele voranzugehen. Er befahl der clevischen
Regierung nochmals ausdrücklich, in allen religiösen Streitfragen „Moderation
zu gebrauchen, damit man dem Pfalzgrafen und seinen Räthen zu gleichmäßiger
Vezeigung gegen die Evangelischen Ursach und Anlaß gebe". Im Jahre 1671
traten zu Bielefeld nochmals Abgesandte der pfalzgräflichen und kurfürstlichen
Regierung zusammen, um auf's neue über die Religionsfrage zu verhandeln.
Im allgemeinen ging man von den Bestimmungen des westphälischen Friedens
aus. Doch leistete man Verzicht auf das Recht der Landesverweisung wegen
des religiösen Bekenntnisses. Am 6. Mai 1672 wurde der Religionsvergleich
Zwischen Brandenburg und Pfalz Neuburg unterzeichnet. Er blieb in Kraft
bis zum Untergange des alten Reiches.

In den übrigen Ländern des kurbrandenburgischen Staates waren die
religiösen Verhältnisse einfacher als in Eleve, weil sich dort fast alles zu der
evangelischen Lehre bekannte. Nur in Preußen war die Lage schwieriger, weil
durch die Beziehungen zu dem katholischen Polen viele Verwickelungen geschaffen
Wurden. Ueberall aber bewies sich der Kurfürst gegen seine katholischen Unter¬
thanen so duldsam, daß sogar ein Gerücht aufkam, er sei im Herzen katholisch
gesinnt. In der That war die Haltung des Kurfürsten seinen evangelischen
Unterthanen gegenüber manchmal eine überraschende. Zu derselben Zeit, in
welcher der König von Frankreich das Edikt von Nantes widerrechtlich aufhob,
beschied der Kurfürst die Protestanten eines Dorfes im schwibuser Kreise,
welche ihn um Anstellung eines evangelischen Geistlichen ersucht hatten, ab¬
schlägig; und als sich dieselben dennoch einen Pfarrer gewählt hatten, befahl
er ihnen, die eigenmächtig eingerichtete Predigt abzustellen und dem katholischen
Pfarrer „schuldigen Respekt und Gebühr zu erweisen und zu geben".

Vergleicht man mit dieser Religionspolitik des großen Kurfürsten diejenige
aller übrigen Staaten in jener Zeit, so wird die außerordentliche Überlegen¬
heit derselben sofort ersichtlich. In Spanien, Italien und Polen galt bis in
Unsere Zeit die Mißhandlung der Evangelischen als ein nationaler Sport.
Frankreich wurden sie von allen politischen und bürgerlichen Rechten aus¬
geschlossen. Noch 1762 fiel hier das Haupt eines reformirten Predigers unter
dem Henkerbeile. In Oesterreich gab erst Joseph H. den Evangelischen eine
bescheidene staatsrechtliche Existenz. Der protestantische Norden, England, Däne¬
mark, Schweden, verhielt sich ähnlich gegen die Katholiken, wie der katholische
^uden gegen die Protestanten, wenn auch der große Unterschied nicht zu
übersehen ist, daß der erstere mit ganz vereinzelten Ausnahmen sich auf eine


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[0351] Rathhauses beraubt und darum gezwungen war, ihren Gottesdienst in einem Privathause zu halten, so war dieselbe jetzt ganz von diesem Vertrage ausge¬ schlossen. Der Kurfürst war groß genug, dem Pfalzgrafen auch jetzt noch wie bisher mit einem guten Beispiele voranzugehen. Er befahl der clevischen Regierung nochmals ausdrücklich, in allen religiösen Streitfragen „Moderation zu gebrauchen, damit man dem Pfalzgrafen und seinen Räthen zu gleichmäßiger Vezeigung gegen die Evangelischen Ursach und Anlaß gebe". Im Jahre 1671 traten zu Bielefeld nochmals Abgesandte der pfalzgräflichen und kurfürstlichen Regierung zusammen, um auf's neue über die Religionsfrage zu verhandeln. Im allgemeinen ging man von den Bestimmungen des westphälischen Friedens aus. Doch leistete man Verzicht auf das Recht der Landesverweisung wegen des religiösen Bekenntnisses. Am 6. Mai 1672 wurde der Religionsvergleich Zwischen Brandenburg und Pfalz Neuburg unterzeichnet. Er blieb in Kraft bis zum Untergange des alten Reiches. In den übrigen Ländern des kurbrandenburgischen Staates waren die religiösen Verhältnisse einfacher als in Eleve, weil sich dort fast alles zu der evangelischen Lehre bekannte. Nur in Preußen war die Lage schwieriger, weil durch die Beziehungen zu dem katholischen Polen viele Verwickelungen geschaffen Wurden. Ueberall aber bewies sich der Kurfürst gegen seine katholischen Unter¬ thanen so duldsam, daß sogar ein Gerücht aufkam, er sei im Herzen katholisch gesinnt. In der That war die Haltung des Kurfürsten seinen evangelischen Unterthanen gegenüber manchmal eine überraschende. Zu derselben Zeit, in welcher der König von Frankreich das Edikt von Nantes widerrechtlich aufhob, beschied der Kurfürst die Protestanten eines Dorfes im schwibuser Kreise, welche ihn um Anstellung eines evangelischen Geistlichen ersucht hatten, ab¬ schlägig; und als sich dieselben dennoch einen Pfarrer gewählt hatten, befahl er ihnen, die eigenmächtig eingerichtete Predigt abzustellen und dem katholischen Pfarrer „schuldigen Respekt und Gebühr zu erweisen und zu geben". Vergleicht man mit dieser Religionspolitik des großen Kurfürsten diejenige aller übrigen Staaten in jener Zeit, so wird die außerordentliche Überlegen¬ heit derselben sofort ersichtlich. In Spanien, Italien und Polen galt bis in Unsere Zeit die Mißhandlung der Evangelischen als ein nationaler Sport. Frankreich wurden sie von allen politischen und bürgerlichen Rechten aus¬ geschlossen. Noch 1762 fiel hier das Haupt eines reformirten Predigers unter dem Henkerbeile. In Oesterreich gab erst Joseph H. den Evangelischen eine bescheidene staatsrechtliche Existenz. Der protestantische Norden, England, Däne¬ mark, Schweden, verhielt sich ähnlich gegen die Katholiken, wie der katholische ^uden gegen die Protestanten, wenn auch der große Unterschied nicht zu übersehen ist, daß der erstere mit ganz vereinzelten Ausnahmen sich auf eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/351>, abgerufen am 03.07.2024.