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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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litem überaus günstige Jahr 1624 als Normaljahr aufstellte, so beeilte sich
der Pfalzgraf, das Religionswesen schleunigst auf den Stand des letzteren
Jahres zu bringen, trotz des mit dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm geschlos-,
selten Provisioualvergleiches. Da griff der Kurfürst, nachdem alle friedlichen
Mittel erschöpft waren, im Jahre 1651 zum Schwerte. Aber er unterlag und
mußte einen neuen, wenig günstigen Vertrag eingehen. Eine Kommission sollte
prüfen, ob die ReVersalien von 1609 oder das instrurQSQtum, xaeis von 1647
in Jülich-Cleve giltig seien; bis zur Entscheidung sollte der ses.tu,s <zuo auf¬
recht erhalten werden. Diesen Zeitraum benutzte der Pfalzgraf, um die Evan¬
gelischen seines Landes in der gewaltthätigsten Weise zu mißhandeln. Sie
mußten sich äußerlich in jeder Beziehung so geben, als ob sie Katholiken wären.
Sie mußten bei Prozessionen Gras und Blumen streuen, vor der Monstranz
niederknieen u. s. w. Eine der schnödesten Leistungen dieser Politik war wohl
die, daß im Jahre 1657 der Tochter eines reformirten Predigers die Einkünfte
mit Beschlag belegt wurden, weil ihr Vater 1628 unbefugter Weise getauft
haben sollte. Evangelischen Handwerkern, welche sich an einem Orte nieder¬
lassen wollten, wurde zur Bedingung gemacht, vorher katholisch zu werden.
Ein katholischer Geistlicher ließ durch Glockenschlag seine Pfarrkinder zusammen¬
berufen und verjagte an ihrer Spitze die Leute, welche einem Protestanten das
Grab gruben. Ein anderer Geistlicher stellte sich, um das Begräbniß eines
Reformirten zu verhindern, selbst in das Grab und stieß die Mutter mit dem
Sarge ihres Kindes über den Haufen. >>

Dieser Fanatismus der katholischen pfalzgräflichen Regierung ist das
dunkle Gegenbild zu der duldsamer und gerechten Regierung des protestantischen
Kurfürsten. Als die Gewaltthätigkeiten des von Jesuiten beherrschten Wolfgang
Wilhelm kein Ende nehmen wollten, entschloß sich der Kurfürst im Jahre 1663
zu Repressalien. Er wies die Kapuziner aus Cleve. Es war, wie er selber
sagt, ein "von Mir wider Meinen Willen zur Hand genommenes Gegenmittel".
Und selbst diese milde Repressalie wurde bereits im folgenden Jahre zurückge¬
nommen. Sogar die dem Kurfürsten abgeneigten clevischen Stände stellten die
Gerechtigkeit seiner Religionspolitik dem Pfalzgrafen als Muster auf, und der
König von Frankreich dankte dem Kurfürsten für die gütige Behandlung der
clevifchen Katholiken. Nachdem der Vertrag von Dörfler nicht ratifizirt worden
war, kam endlich im Jahre 1666 zu Cleve ein Rezeß zu Stande, welcher den
Evangelischen einige höchst spärliche und unsichere Zugeständnisse machte. Aber
selbst diese wurden durch die jesuitische Sophistik der pfalzgräflichen Regierung
umgangen. Unter öffentlicher Religionsübung verstand sie den Gottesdienst in
Kirchen oder in anderen, zu diesem Zwecke bestimmten öffentlichen Gebäuden.
Wenn also eine evangelische Gemeinde im Jahre 1624 ihrer Kirche oder ihres


litem überaus günstige Jahr 1624 als Normaljahr aufstellte, so beeilte sich
der Pfalzgraf, das Religionswesen schleunigst auf den Stand des letzteren
Jahres zu bringen, trotz des mit dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm geschlos-,
selten Provisioualvergleiches. Da griff der Kurfürst, nachdem alle friedlichen
Mittel erschöpft waren, im Jahre 1651 zum Schwerte. Aber er unterlag und
mußte einen neuen, wenig günstigen Vertrag eingehen. Eine Kommission sollte
prüfen, ob die ReVersalien von 1609 oder das instrurQSQtum, xaeis von 1647
in Jülich-Cleve giltig seien; bis zur Entscheidung sollte der ses.tu,s <zuo auf¬
recht erhalten werden. Diesen Zeitraum benutzte der Pfalzgraf, um die Evan¬
gelischen seines Landes in der gewaltthätigsten Weise zu mißhandeln. Sie
mußten sich äußerlich in jeder Beziehung so geben, als ob sie Katholiken wären.
Sie mußten bei Prozessionen Gras und Blumen streuen, vor der Monstranz
niederknieen u. s. w. Eine der schnödesten Leistungen dieser Politik war wohl
die, daß im Jahre 1657 der Tochter eines reformirten Predigers die Einkünfte
mit Beschlag belegt wurden, weil ihr Vater 1628 unbefugter Weise getauft
haben sollte. Evangelischen Handwerkern, welche sich an einem Orte nieder¬
lassen wollten, wurde zur Bedingung gemacht, vorher katholisch zu werden.
Ein katholischer Geistlicher ließ durch Glockenschlag seine Pfarrkinder zusammen¬
berufen und verjagte an ihrer Spitze die Leute, welche einem Protestanten das
Grab gruben. Ein anderer Geistlicher stellte sich, um das Begräbniß eines
Reformirten zu verhindern, selbst in das Grab und stieß die Mutter mit dem
Sarge ihres Kindes über den Haufen. >>

Dieser Fanatismus der katholischen pfalzgräflichen Regierung ist das
dunkle Gegenbild zu der duldsamer und gerechten Regierung des protestantischen
Kurfürsten. Als die Gewaltthätigkeiten des von Jesuiten beherrschten Wolfgang
Wilhelm kein Ende nehmen wollten, entschloß sich der Kurfürst im Jahre 1663
zu Repressalien. Er wies die Kapuziner aus Cleve. Es war, wie er selber
sagt, ein „von Mir wider Meinen Willen zur Hand genommenes Gegenmittel".
Und selbst diese milde Repressalie wurde bereits im folgenden Jahre zurückge¬
nommen. Sogar die dem Kurfürsten abgeneigten clevischen Stände stellten die
Gerechtigkeit seiner Religionspolitik dem Pfalzgrafen als Muster auf, und der
König von Frankreich dankte dem Kurfürsten für die gütige Behandlung der
clevifchen Katholiken. Nachdem der Vertrag von Dörfler nicht ratifizirt worden
war, kam endlich im Jahre 1666 zu Cleve ein Rezeß zu Stande, welcher den
Evangelischen einige höchst spärliche und unsichere Zugeständnisse machte. Aber
selbst diese wurden durch die jesuitische Sophistik der pfalzgräflichen Regierung
umgangen. Unter öffentlicher Religionsübung verstand sie den Gottesdienst in
Kirchen oder in anderen, zu diesem Zwecke bestimmten öffentlichen Gebäuden.
Wenn also eine evangelische Gemeinde im Jahre 1624 ihrer Kirche oder ihres


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/350>, abgerufen am 03.07.2024.