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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Musikers, vor allem des Dichters als einen Zustand, in dem er von einem
Gotte erfüllt sei; und die Entwickelung der Religion der Griechen beruht vor¬
zugsweise auf den Anschauungen ihrer Dichter als der Dolmetscher oder auch
als der Reformatoren des Volksglaubens. Homer's Gesänge waren die Bibel
der Griechen; und jene Annäherung des Polytheismus an den Monotheismus,
welche sich auch in Griechenland vollzog, war das Werk der großen Dichter
des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, eines Aeschylos, eines Sophokles, eines
Pindar. Aber auch bei den Jsraeliten waren Musik und Dichtkunst Erzeug¬
nisse der Religion. Da das ganze geistige und gesellige Leben derselben auf
der Religion beruhte, so steht von vornherein fest, daß ihre Kunst aus religiö¬
sen Motiven hervorging. Freilich der schlichte, fromme Bibelleser glaubt oft
nur Religion zu genießen, wenn er in den von Luther übersetzten Psalmen
seiner Bibel blättert. Aber athmen diese nicht in demselben Grade Poesie, wie
Religion? Wer erkennt nicht an, daß sich die göttliche Weltverwaltnng in der
heiligen Schrift in den Engeln poetisch verkörpert, auch dann, wenn ihm die
Engel mehr sind, als bloße Gebilde der Poesie? Wer leugnet die Poesie des
deutschen Weihnachtsfestes, wenn es ihm auch mehr ist, als Poesie? Im wei¬
teren Sinne des Wortes ist sogar die poetische Sprache der Religion wesentlich.
Alle wirkliche Religion ist verknüpft mit einer Begeisterung oder doch Gefühls¬
und Gemüthserregung, für welche die reine, bare, gleichsam am Boden schlei¬
chende Prosa kein angemessener Ausdruck ist. Die Religionswissenschaft, die
Theologie, darf zwar, muß sogar sich in der nackten und bildlosen Sprache
begrifflicher Erörterung bewegen; aber das ist nicht die Sprache der Religion
selbst. Namentlich ist kein einziger Bestandtheil des Kultus rein prosaisch und
ohne alle Fühlung mit der Kunst. Auch der christliche, auch der evangelische
Gottesdienst hat sinnbildliche Bestandtheile: Symbolisches liegt nicht nur in
den Handbewegungen des segnenden Priesters, sondern auch in der Sakra-
Nientsfeier, und zwar in der letzteren auch dann, wenn zugleich mehr als Sym¬
bolisches in diese hineingelegt wird. Daß, was die Gemeinde im Gottesdienst
s'Ugt, religiöse Gedichte sind, ist schon erwähnt, und wenn der poetische In¬
halt derjenigen, die wir singen, ^zum Theil gering ist: so ist das Schicksal, aber
uicht Nothwendigkeit. Das Uebrige aber ist freilich nicht vorwiegend symbo¬
lisch oder rhythmisch, jedoch noch viel weniger rein prosaisch. Ein von Herzen
kommendes Gebet, welches im Gottesdienst gesprochen wird, kann nicht bare
Prosa sein, ebensowenig eine Predigt. Freilich ist Rhetorik noch nicht Poesie;
aber im weiteren Sinne des Wortes muß der Prediger, mag er göttliche und
Menschliche Dinge schildern oder den Willen strafen, erwecken und begeistern
"der heilige Empfindungen darstellen wollen, sich zu einer gehobenen Aus¬
drucksweise emporschwingen, welche niemals ohne poetische Elemente sein kann.


Grenzboten I, 137". 4V

Musikers, vor allem des Dichters als einen Zustand, in dem er von einem
Gotte erfüllt sei; und die Entwickelung der Religion der Griechen beruht vor¬
zugsweise auf den Anschauungen ihrer Dichter als der Dolmetscher oder auch
als der Reformatoren des Volksglaubens. Homer's Gesänge waren die Bibel
der Griechen; und jene Annäherung des Polytheismus an den Monotheismus,
welche sich auch in Griechenland vollzog, war das Werk der großen Dichter
des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, eines Aeschylos, eines Sophokles, eines
Pindar. Aber auch bei den Jsraeliten waren Musik und Dichtkunst Erzeug¬
nisse der Religion. Da das ganze geistige und gesellige Leben derselben auf
der Religion beruhte, so steht von vornherein fest, daß ihre Kunst aus religiö¬
sen Motiven hervorging. Freilich der schlichte, fromme Bibelleser glaubt oft
nur Religion zu genießen, wenn er in den von Luther übersetzten Psalmen
seiner Bibel blättert. Aber athmen diese nicht in demselben Grade Poesie, wie
Religion? Wer erkennt nicht an, daß sich die göttliche Weltverwaltnng in der
heiligen Schrift in den Engeln poetisch verkörpert, auch dann, wenn ihm die
Engel mehr sind, als bloße Gebilde der Poesie? Wer leugnet die Poesie des
deutschen Weihnachtsfestes, wenn es ihm auch mehr ist, als Poesie? Im wei¬
teren Sinne des Wortes ist sogar die poetische Sprache der Religion wesentlich.
Alle wirkliche Religion ist verknüpft mit einer Begeisterung oder doch Gefühls¬
und Gemüthserregung, für welche die reine, bare, gleichsam am Boden schlei¬
chende Prosa kein angemessener Ausdruck ist. Die Religionswissenschaft, die
Theologie, darf zwar, muß sogar sich in der nackten und bildlosen Sprache
begrifflicher Erörterung bewegen; aber das ist nicht die Sprache der Religion
selbst. Namentlich ist kein einziger Bestandtheil des Kultus rein prosaisch und
ohne alle Fühlung mit der Kunst. Auch der christliche, auch der evangelische
Gottesdienst hat sinnbildliche Bestandtheile: Symbolisches liegt nicht nur in
den Handbewegungen des segnenden Priesters, sondern auch in der Sakra-
Nientsfeier, und zwar in der letzteren auch dann, wenn zugleich mehr als Sym¬
bolisches in diese hineingelegt wird. Daß, was die Gemeinde im Gottesdienst
s'Ugt, religiöse Gedichte sind, ist schon erwähnt, und wenn der poetische In¬
halt derjenigen, die wir singen, ^zum Theil gering ist: so ist das Schicksal, aber
uicht Nothwendigkeit. Das Uebrige aber ist freilich nicht vorwiegend symbo¬
lisch oder rhythmisch, jedoch noch viel weniger rein prosaisch. Ein von Herzen
kommendes Gebet, welches im Gottesdienst gesprochen wird, kann nicht bare
Prosa sein, ebensowenig eine Predigt. Freilich ist Rhetorik noch nicht Poesie;
aber im weiteren Sinne des Wortes muß der Prediger, mag er göttliche und
Menschliche Dinge schildern oder den Willen strafen, erwecken und begeistern
"der heilige Empfindungen darstellen wollen, sich zu einer gehobenen Aus¬
drucksweise emporschwingen, welche niemals ohne poetische Elemente sein kann.


Grenzboten I, 137». 4V
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[0317] Musikers, vor allem des Dichters als einen Zustand, in dem er von einem Gotte erfüllt sei; und die Entwickelung der Religion der Griechen beruht vor¬ zugsweise auf den Anschauungen ihrer Dichter als der Dolmetscher oder auch als der Reformatoren des Volksglaubens. Homer's Gesänge waren die Bibel der Griechen; und jene Annäherung des Polytheismus an den Monotheismus, welche sich auch in Griechenland vollzog, war das Werk der großen Dichter des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, eines Aeschylos, eines Sophokles, eines Pindar. Aber auch bei den Jsraeliten waren Musik und Dichtkunst Erzeug¬ nisse der Religion. Da das ganze geistige und gesellige Leben derselben auf der Religion beruhte, so steht von vornherein fest, daß ihre Kunst aus religiö¬ sen Motiven hervorging. Freilich der schlichte, fromme Bibelleser glaubt oft nur Religion zu genießen, wenn er in den von Luther übersetzten Psalmen seiner Bibel blättert. Aber athmen diese nicht in demselben Grade Poesie, wie Religion? Wer erkennt nicht an, daß sich die göttliche Weltverwaltnng in der heiligen Schrift in den Engeln poetisch verkörpert, auch dann, wenn ihm die Engel mehr sind, als bloße Gebilde der Poesie? Wer leugnet die Poesie des deutschen Weihnachtsfestes, wenn es ihm auch mehr ist, als Poesie? Im wei¬ teren Sinne des Wortes ist sogar die poetische Sprache der Religion wesentlich. Alle wirkliche Religion ist verknüpft mit einer Begeisterung oder doch Gefühls¬ und Gemüthserregung, für welche die reine, bare, gleichsam am Boden schlei¬ chende Prosa kein angemessener Ausdruck ist. Die Religionswissenschaft, die Theologie, darf zwar, muß sogar sich in der nackten und bildlosen Sprache begrifflicher Erörterung bewegen; aber das ist nicht die Sprache der Religion selbst. Namentlich ist kein einziger Bestandtheil des Kultus rein prosaisch und ohne alle Fühlung mit der Kunst. Auch der christliche, auch der evangelische Gottesdienst hat sinnbildliche Bestandtheile: Symbolisches liegt nicht nur in den Handbewegungen des segnenden Priesters, sondern auch in der Sakra- Nientsfeier, und zwar in der letzteren auch dann, wenn zugleich mehr als Sym¬ bolisches in diese hineingelegt wird. Daß, was die Gemeinde im Gottesdienst s'Ugt, religiöse Gedichte sind, ist schon erwähnt, und wenn der poetische In¬ halt derjenigen, die wir singen, ^zum Theil gering ist: so ist das Schicksal, aber uicht Nothwendigkeit. Das Uebrige aber ist freilich nicht vorwiegend symbo¬ lisch oder rhythmisch, jedoch noch viel weniger rein prosaisch. Ein von Herzen kommendes Gebet, welches im Gottesdienst gesprochen wird, kann nicht bare Prosa sein, ebensowenig eine Predigt. Freilich ist Rhetorik noch nicht Poesie; aber im weiteren Sinne des Wortes muß der Prediger, mag er göttliche und Menschliche Dinge schildern oder den Willen strafen, erwecken und begeistern "der heilige Empfindungen darstellen wollen, sich zu einer gehobenen Aus¬ drucksweise emporschwingen, welche niemals ohne poetische Elemente sein kann. Grenzboten I, 137». 4V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/317>, abgerufen am 23.07.2024.