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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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und hierfür ließen sich leicht noch weitere Belege beibringen. Wir wollen aber
nur noch einen Ausspruch von ihm anführen, nämlich die Worte: "Ich muß
ordentlichen Aberglauben zu Jesus haben; der Aberglaube -- setzt er hinzu --
ist überhaupt nothwendiger zur Religion, als man gewöhnlich glaubt." Auch
Schelling hat übrigens gelegentlich gesagt, jede Religion, sofern sie theoretisch
sei, könne nur poetische Wahrheit haben, und nur als Mythologie sei sie wahr.
Das war freilich für Schelling nicht sein letztes Wort.

Wir stehen am Ende unseres geschichtliche Ueberblicks. Die Verschmel¬
zung von Poesie und Religion, die er uns zuletzt zeigte, war in den Augen
der Romantiker nun freilich Ausdruck unbedingter Hochschätzung der Religion;
dennoch mußte sie verhängnißvoll werden für die Schätzung der Frömmigkeit.
Denn wurde der Satz, Religion und Poesie sei im Grunde dasselbe, von
solchen nachgesprochen, welche der Phantasie nur einen relativen Werth bei¬
legten oder dieselbe sogar für eine störende Macht im menschlichen Geistesleben
erachteten, so konnte man im besten Fall zu dem Urtheil gelangen: Die
Religion ist allerdings Poesie, und wir bedürfen der Poesie, weil wir der
Ideale bedürfen; sie ist jedoch nur ein schönes Ideal; sie erhebt uns über den
drückenden Zwang des Wirklichen zu einer Welt der Ideale,! aber unwirk¬
licher, eingebildeter Ideale/") So denken gerade heute uicht wenige der Hoch¬
gebildeten. Aber auch die andere Möglichkeit verwirklichte sich, und zwar
durch Ludwig Feuerbach, welcher alle Religion, weil sie ja nur Sache der
Phantasie sei, als eine Krankheitserscheinung unserer Natur bezeichnete.

Sollen wir nun, gewarnt durch jene Uebertreibungen und durch diese
Schlußfolgerungen, zurückkehren zu dem Satze der Aufklärer: Die Religion
hat mit der Poesie nichts zu schaffen, sie muß vielmehr von derselben gesäubert
werden? Nein, das sollen wir nicht, weil wir es nicht können. Zunächst ist
im Dienste der Religion die Kunst unentbehrlich, die Kunst ein nothwendiges
Organ der Religion, aus der sie ja auch hervorgegangen ist, bei den Griechen
wie bei den Jsraeliten. Denn den ersten Anlaß zur Hervorbildung der Bau¬
kunst und der Skulptur gab der Drang, den Göttern Tempel zu errichten und
die Götter selbst in idealen Formen darzustellen. Den Anlaß zur Ausbildung
der Musik und Poesie gab das Bedürfniß, die Götter und ihre Segnungen
zu besingen und zu preisen. Wenn die Mythologie gewissermaßen eine poeti¬
sche Naturkunde und eine poetische Philosophie ist, so ist sie noch viel mehr
eine Verbindung von Religion und Poesie. Die Alten betrachteten ja auch
nicht nur die religiöse Begeisterung, sondern auch die Begeisterung des



*) Vgl. Albert Lange, Gesch. des Materialismus, 2. Aufl. Leipzig, 1876, 2. Vaud,
S. 484 s. und dazu O, Pfleiderer, a. a. O. S. 176 f.

und hierfür ließen sich leicht noch weitere Belege beibringen. Wir wollen aber
nur noch einen Ausspruch von ihm anführen, nämlich die Worte: „Ich muß
ordentlichen Aberglauben zu Jesus haben; der Aberglaube — setzt er hinzu —
ist überhaupt nothwendiger zur Religion, als man gewöhnlich glaubt." Auch
Schelling hat übrigens gelegentlich gesagt, jede Religion, sofern sie theoretisch
sei, könne nur poetische Wahrheit haben, und nur als Mythologie sei sie wahr.
Das war freilich für Schelling nicht sein letztes Wort.

Wir stehen am Ende unseres geschichtliche Ueberblicks. Die Verschmel¬
zung von Poesie und Religion, die er uns zuletzt zeigte, war in den Augen
der Romantiker nun freilich Ausdruck unbedingter Hochschätzung der Religion;
dennoch mußte sie verhängnißvoll werden für die Schätzung der Frömmigkeit.
Denn wurde der Satz, Religion und Poesie sei im Grunde dasselbe, von
solchen nachgesprochen, welche der Phantasie nur einen relativen Werth bei¬
legten oder dieselbe sogar für eine störende Macht im menschlichen Geistesleben
erachteten, so konnte man im besten Fall zu dem Urtheil gelangen: Die
Religion ist allerdings Poesie, und wir bedürfen der Poesie, weil wir der
Ideale bedürfen; sie ist jedoch nur ein schönes Ideal; sie erhebt uns über den
drückenden Zwang des Wirklichen zu einer Welt der Ideale,! aber unwirk¬
licher, eingebildeter Ideale/") So denken gerade heute uicht wenige der Hoch¬
gebildeten. Aber auch die andere Möglichkeit verwirklichte sich, und zwar
durch Ludwig Feuerbach, welcher alle Religion, weil sie ja nur Sache der
Phantasie sei, als eine Krankheitserscheinung unserer Natur bezeichnete.

Sollen wir nun, gewarnt durch jene Uebertreibungen und durch diese
Schlußfolgerungen, zurückkehren zu dem Satze der Aufklärer: Die Religion
hat mit der Poesie nichts zu schaffen, sie muß vielmehr von derselben gesäubert
werden? Nein, das sollen wir nicht, weil wir es nicht können. Zunächst ist
im Dienste der Religion die Kunst unentbehrlich, die Kunst ein nothwendiges
Organ der Religion, aus der sie ja auch hervorgegangen ist, bei den Griechen
wie bei den Jsraeliten. Denn den ersten Anlaß zur Hervorbildung der Bau¬
kunst und der Skulptur gab der Drang, den Göttern Tempel zu errichten und
die Götter selbst in idealen Formen darzustellen. Den Anlaß zur Ausbildung
der Musik und Poesie gab das Bedürfniß, die Götter und ihre Segnungen
zu besingen und zu preisen. Wenn die Mythologie gewissermaßen eine poeti¬
sche Naturkunde und eine poetische Philosophie ist, so ist sie noch viel mehr
eine Verbindung von Religion und Poesie. Die Alten betrachteten ja auch
nicht nur die religiöse Begeisterung, sondern auch die Begeisterung des



*) Vgl. Albert Lange, Gesch. des Materialismus, 2. Aufl. Leipzig, 1876, 2. Vaud,
S. 484 s. und dazu O, Pfleiderer, a. a. O. S. 176 f.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/316>, abgerufen am 23.07.2024.