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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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entgegenstehen, als die Börsen unseres Publikums, die auch beim Aufbau von
Idealen nicht außer Acht zu lassen sind.

Springer's Doppelbwgraphie bildet den zweiten Band des von Dr. Dohme
unter Mitwirkung von Fachgenossen Heransgegebenen Sammelwerks "Kunst und
Künstler des Mittelalters und der Neuzeit. Biographien und Charakteristiken."
Obwohl es dem Umfange nach über die Grenzen dieses umfassenden Sammel¬
werks weit hinausgegangen ist, hält es doch im Großen und Ganzen den Ton
fest, welcher für das auf ein größeres, gebildetes Publikum berechnete Werk
maßgebend war. Indessen hat sich der Verfasser entschlossen, am Ende seines
Werkes ans 38 Seiten anch dem Gelehrten Rechenschaft über seine Quellen und
sein kritisches Verfahren abzulegen, und da der Verleger von der Schrift in
richtiger Würdigung ihres Werthes eine Separatausgabe veranstaltet hat,*) so
beansprucht dieselbe eine besondere Beachtung als ein selbständiges Werk, auf
dessen Beurtheilung der Charakter jenes Sammelwerks nicht mehr von Einfluß
sein darf.

Das Unternehmen, Raffael's und Michel Angelo's schöpferische Thätigkeit
zik einer Doppelbiographie zu verweben, erscheint auf den ersten Blick als ein
sehr verlockendes und dankbares. Fast vierzig Jahre hindurch laufen die
Lebensfüden beider Männer nebeneinander her. Bestimmte Momente ans dem
Leben des Einen lassen sich Momenten aus dem Leben des Andern gegenüber¬
stellen und zu kunstvollen Gruppen ordnen. Ohne den Gang der Ereignisse
zu verwirren, kann der Historiker von deMEinen zum Andern hinüberspringen,
ohne den Ersteren ganz aus dem Auge zu verlieren. Sieht man jedoch schärfer
zu, so zeigt sich das Unternehmen schon in einem weniger günstigen Lichte.
Die Berührungspunkte zwischen Raffael und Michel Angelo waren im Grunde
genommen doch recht oberflächlicher Natur. Ueber Raffael's Charakter sind
wir nur aus Quellen unterrichtet, die für uns sekundäre Bedeutung haben.
Seine wenigen Briefe und Sonette geben uns darüber nur dürftigen Auf¬
schluß, während uns das imposante Charakterbild Michel Angelo's ans seiner
Korrespondenz in vollster Klarheit und Schärfe entgegentritt. Wenn es uns
gestattet ist, nach diesem Charakterbilde einen Schluß auf das persönliche Ver¬
hältniß Michel Angelo's zu Raffael zu ziehen, so kann dieses nur ein unge-
mein kühles gewesen sein. Die glänzenden Erfolge Raffael's mögen im Herzen
Michel Angelo's bitteren Groll hervorgerufen haben, der durch eigene traurige
Lebenserfahrungen noch vermehrt wurde. Aus der schmerzlich durchfurchten
Stirn Michel Angelo's lesen wir, daß die Sonne des Glücks niemals sein



Raffael und Michel Angelo von Anton Springer. Mit Illustrationen. 824
S. hoch Quart. Leipzig, E> A. Seemann.

entgegenstehen, als die Börsen unseres Publikums, die auch beim Aufbau von
Idealen nicht außer Acht zu lassen sind.

Springer's Doppelbwgraphie bildet den zweiten Band des von Dr. Dohme
unter Mitwirkung von Fachgenossen Heransgegebenen Sammelwerks „Kunst und
Künstler des Mittelalters und der Neuzeit. Biographien und Charakteristiken."
Obwohl es dem Umfange nach über die Grenzen dieses umfassenden Sammel¬
werks weit hinausgegangen ist, hält es doch im Großen und Ganzen den Ton
fest, welcher für das auf ein größeres, gebildetes Publikum berechnete Werk
maßgebend war. Indessen hat sich der Verfasser entschlossen, am Ende seines
Werkes ans 38 Seiten anch dem Gelehrten Rechenschaft über seine Quellen und
sein kritisches Verfahren abzulegen, und da der Verleger von der Schrift in
richtiger Würdigung ihres Werthes eine Separatausgabe veranstaltet hat,*) so
beansprucht dieselbe eine besondere Beachtung als ein selbständiges Werk, auf
dessen Beurtheilung der Charakter jenes Sammelwerks nicht mehr von Einfluß
sein darf.

Das Unternehmen, Raffael's und Michel Angelo's schöpferische Thätigkeit
zik einer Doppelbiographie zu verweben, erscheint auf den ersten Blick als ein
sehr verlockendes und dankbares. Fast vierzig Jahre hindurch laufen die
Lebensfüden beider Männer nebeneinander her. Bestimmte Momente ans dem
Leben des Einen lassen sich Momenten aus dem Leben des Andern gegenüber¬
stellen und zu kunstvollen Gruppen ordnen. Ohne den Gang der Ereignisse
zu verwirren, kann der Historiker von deMEinen zum Andern hinüberspringen,
ohne den Ersteren ganz aus dem Auge zu verlieren. Sieht man jedoch schärfer
zu, so zeigt sich das Unternehmen schon in einem weniger günstigen Lichte.
Die Berührungspunkte zwischen Raffael und Michel Angelo waren im Grunde
genommen doch recht oberflächlicher Natur. Ueber Raffael's Charakter sind
wir nur aus Quellen unterrichtet, die für uns sekundäre Bedeutung haben.
Seine wenigen Briefe und Sonette geben uns darüber nur dürftigen Auf¬
schluß, während uns das imposante Charakterbild Michel Angelo's ans seiner
Korrespondenz in vollster Klarheit und Schärfe entgegentritt. Wenn es uns
gestattet ist, nach diesem Charakterbilde einen Schluß auf das persönliche Ver¬
hältniß Michel Angelo's zu Raffael zu ziehen, so kann dieses nur ein unge-
mein kühles gewesen sein. Die glänzenden Erfolge Raffael's mögen im Herzen
Michel Angelo's bitteren Groll hervorgerufen haben, der durch eigene traurige
Lebenserfahrungen noch vermehrt wurde. Aus der schmerzlich durchfurchten
Stirn Michel Angelo's lesen wir, daß die Sonne des Glücks niemals sein



Raffael und Michel Angelo von Anton Springer. Mit Illustrationen. 824
S. hoch Quart. Leipzig, E> A. Seemann.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/29>, abgerufen am 01.10.2024.