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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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wird. Zu diesen Summen stellen den verhältnißmäßig höchsten Satz die
Juden, die um zwei und ein halb Mal die Protestanten, um vier Mal die
Katholiken in der Zahl der Universitätsbesucher übertreffen, ein Verhältniß,
das sich auch in Frankreich und Oesterreich-Ungarn wiederfindet.

Den Schluß des Werkes bildet eine zusammenfassende Darlegung der poli¬
tischen Verhältnisse des deutschen Reichs und seiner Einzelstaaten. Nachdem
die Verfassung des Reichs, die Volksvertretung u. s. w. in klarer Weise be¬
handelt worden ist, wendet sich Reclus den Bundesstaaten zu, unter denen selbst¬
verständlich Preußen den breitesten Raum einnimmt; seine Verfassung wird von
der Landesvertretung bis zur Gemeindeverwaltung verfolgt. Ihm gegenüber
kommen die übrigen Staaten schlecht weg und müssen sich eine etwas sum¬
marische Behandlung gefallen lassen. Trotzdem kann man bei Reclus über die
Verschiedenheiten unserer staatlichen Einrichtungen wie über unsere eigentlichen
Kulturverhältnisse immer noch mehr und eingehenderes lesen, als in einheimi¬
schen Werken gleichen Umfangs, die diese so wichtigen Gesichtspunkte oft leider
sehr nebensächlich behandeln. Reclus läßt sich die Mühe nicht verdrießen, die
Zahl der Volksvertreter in den Einzelstaaten zusammenzurechnen, mit denen
der Reichsvertretuug zu addiren, und findet so, daß im deutschen Reiche all¬
jährlich 2111 Volksvertreter sich um das Wohl und Wehe des Reichs wie der
Bundesstaaten bemühen, 2111 Gesetzgeber, in der That eine stattliche Zahl, von
denen man erwarten dürfte, daß sie etwas Ersprießliches zu Stande brächten!
Daß über diese Verhältnisse sowie über die politischen Einrichtungen besonders
des preußischen Staates manch scharfes Wort fällt, braucht man dem Verfasser
nicht übel zu nehmen. Auch der Einfluß, den die preußische Bureaukratie auf
ihre Beamten ausübt, der eigenthümliche Charakter, den ihnen der Staatsdienst
aufprägt, findet eine treffende Charakterisirung, und wenn diese Beurtheilung
einer Verurtheilung auffällig ähnlich sieht, so kann auch dagegen kein wesentlicher
Einwand erhoben werden. 1^ Alvirs ro.el.rief.Is, heißt es da unter anderem,
86 rsllsts sur l'sxouss: xartont los tsrorass Sö xarsut An tiers su 1s tsmi-
nigs.ur se yUÄQÄ skiff sont su xrössuss Iss nuff Ass autrss, 1'ötiHv.steh
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Ass g.Mslla.lion.8 Äuxqusls Iss raaris ont Aron. Doch erkennt Reclus an,
daß der deutsche Beamte, abgesehen von einigen Fällen in der Gründerzeit, es
mit seiner Pflicht sehr ernst nehme und auf der Höhe seiner Aufgabe stehe.
Nur eine Gefahr liege vor: die Abhängigkeit des Beamten vom Staate in Be¬
zug auf seine Existenz drohe ihm seine innere Selbständigkeit zu nehmen, und
diese Gefahr werde sich vergrößern, je weiter sich das Reich, das ja ganz die
preußische Beamtendisziplin angenommen habe, ausdehne. Besonders, wenn
das Projekt der Reichseisenbahnen durchdränge, werde das Beamtenheer un-


wird. Zu diesen Summen stellen den verhältnißmäßig höchsten Satz die
Juden, die um zwei und ein halb Mal die Protestanten, um vier Mal die
Katholiken in der Zahl der Universitätsbesucher übertreffen, ein Verhältniß,
das sich auch in Frankreich und Oesterreich-Ungarn wiederfindet.

Den Schluß des Werkes bildet eine zusammenfassende Darlegung der poli¬
tischen Verhältnisse des deutschen Reichs und seiner Einzelstaaten. Nachdem
die Verfassung des Reichs, die Volksvertretung u. s. w. in klarer Weise be¬
handelt worden ist, wendet sich Reclus den Bundesstaaten zu, unter denen selbst¬
verständlich Preußen den breitesten Raum einnimmt; seine Verfassung wird von
der Landesvertretung bis zur Gemeindeverwaltung verfolgt. Ihm gegenüber
kommen die übrigen Staaten schlecht weg und müssen sich eine etwas sum¬
marische Behandlung gefallen lassen. Trotzdem kann man bei Reclus über die
Verschiedenheiten unserer staatlichen Einrichtungen wie über unsere eigentlichen
Kulturverhältnisse immer noch mehr und eingehenderes lesen, als in einheimi¬
schen Werken gleichen Umfangs, die diese so wichtigen Gesichtspunkte oft leider
sehr nebensächlich behandeln. Reclus läßt sich die Mühe nicht verdrießen, die
Zahl der Volksvertreter in den Einzelstaaten zusammenzurechnen, mit denen
der Reichsvertretuug zu addiren, und findet so, daß im deutschen Reiche all¬
jährlich 2111 Volksvertreter sich um das Wohl und Wehe des Reichs wie der
Bundesstaaten bemühen, 2111 Gesetzgeber, in der That eine stattliche Zahl, von
denen man erwarten dürfte, daß sie etwas Ersprießliches zu Stande brächten!
Daß über diese Verhältnisse sowie über die politischen Einrichtungen besonders
des preußischen Staates manch scharfes Wort fällt, braucht man dem Verfasser
nicht übel zu nehmen. Auch der Einfluß, den die preußische Bureaukratie auf
ihre Beamten ausübt, der eigenthümliche Charakter, den ihnen der Staatsdienst
aufprägt, findet eine treffende Charakterisirung, und wenn diese Beurtheilung
einer Verurtheilung auffällig ähnlich sieht, so kann auch dagegen kein wesentlicher
Einwand erhoben werden. 1^ Alvirs ro.el.rief.Is, heißt es da unter anderem,
86 rsllsts sur l'sxouss: xartont los tsrorass Sö xarsut An tiers su 1s tsmi-
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Ass g.Mslla.lion.8 Äuxqusls Iss raaris ont Aron. Doch erkennt Reclus an,
daß der deutsche Beamte, abgesehen von einigen Fällen in der Gründerzeit, es
mit seiner Pflicht sehr ernst nehme und auf der Höhe seiner Aufgabe stehe.
Nur eine Gefahr liege vor: die Abhängigkeit des Beamten vom Staate in Be¬
zug auf seine Existenz drohe ihm seine innere Selbständigkeit zu nehmen, und
diese Gefahr werde sich vergrößern, je weiter sich das Reich, das ja ganz die
preußische Beamtendisziplin angenommen habe, ausdehne. Besonders, wenn
das Projekt der Reichseisenbahnen durchdränge, werde das Beamtenheer un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/280>, abgerufen am 23.07.2024.