Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

glaublich wachsen, und der Staat als Arbeitgeber so vieler erwachsener Männer
auf die private Denk- und Handlungsweise seiner Angestellten einen großen
Druck auszuüben im Stande sein.

Auch das Verhältniß der einzelnen kirchlichen Konfessionen, sowie das der
Schulen zum Staate kommt zur Besprechung; aber während sich in Bezug auf
alles Andere richtige Auffassungen vorfinden, hat sich bei der Besprechung der
Stellung der Universität ein Mißverständniß eingeschlichen. Reclus macht nämlich
in der Weise einen Unterschied zwischen ordentlichen Professoren und Privatdo¬
zenten , daß die ersteren (xrotssssurs okkeisls) als vom Staate angestellt auch
mehr das Interesse des Staates im Auge zu haben und die Studenten gewisser¬
maßen als zukünftige Staatsbeamte in bestimmter Richtung zu beeinflussen
hätten; die Privatdozenten (xrotssssurs 1ihrs3) dagegen, die nur die einzige
Bedingung, an einer deutschen Universität studirt zu haben, erfüllt haben müßten,
ihnen gegenüber das Prinzip der Denk- und Lehrfreiheit verträten, freie Wahl
in Bezug auf das Was und Wie ihrer Lehre hätten und den ordentlichen Pro¬
fessoren Konkurrenz machten. Es scheint, daß hier eine seltsame Verwechselung
zwischen Privatgelehrten und Privatdozenten vorliegt. Denn von dem Streben,
eine außergewöhnlich freie und unabhängige Lehre vorzutragen, merkt man
doch in Deutschland nicht eben viel, und wo das wenige hervortritt, weiß man
schon die Mittel zu finden, um vorlaute Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Mit dem Worte Mirabeau's: "I^a, Auerre sse 1'inäustris na-tivoals as
?russs", schließt sich endlich noch die Besprechung des preußisch-deutschen Kriegs¬
wesens an. Hier fällt dem Verfasser als etwas ganz Eigenartiges die Stel¬
lung der Offiziere dem gemeinen Soldaten gegenüber auf. Ein Ausblick auf
die Zukunft des deutschen Reiches, sowie eine charakteristische Aeußerung idealer
Hoffnungen schließt das Werk.




An Kerder und zu Würger.
1. spanisches und Französisches in Herder's "Cid".

Während in voreiligen Popularisiren unbewiesener Hypothesen unsere Zeit
das Menschenmögliche geleistet hat, kann man sich eben nicht darüber beschweren,
daß gesicherte wissenschaftliche Funde eine allzuschnelle Verbreitung fänden.
Reinhold Köhler in Weimar hat bereits 1867 auf's evidenteste nachgewiesen,
daß Herder's "Cid" zum allergrößten Theile nach einer französischen Prosa-


glaublich wachsen, und der Staat als Arbeitgeber so vieler erwachsener Männer
auf die private Denk- und Handlungsweise seiner Angestellten einen großen
Druck auszuüben im Stande sein.

Auch das Verhältniß der einzelnen kirchlichen Konfessionen, sowie das der
Schulen zum Staate kommt zur Besprechung; aber während sich in Bezug auf
alles Andere richtige Auffassungen vorfinden, hat sich bei der Besprechung der
Stellung der Universität ein Mißverständniß eingeschlichen. Reclus macht nämlich
in der Weise einen Unterschied zwischen ordentlichen Professoren und Privatdo¬
zenten , daß die ersteren (xrotssssurs okkeisls) als vom Staate angestellt auch
mehr das Interesse des Staates im Auge zu haben und die Studenten gewisser¬
maßen als zukünftige Staatsbeamte in bestimmter Richtung zu beeinflussen
hätten; die Privatdozenten (xrotssssurs 1ihrs3) dagegen, die nur die einzige
Bedingung, an einer deutschen Universität studirt zu haben, erfüllt haben müßten,
ihnen gegenüber das Prinzip der Denk- und Lehrfreiheit verträten, freie Wahl
in Bezug auf das Was und Wie ihrer Lehre hätten und den ordentlichen Pro¬
fessoren Konkurrenz machten. Es scheint, daß hier eine seltsame Verwechselung
zwischen Privatgelehrten und Privatdozenten vorliegt. Denn von dem Streben,
eine außergewöhnlich freie und unabhängige Lehre vorzutragen, merkt man
doch in Deutschland nicht eben viel, und wo das wenige hervortritt, weiß man
schon die Mittel zu finden, um vorlaute Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Mit dem Worte Mirabeau's: „I^a, Auerre sse 1'inäustris na-tivoals as
?russs", schließt sich endlich noch die Besprechung des preußisch-deutschen Kriegs¬
wesens an. Hier fällt dem Verfasser als etwas ganz Eigenartiges die Stel¬
lung der Offiziere dem gemeinen Soldaten gegenüber auf. Ein Ausblick auf
die Zukunft des deutschen Reiches, sowie eine charakteristische Aeußerung idealer
Hoffnungen schließt das Werk.




An Kerder und zu Würger.
1. spanisches und Französisches in Herder's „Cid".

Während in voreiligen Popularisiren unbewiesener Hypothesen unsere Zeit
das Menschenmögliche geleistet hat, kann man sich eben nicht darüber beschweren,
daß gesicherte wissenschaftliche Funde eine allzuschnelle Verbreitung fänden.
Reinhold Köhler in Weimar hat bereits 1867 auf's evidenteste nachgewiesen,
daß Herder's „Cid" zum allergrößten Theile nach einer französischen Prosa-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0281" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141692"/>
          <p xml:id="ID_841" prev="#ID_840"> glaublich wachsen, und der Staat als Arbeitgeber so vieler erwachsener Männer<lb/>
auf die private Denk- und Handlungsweise seiner Angestellten einen großen<lb/>
Druck auszuüben im Stande sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_842"> Auch das Verhältniß der einzelnen kirchlichen Konfessionen, sowie das der<lb/>
Schulen zum Staate kommt zur Besprechung; aber während sich in Bezug auf<lb/>
alles Andere richtige Auffassungen vorfinden, hat sich bei der Besprechung der<lb/>
Stellung der Universität ein Mißverständniß eingeschlichen. Reclus macht nämlich<lb/>
in der Weise einen Unterschied zwischen ordentlichen Professoren und Privatdo¬<lb/>
zenten , daß die ersteren (xrotssssurs okkeisls) als vom Staate angestellt auch<lb/>
mehr das Interesse des Staates im Auge zu haben und die Studenten gewisser¬<lb/>
maßen als zukünftige Staatsbeamte in bestimmter Richtung zu beeinflussen<lb/>
hätten; die Privatdozenten (xrotssssurs 1ihrs3) dagegen, die nur die einzige<lb/>
Bedingung, an einer deutschen Universität studirt zu haben, erfüllt haben müßten,<lb/>
ihnen gegenüber das Prinzip der Denk- und Lehrfreiheit verträten, freie Wahl<lb/>
in Bezug auf das Was und Wie ihrer Lehre hätten und den ordentlichen Pro¬<lb/>
fessoren Konkurrenz machten. Es scheint, daß hier eine seltsame Verwechselung<lb/>
zwischen Privatgelehrten und Privatdozenten vorliegt. Denn von dem Streben,<lb/>
eine außergewöhnlich freie und unabhängige Lehre vorzutragen, merkt man<lb/>
doch in Deutschland nicht eben viel, und wo das wenige hervortritt, weiß man<lb/>
schon die Mittel zu finden, um vorlaute Stimmen zum Schweigen zu bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_843"> Mit dem Worte Mirabeau's: &#x201E;I^a, Auerre sse 1'inäustris na-tivoals as<lb/>
?russs", schließt sich endlich noch die Besprechung des preußisch-deutschen Kriegs¬<lb/>
wesens an. Hier fällt dem Verfasser als etwas ganz Eigenartiges die Stel¬<lb/>
lung der Offiziere dem gemeinen Soldaten gegenüber auf. Ein Ausblick auf<lb/>
die Zukunft des deutschen Reiches, sowie eine charakteristische Aeußerung idealer<lb/>
Hoffnungen schließt das Werk.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> An Kerder und zu Würger.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 1. spanisches und Französisches in Herder's &#x201E;Cid".</head><lb/>
            <p xml:id="ID_844" next="#ID_845"> Während in voreiligen Popularisiren unbewiesener Hypothesen unsere Zeit<lb/>
das Menschenmögliche geleistet hat, kann man sich eben nicht darüber beschweren,<lb/>
daß gesicherte wissenschaftliche Funde eine allzuschnelle Verbreitung fänden.<lb/>
Reinhold Köhler in Weimar hat bereits 1867 auf's evidenteste nachgewiesen,<lb/>
daß Herder's &#x201E;Cid" zum allergrößten Theile nach einer französischen Prosa-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0281] glaublich wachsen, und der Staat als Arbeitgeber so vieler erwachsener Männer auf die private Denk- und Handlungsweise seiner Angestellten einen großen Druck auszuüben im Stande sein. Auch das Verhältniß der einzelnen kirchlichen Konfessionen, sowie das der Schulen zum Staate kommt zur Besprechung; aber während sich in Bezug auf alles Andere richtige Auffassungen vorfinden, hat sich bei der Besprechung der Stellung der Universität ein Mißverständniß eingeschlichen. Reclus macht nämlich in der Weise einen Unterschied zwischen ordentlichen Professoren und Privatdo¬ zenten , daß die ersteren (xrotssssurs okkeisls) als vom Staate angestellt auch mehr das Interesse des Staates im Auge zu haben und die Studenten gewisser¬ maßen als zukünftige Staatsbeamte in bestimmter Richtung zu beeinflussen hätten; die Privatdozenten (xrotssssurs 1ihrs3) dagegen, die nur die einzige Bedingung, an einer deutschen Universität studirt zu haben, erfüllt haben müßten, ihnen gegenüber das Prinzip der Denk- und Lehrfreiheit verträten, freie Wahl in Bezug auf das Was und Wie ihrer Lehre hätten und den ordentlichen Pro¬ fessoren Konkurrenz machten. Es scheint, daß hier eine seltsame Verwechselung zwischen Privatgelehrten und Privatdozenten vorliegt. Denn von dem Streben, eine außergewöhnlich freie und unabhängige Lehre vorzutragen, merkt man doch in Deutschland nicht eben viel, und wo das wenige hervortritt, weiß man schon die Mittel zu finden, um vorlaute Stimmen zum Schweigen zu bringen. Mit dem Worte Mirabeau's: „I^a, Auerre sse 1'inäustris na-tivoals as ?russs", schließt sich endlich noch die Besprechung des preußisch-deutschen Kriegs¬ wesens an. Hier fällt dem Verfasser als etwas ganz Eigenartiges die Stel¬ lung der Offiziere dem gemeinen Soldaten gegenüber auf. Ein Ausblick auf die Zukunft des deutschen Reiches, sowie eine charakteristische Aeußerung idealer Hoffnungen schließt das Werk. An Kerder und zu Würger. 1. spanisches und Französisches in Herder's „Cid". Während in voreiligen Popularisiren unbewiesener Hypothesen unsere Zeit das Menschenmögliche geleistet hat, kann man sich eben nicht darüber beschweren, daß gesicherte wissenschaftliche Funde eine allzuschnelle Verbreitung fänden. Reinhold Köhler in Weimar hat bereits 1867 auf's evidenteste nachgewiesen, daß Herder's „Cid" zum allergrößten Theile nach einer französischen Prosa-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/281
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/281>, abgerufen am 03.07.2024.