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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Kultur früherer Zeiten entrollt war. Aber auch dies Nahen einer besseren
Epoche verfolgt der Verfasser mit aufmerksamem Auge und zollt namentlich den
Leistungen unserer klassischen Periode aufrichtige Bewunderung. Neben Goethe
und Schiller ist ihm vor allem Heine beachtenswerth, in der Musik hebt er
Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, Weber, Schubert und Mendelssohn hervor;
er gedenkt Kant's und der Umwälzung, die er auf philosophischem Gebiete her¬
vorgerufen; Geschichte, Archäologie, Numismatik fanden in Deutschland ausge¬
zeichnete Vertreter, die Philologie sogar ihre Meister, Mathematik, Geologie
und Naturwissenschaften erfreue" sich gedeihlicher Pflege und, Is-se not 1sa,se,
die Geographie als Wissenschaft ist eine Pflanze deutschen Geistes: los norris
ä'^1sxa.mars Ah Huinvolät, as Osrl Rittsr, ä'OssÄr ?sssd.s1 sont as ssux
<zus tont ASvAra,xb.s alsit rövsrsr.

Die im letzten Jahrzehnt vollzogene Einigung der meisten deutschen Stämme
uuter preußischer Hegemonie betrachtet Reclus begreiflicherweise nicht mit den
günstigsten Augen: während früher bei dem Mangel einer straffen Verwaltung
eine gewisse freie und vielseitige Entwickelung habe auskommen können, eine
jede Provinz ihre eigenthümlichen Sitten und Einrichtungen gehabt, das lokale
Leben ungezwungener und in mannichfaltigen Formen sich entfaltet habe, und
eine gewisse Starrheit und Monotonie vermieden worden sei, strebe man jetzt
nach einer einheitlichen Organisation, nach einer Zentralisirung, die alles
Wichtige, Bedeutende, Einflußreiche an einem Orte vereinige. Es bedarf keines
Wortes über das Unzutreffende solcher Anschauungen. Wenn auch bei uns selbst
so mancher fürchtet, daß, wenn die Entwickelung des deutschen Reichs anf dem
angebahnten Wege weiter ginge, die einzelnen Staaten ihre Selbständigkeit
nach und nach ganz einbüßen würden, und die nationale Einheit, wie Reclus
meint, Aux Äöxsv.8 as 1a nation sI1s-ir>srQS se tores ä'initiÄtivs erkauft
wäre, so wird doch niemand seine Besorgnisse theilen, daß alle die vielfachen
Sammelpunkte von Gewerbfleiß, Kunst und Wissenschaft in Deutschland durch
Zentralisation zu Grunde gehen könnten. Die Eigenart vieler deutscher Städte
ist doch zu tief in sich begründet, als daß die neue Reichshauptstadt sie der¬
selben berauben könnte, und wir hegen die zuversichtliche Hoffnung, daß der
Segen der Dezentralisation bei uns noch lange nachwirken werde. Offenbar
schwebte Reclus, als er diesen Punkt behandelte, zu sehr das Bild von Frank¬
reich's Hauptstadt vor, die aber ihr gewaltiges Uebergewicht über die anderen
französischen Städte doch erst nach Jahrhunderten und unter ganz anderen
Verhältnissen erlangte.

Das in seinen Hauptzügen gekennzeichnete Prinzip geographischer Dar¬
stellung, das Reclus in dem einleitenden Kapitel angewendet hat, findet sich
wieder bei der Einzelbetrachtung des Landes, und es ist nur eine aus dem


Kultur früherer Zeiten entrollt war. Aber auch dies Nahen einer besseren
Epoche verfolgt der Verfasser mit aufmerksamem Auge und zollt namentlich den
Leistungen unserer klassischen Periode aufrichtige Bewunderung. Neben Goethe
und Schiller ist ihm vor allem Heine beachtenswerth, in der Musik hebt er
Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, Weber, Schubert und Mendelssohn hervor;
er gedenkt Kant's und der Umwälzung, die er auf philosophischem Gebiete her¬
vorgerufen; Geschichte, Archäologie, Numismatik fanden in Deutschland ausge¬
zeichnete Vertreter, die Philologie sogar ihre Meister, Mathematik, Geologie
und Naturwissenschaften erfreue» sich gedeihlicher Pflege und, Is-se not 1sa,se,
die Geographie als Wissenschaft ist eine Pflanze deutschen Geistes: los norris
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Die im letzten Jahrzehnt vollzogene Einigung der meisten deutschen Stämme
uuter preußischer Hegemonie betrachtet Reclus begreiflicherweise nicht mit den
günstigsten Augen: während früher bei dem Mangel einer straffen Verwaltung
eine gewisse freie und vielseitige Entwickelung habe auskommen können, eine
jede Provinz ihre eigenthümlichen Sitten und Einrichtungen gehabt, das lokale
Leben ungezwungener und in mannichfaltigen Formen sich entfaltet habe, und
eine gewisse Starrheit und Monotonie vermieden worden sei, strebe man jetzt
nach einer einheitlichen Organisation, nach einer Zentralisirung, die alles
Wichtige, Bedeutende, Einflußreiche an einem Orte vereinige. Es bedarf keines
Wortes über das Unzutreffende solcher Anschauungen. Wenn auch bei uns selbst
so mancher fürchtet, daß, wenn die Entwickelung des deutschen Reichs anf dem
angebahnten Wege weiter ginge, die einzelnen Staaten ihre Selbständigkeit
nach und nach ganz einbüßen würden, und die nationale Einheit, wie Reclus
meint, Aux Äöxsv.8 as 1a nation sI1s-ir>srQS se tores ä'initiÄtivs erkauft
wäre, so wird doch niemand seine Besorgnisse theilen, daß alle die vielfachen
Sammelpunkte von Gewerbfleiß, Kunst und Wissenschaft in Deutschland durch
Zentralisation zu Grunde gehen könnten. Die Eigenart vieler deutscher Städte
ist doch zu tief in sich begründet, als daß die neue Reichshauptstadt sie der¬
selben berauben könnte, und wir hegen die zuversichtliche Hoffnung, daß der
Segen der Dezentralisation bei uns noch lange nachwirken werde. Offenbar
schwebte Reclus, als er diesen Punkt behandelte, zu sehr das Bild von Frank¬
reich's Hauptstadt vor, die aber ihr gewaltiges Uebergewicht über die anderen
französischen Städte doch erst nach Jahrhunderten und unter ganz anderen
Verhältnissen erlangte.

Das in seinen Hauptzügen gekennzeichnete Prinzip geographischer Dar¬
stellung, das Reclus in dem einleitenden Kapitel angewendet hat, findet sich
wieder bei der Einzelbetrachtung des Landes, und es ist nur eine aus dem


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[0275] Kultur früherer Zeiten entrollt war. Aber auch dies Nahen einer besseren Epoche verfolgt der Verfasser mit aufmerksamem Auge und zollt namentlich den Leistungen unserer klassischen Periode aufrichtige Bewunderung. Neben Goethe und Schiller ist ihm vor allem Heine beachtenswerth, in der Musik hebt er Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, Weber, Schubert und Mendelssohn hervor; er gedenkt Kant's und der Umwälzung, die er auf philosophischem Gebiete her¬ vorgerufen; Geschichte, Archäologie, Numismatik fanden in Deutschland ausge¬ zeichnete Vertreter, die Philologie sogar ihre Meister, Mathematik, Geologie und Naturwissenschaften erfreue» sich gedeihlicher Pflege und, Is-se not 1sa,se, die Geographie als Wissenschaft ist eine Pflanze deutschen Geistes: los norris ä'^1sxa.mars Ah Huinvolät, as Osrl Rittsr, ä'OssÄr ?sssd.s1 sont as ssux <zus tont ASvAra,xb.s alsit rövsrsr. Die im letzten Jahrzehnt vollzogene Einigung der meisten deutschen Stämme uuter preußischer Hegemonie betrachtet Reclus begreiflicherweise nicht mit den günstigsten Augen: während früher bei dem Mangel einer straffen Verwaltung eine gewisse freie und vielseitige Entwickelung habe auskommen können, eine jede Provinz ihre eigenthümlichen Sitten und Einrichtungen gehabt, das lokale Leben ungezwungener und in mannichfaltigen Formen sich entfaltet habe, und eine gewisse Starrheit und Monotonie vermieden worden sei, strebe man jetzt nach einer einheitlichen Organisation, nach einer Zentralisirung, die alles Wichtige, Bedeutende, Einflußreiche an einem Orte vereinige. Es bedarf keines Wortes über das Unzutreffende solcher Anschauungen. Wenn auch bei uns selbst so mancher fürchtet, daß, wenn die Entwickelung des deutschen Reichs anf dem angebahnten Wege weiter ginge, die einzelnen Staaten ihre Selbständigkeit nach und nach ganz einbüßen würden, und die nationale Einheit, wie Reclus meint, Aux Äöxsv.8 as 1a nation sI1s-ir>srQS se tores ä'initiÄtivs erkauft wäre, so wird doch niemand seine Besorgnisse theilen, daß alle die vielfachen Sammelpunkte von Gewerbfleiß, Kunst und Wissenschaft in Deutschland durch Zentralisation zu Grunde gehen könnten. Die Eigenart vieler deutscher Städte ist doch zu tief in sich begründet, als daß die neue Reichshauptstadt sie der¬ selben berauben könnte, und wir hegen die zuversichtliche Hoffnung, daß der Segen der Dezentralisation bei uns noch lange nachwirken werde. Offenbar schwebte Reclus, als er diesen Punkt behandelte, zu sehr das Bild von Frank¬ reich's Hauptstadt vor, die aber ihr gewaltiges Uebergewicht über die anderen französischen Städte doch erst nach Jahrhunderten und unter ganz anderen Verhältnissen erlangte. Das in seinen Hauptzügen gekennzeichnete Prinzip geographischer Dar¬ stellung, das Reclus in dem einleitenden Kapitel angewendet hat, findet sich wieder bei der Einzelbetrachtung des Landes, und es ist nur eine aus dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/275>, abgerufen am 23.07.2024.