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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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-- und thut dies auch bis zu einem gewissen Grade -- den Mangel eines
umsichtigen und selbständigen Beamtenthums, aber sie entvölkert dabei systematisch
die Provinzen von allen administrativen Talenten, die magnetartig dem Zentrum,
Petersburg, zustreben. So hält die Zentralisation selbst die Erreichung des
Zieles auf, das man ihr gerechterweise unter der jetzigen Regierung zuer¬
kennen muß.




Ile LrdKunde von Miss" Keelus.
ii.

Reclus' Methode der Darstellung des deutschen Reichs kann, was Aus¬
wahl und Anordnung des Stoffes betrifft, im Prinzip keinen Anspruch auf
Neuheit machen; sie schließt sich an diejenige an, die Carl Ritter in seinen
bahnbrechenden Arbeiten zuerst angewendet hat. Diese besteht im Wesentlichen
darin, daß alle die einzelnen Gesichtspunkte, die bei einer geographischen Dar¬
stellung in Betracht kommen können, nach dem Gesetz von Ursache und Wir¬
kung zu einander in Beziehung gesetzt werden, und daß gezeigt wird, wie sich auf
Grundlage der von Natur vorhandenen Verhältnisse eine Entwickelung auf¬
baute, die in ihren Hauptzügen von den natürlichen Bedingungen abhängig ist
und sich mit diesen veränderte. Es gilt also hierbei, aus der Fülle des Stoffes
dasjenige auszuwählen, was von besonderm Einfluß auf den Kulturgang eines
Volkes war und ist, und es verlangt diese Art der Behandlung nicht nur eine
große Vertrautheit mit dem Material und ein scharfes Auge für das Bedeut¬
same und Entwickelungsfähige, sondern auch eine sehr vielseitige Bildung und
die Fähigkeit, die Resultate verschiedener Wissenszweige zu kombiniren und in
der rechten Weise zu gruppiren. Beleuchten wir nun Reclus' Deutschland nach
allen diesen Richtungen, so zeigt es sich, daß es in den wesentlichsten Punkten
denjenigen Erwartungen entspricht, die man an ein Werk von diesem Umfange
zu stellen berechtigt ist. Geographische Lage im Verhältniß zu den übrigen
Staaten Europa's, Umrisse, natürliche Begrenzung, Bodenplastik, geologische
Beschaffenheit nebst den Nachweisen über Vorkommen nutzbarer Mineralien,
Gewässer, Klima, Flora, Fauna, ethnographische Stellung der Bevölkerung, ihre
Sprache, Sitten, Volkscharakter und die wesentlichen Momente der politischen
Entwickelung und Machtentfaltung, Leistungen auf allen Gebieten der Wissen¬
schaft und Kunst -- das sind diejenigen Gesichtspunkte, die einleitungsweise


— und thut dies auch bis zu einem gewissen Grade — den Mangel eines
umsichtigen und selbständigen Beamtenthums, aber sie entvölkert dabei systematisch
die Provinzen von allen administrativen Talenten, die magnetartig dem Zentrum,
Petersburg, zustreben. So hält die Zentralisation selbst die Erreichung des
Zieles auf, das man ihr gerechterweise unter der jetzigen Regierung zuer¬
kennen muß.




Ile LrdKunde von Miss« Keelus.
ii.

Reclus' Methode der Darstellung des deutschen Reichs kann, was Aus¬
wahl und Anordnung des Stoffes betrifft, im Prinzip keinen Anspruch auf
Neuheit machen; sie schließt sich an diejenige an, die Carl Ritter in seinen
bahnbrechenden Arbeiten zuerst angewendet hat. Diese besteht im Wesentlichen
darin, daß alle die einzelnen Gesichtspunkte, die bei einer geographischen Dar¬
stellung in Betracht kommen können, nach dem Gesetz von Ursache und Wir¬
kung zu einander in Beziehung gesetzt werden, und daß gezeigt wird, wie sich auf
Grundlage der von Natur vorhandenen Verhältnisse eine Entwickelung auf¬
baute, die in ihren Hauptzügen von den natürlichen Bedingungen abhängig ist
und sich mit diesen veränderte. Es gilt also hierbei, aus der Fülle des Stoffes
dasjenige auszuwählen, was von besonderm Einfluß auf den Kulturgang eines
Volkes war und ist, und es verlangt diese Art der Behandlung nicht nur eine
große Vertrautheit mit dem Material und ein scharfes Auge für das Bedeut¬
same und Entwickelungsfähige, sondern auch eine sehr vielseitige Bildung und
die Fähigkeit, die Resultate verschiedener Wissenszweige zu kombiniren und in
der rechten Weise zu gruppiren. Beleuchten wir nun Reclus' Deutschland nach
allen diesen Richtungen, so zeigt es sich, daß es in den wesentlichsten Punkten
denjenigen Erwartungen entspricht, die man an ein Werk von diesem Umfange
zu stellen berechtigt ist. Geographische Lage im Verhältniß zu den übrigen
Staaten Europa's, Umrisse, natürliche Begrenzung, Bodenplastik, geologische
Beschaffenheit nebst den Nachweisen über Vorkommen nutzbarer Mineralien,
Gewässer, Klima, Flora, Fauna, ethnographische Stellung der Bevölkerung, ihre
Sprache, Sitten, Volkscharakter und die wesentlichen Momente der politischen
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schaft und Kunst — das sind diejenigen Gesichtspunkte, die einleitungsweise


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[0270] — und thut dies auch bis zu einem gewissen Grade — den Mangel eines umsichtigen und selbständigen Beamtenthums, aber sie entvölkert dabei systematisch die Provinzen von allen administrativen Talenten, die magnetartig dem Zentrum, Petersburg, zustreben. So hält die Zentralisation selbst die Erreichung des Zieles auf, das man ihr gerechterweise unter der jetzigen Regierung zuer¬ kennen muß. Ile LrdKunde von Miss« Keelus. ii. Reclus' Methode der Darstellung des deutschen Reichs kann, was Aus¬ wahl und Anordnung des Stoffes betrifft, im Prinzip keinen Anspruch auf Neuheit machen; sie schließt sich an diejenige an, die Carl Ritter in seinen bahnbrechenden Arbeiten zuerst angewendet hat. Diese besteht im Wesentlichen darin, daß alle die einzelnen Gesichtspunkte, die bei einer geographischen Dar¬ stellung in Betracht kommen können, nach dem Gesetz von Ursache und Wir¬ kung zu einander in Beziehung gesetzt werden, und daß gezeigt wird, wie sich auf Grundlage der von Natur vorhandenen Verhältnisse eine Entwickelung auf¬ baute, die in ihren Hauptzügen von den natürlichen Bedingungen abhängig ist und sich mit diesen veränderte. Es gilt also hierbei, aus der Fülle des Stoffes dasjenige auszuwählen, was von besonderm Einfluß auf den Kulturgang eines Volkes war und ist, und es verlangt diese Art der Behandlung nicht nur eine große Vertrautheit mit dem Material und ein scharfes Auge für das Bedeut¬ same und Entwickelungsfähige, sondern auch eine sehr vielseitige Bildung und die Fähigkeit, die Resultate verschiedener Wissenszweige zu kombiniren und in der rechten Weise zu gruppiren. Beleuchten wir nun Reclus' Deutschland nach allen diesen Richtungen, so zeigt es sich, daß es in den wesentlichsten Punkten denjenigen Erwartungen entspricht, die man an ein Werk von diesem Umfange zu stellen berechtigt ist. Geographische Lage im Verhältniß zu den übrigen Staaten Europa's, Umrisse, natürliche Begrenzung, Bodenplastik, geologische Beschaffenheit nebst den Nachweisen über Vorkommen nutzbarer Mineralien, Gewässer, Klima, Flora, Fauna, ethnographische Stellung der Bevölkerung, ihre Sprache, Sitten, Volkscharakter und die wesentlichen Momente der politischen Entwickelung und Machtentfaltung, Leistungen auf allen Gebieten der Wissen¬ schaft und Kunst — das sind diejenigen Gesichtspunkte, die einleitungsweise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/270>, abgerufen am 24.07.2024.