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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Wort) oft intensiver und ausgedehnter zu sein scheint als das Gefühl ihrer
Verantwortlichkeit vor ihren Wählern und vor der Geschichte.

Endlich sind auch die Klagen des Verfassers unseres Artikels, die sich auf
das handwerksmäßige Politikmachen, auf das Gefallen an rhetorischen Klopf¬
fechterproduktionen, das freilich von Presse und Publikum getheilt wird, und
auf das leidige Koteriewesen unserer Parlamente beziehen, bekanntermaßen nichts
weniger als unbegründet.

Alle Welt in Deutschland, soweit sie natürlich empfindet, nimmt Anstoß
an dem parlamentarischen Cliquenthum, das gewissermaßen eine Fortsetzung
des Treibens der Korps und Burschenschafter ist, und das, wie d. Bl. bei der
Besprechung des jüngsten Gneist'schen Buches neulich bemerkten, bei den Einzelnen
keinen selbständigen Geist aufkommen läßt, Ueberlieferungen der Partei als für
alle Fälle bindenden Komment festhält, die neuen Mitglieder den schon länger
zur Gesellschaft gehörigen unterwirft wie Füchse den alten Häusern und dnrch
geheime Abmachungen die Fraktionsgenossen schon verpflichtet und bindet, be¬
vor die Regierung noch Gelegenheit gefunden hat, die Gründe, die sie zu ihren
Vorlagen bestimmen, und die Ziele, die sie damit verfolgt, anzugeben.

Auch die Paukcmtenkünste, zu denen die Einrichtung der "persönlichen
Bemerkungen" Gelegenheit bietet, und die sehr wenig zu der Würde -- wir
meinen diesmal die wahre Würde -- des Hauses stimmen, erscheinen nur als
ein Nachklang studentischen Treibens. Oft wird man dabei im Übeln Sinne
Persönlich, zuweilen boshaft und hämisch, mitunter grob, sackgrob. Man sagt
dem Gegner, ganz vergessend, daß er auch Kollege ist, spitze Redensarten, die
wie Hiebe auf der Mensur erwiedert werden, man spricht nnr, um seine Schlag¬
fertigkeit zu zeigen, seineu Witz recht scharf leuchten und einschlagen zu lassen
und womöglich das Vergnügen zu genießen, seinen Widerpart "abgeführt" zu
haben. Die Sache, um die es sich bei der vorhergehenden Debatte handelte,
kommt wenig oder gar nicht in Betracht.

Vollzögen sich solche Wortkämpfe in harmloser guter Laune, in anmuthigem
Stile, in feinen Wendungen, so möchte gegen sie, obwohl sie meist mehr oder
minder aus Eitelkeit entspringen, nicht viel einzuwenden sein; man könnte sie
manchmal als eine Art Erholung von meilenlangen dürren und leeren juristi¬
schen Wortklaubereien und Silbenstechereien betrachten, zu welchen die Ver¬
handlungen nicht selten ausarten. Was aber soll man denken und sagen, wenn
ein Abgeordneter dem anderen zuruft, wenn dieser seine Darstellung "noch
nicht kapirt" habe, so "bedauere er dessen geringes Maß an Urtheil"? Warum
nicht gleich lieber "einen dummen Jungen aufbrummen"? Es wäre so ziemlich
ein Auswaschen. Und kann irgend jemand es dem in solcher Weise Ange¬
fahrenen verdenken, wenn er dem parlamentarischen Unhold erwiederte, er könne


Wort) oft intensiver und ausgedehnter zu sein scheint als das Gefühl ihrer
Verantwortlichkeit vor ihren Wählern und vor der Geschichte.

Endlich sind auch die Klagen des Verfassers unseres Artikels, die sich auf
das handwerksmäßige Politikmachen, auf das Gefallen an rhetorischen Klopf¬
fechterproduktionen, das freilich von Presse und Publikum getheilt wird, und
auf das leidige Koteriewesen unserer Parlamente beziehen, bekanntermaßen nichts
weniger als unbegründet.

Alle Welt in Deutschland, soweit sie natürlich empfindet, nimmt Anstoß
an dem parlamentarischen Cliquenthum, das gewissermaßen eine Fortsetzung
des Treibens der Korps und Burschenschafter ist, und das, wie d. Bl. bei der
Besprechung des jüngsten Gneist'schen Buches neulich bemerkten, bei den Einzelnen
keinen selbständigen Geist aufkommen läßt, Ueberlieferungen der Partei als für
alle Fälle bindenden Komment festhält, die neuen Mitglieder den schon länger
zur Gesellschaft gehörigen unterwirft wie Füchse den alten Häusern und dnrch
geheime Abmachungen die Fraktionsgenossen schon verpflichtet und bindet, be¬
vor die Regierung noch Gelegenheit gefunden hat, die Gründe, die sie zu ihren
Vorlagen bestimmen, und die Ziele, die sie damit verfolgt, anzugeben.

Auch die Paukcmtenkünste, zu denen die Einrichtung der „persönlichen
Bemerkungen" Gelegenheit bietet, und die sehr wenig zu der Würde — wir
meinen diesmal die wahre Würde — des Hauses stimmen, erscheinen nur als
ein Nachklang studentischen Treibens. Oft wird man dabei im Übeln Sinne
Persönlich, zuweilen boshaft und hämisch, mitunter grob, sackgrob. Man sagt
dem Gegner, ganz vergessend, daß er auch Kollege ist, spitze Redensarten, die
wie Hiebe auf der Mensur erwiedert werden, man spricht nnr, um seine Schlag¬
fertigkeit zu zeigen, seineu Witz recht scharf leuchten und einschlagen zu lassen
und womöglich das Vergnügen zu genießen, seinen Widerpart „abgeführt" zu
haben. Die Sache, um die es sich bei der vorhergehenden Debatte handelte,
kommt wenig oder gar nicht in Betracht.

Vollzögen sich solche Wortkämpfe in harmloser guter Laune, in anmuthigem
Stile, in feinen Wendungen, so möchte gegen sie, obwohl sie meist mehr oder
minder aus Eitelkeit entspringen, nicht viel einzuwenden sein; man könnte sie
manchmal als eine Art Erholung von meilenlangen dürren und leeren juristi¬
schen Wortklaubereien und Silbenstechereien betrachten, zu welchen die Ver¬
handlungen nicht selten ausarten. Was aber soll man denken und sagen, wenn
ein Abgeordneter dem anderen zuruft, wenn dieser seine Darstellung „noch
nicht kapirt" habe, so „bedauere er dessen geringes Maß an Urtheil"? Warum
nicht gleich lieber „einen dummen Jungen aufbrummen"? Es wäre so ziemlich
ein Auswaschen. Und kann irgend jemand es dem in solcher Weise Ange¬
fahrenen verdenken, wenn er dem parlamentarischen Unhold erwiederte, er könne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/215>, abgerufen am 03.07.2024.