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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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ihn nicht beleidigen? Wir sagen: das ist schlechter Ton, das sind Manieren,
die vielleicht in das Repräsentantenhaus zu Washington oder in den dortigen
Senat oder sonst wohin gehören, aber nicht in unsere Parlamente, welche sich
umsomehr vor ihnen hüten und das Unwesen, wo es eingerissen ist, mit den
strengsten Mitteln und Maßregeln aus ihrer Mitte verbannen sollten, als sie
berufen siud, anderen Instituten des öffentlichen Lebens, der Presse, den Stadt¬
verordneten, den Volksversammlungen als ein Vorbild guter Sitte, urbauen
Verhaltens und humaner Rücksicht auf die Gefühle Anderer voranzuleuchten,
und als sie mit den in ihnen herrschenden Begriffen von Anstand wirklich be¬
reits einen bestimmenden Einfluß auf die genannten Institute ausüben.

Noch Eius aber zu diesem Kapitel. Nicht blos bei den persönlichen Be¬
merkungen sollte man mehr daran denken, die Würde der gesetzgebenden Ver¬
sammlungen zu wahren, sondern auch die Ehre außerhalb der letzteren stehender
Personen sollte nicht ungestraft von unseren Herren Legislatoren verletzt werden
dürfen. Daß dies wiederholt geschehen, ist bekannt. Erst vor kurzem hatte
man davon in den Ausfällen eiues Mitglieds der klerikalen Partei im Abge¬
ordnetenhause eine beklagenswerthe Probe zu verzeichnen, neben welcher der
vom Reichskanzler dem Bundesrathe vorgelegte Gesetzentwurf in Betreff der
Strafgewalt des Reichstages über seine Mitglieder begründeter erscheint als
die Entrüstung, die sich darüber in einem großen Theile der Presse kundgab.
Auf alle Fälle sollte dieser Gesetzentwurf Gelegenheit und Antrieb zu einer
Revision der Geschäftsordnungen unserer Parlamente geben, die schon seit Jahren
zu wiederholten Malen in parlamentarischen Kreisen und noch mehr vielleicht
außerhalb derselben als Bedürfniß empfunden worden ist.

Es ist gewiß ganz richtig, wenn v. Bennigsen neulich behauptete, daß
der Präsident weder berechtigt noch verpflichtet sei, Beleidigungen zu ahnden,
die dritten, weder dem Hause noch der Regierung angehörigen Personen durch
Mitglieder des ersteren von der Tribüne herab zugefügt und dann in den
Zeitungen wiederholt und über das ganze Land hingetragen werden. Aber
besteht das vor der Gerechtigkeit? Sollen die, welche unsere Gesetze machen,
und die deshalb doch wohl die Ersten und Gewissenhaftesten in deren Befol¬
gung sein sollten, mit dem Privilegium begnadigt bleiben, sie nach Belieben
als nicht vorhanden betrachten zu dürfen? Soll der von der Rednerbühne
Verletzte, wenn er sich den Schutz der Gesetze entzogen sieht, wenn er seinen
Namen in hunderttausend Zeitungsberichten verunreinigt findet, etwa Hilfe bei
der Presse suchen und dem Beleidiger hier seine Schuld heimzahlen? Soll er
anderweite Mittel ergreifen, um sich Genugthuung zu verschaffen? Oder soll
er etwa ähnlich wie der oben angedeutete Abgeordnete sagen: Der Herr X.
im Reichstage oder Landtage kann mich nicht beleidigen, weil -- je nun, weil


ihn nicht beleidigen? Wir sagen: das ist schlechter Ton, das sind Manieren,
die vielleicht in das Repräsentantenhaus zu Washington oder in den dortigen
Senat oder sonst wohin gehören, aber nicht in unsere Parlamente, welche sich
umsomehr vor ihnen hüten und das Unwesen, wo es eingerissen ist, mit den
strengsten Mitteln und Maßregeln aus ihrer Mitte verbannen sollten, als sie
berufen siud, anderen Instituten des öffentlichen Lebens, der Presse, den Stadt¬
verordneten, den Volksversammlungen als ein Vorbild guter Sitte, urbauen
Verhaltens und humaner Rücksicht auf die Gefühle Anderer voranzuleuchten,
und als sie mit den in ihnen herrschenden Begriffen von Anstand wirklich be¬
reits einen bestimmenden Einfluß auf die genannten Institute ausüben.

Noch Eius aber zu diesem Kapitel. Nicht blos bei den persönlichen Be¬
merkungen sollte man mehr daran denken, die Würde der gesetzgebenden Ver¬
sammlungen zu wahren, sondern auch die Ehre außerhalb der letzteren stehender
Personen sollte nicht ungestraft von unseren Herren Legislatoren verletzt werden
dürfen. Daß dies wiederholt geschehen, ist bekannt. Erst vor kurzem hatte
man davon in den Ausfällen eiues Mitglieds der klerikalen Partei im Abge¬
ordnetenhause eine beklagenswerthe Probe zu verzeichnen, neben welcher der
vom Reichskanzler dem Bundesrathe vorgelegte Gesetzentwurf in Betreff der
Strafgewalt des Reichstages über seine Mitglieder begründeter erscheint als
die Entrüstung, die sich darüber in einem großen Theile der Presse kundgab.
Auf alle Fälle sollte dieser Gesetzentwurf Gelegenheit und Antrieb zu einer
Revision der Geschäftsordnungen unserer Parlamente geben, die schon seit Jahren
zu wiederholten Malen in parlamentarischen Kreisen und noch mehr vielleicht
außerhalb derselben als Bedürfniß empfunden worden ist.

Es ist gewiß ganz richtig, wenn v. Bennigsen neulich behauptete, daß
der Präsident weder berechtigt noch verpflichtet sei, Beleidigungen zu ahnden,
die dritten, weder dem Hause noch der Regierung angehörigen Personen durch
Mitglieder des ersteren von der Tribüne herab zugefügt und dann in den
Zeitungen wiederholt und über das ganze Land hingetragen werden. Aber
besteht das vor der Gerechtigkeit? Sollen die, welche unsere Gesetze machen,
und die deshalb doch wohl die Ersten und Gewissenhaftesten in deren Befol¬
gung sein sollten, mit dem Privilegium begnadigt bleiben, sie nach Belieben
als nicht vorhanden betrachten zu dürfen? Soll der von der Rednerbühne
Verletzte, wenn er sich den Schutz der Gesetze entzogen sieht, wenn er seinen
Namen in hunderttausend Zeitungsberichten verunreinigt findet, etwa Hilfe bei
der Presse suchen und dem Beleidiger hier seine Schuld heimzahlen? Soll er
anderweite Mittel ergreifen, um sich Genugthuung zu verschaffen? Oder soll
er etwa ähnlich wie der oben angedeutete Abgeordnete sagen: Der Herr X.
im Reichstage oder Landtage kann mich nicht beleidigen, weil — je nun, weil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/216>, abgerufen am 23.07.2024.