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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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von Schülern dauernd festzuhalten, weil jeder von ihnen den positiven Gewinn
des Unterrichts fühlt, wie oft sind sie gerade unter denen zu suchen, die "nichts
geschrieben" haben! Selten genug ist auch im Universitätsleben die Erscheinung,
daß ein Gelehrter, der voll und ganz seinem Dozentenberufe lebt, zugleich durch
umfassende und epochemachende schriftstellerische Arbeiten die Wissenschaft bereichert.

Wilhelm Bischer, der am 5. Juli 1874 verstorbene Professor der griechi¬
schen Sprache und Literatur an der Universität zu Basel, wäre der Mann ge¬
wesen, eine "Griechische Geschichte" zu schreiben, die, was Kunst der Gruppirung,
Anschaulichkeit der Darstellung, Schönheit der sprachlichen Form betrifft, sich
ohne Zweifel neben die von Ernst Curtius hätte stellen können, durch den Um¬
fang eigener Forschung aber, durch die Vorsicht im Kombiniren, durch Enthalt¬
samkeit auf dem Gebiete der Hypothese sie vielleicht übertroffen haben würde;
er ist nicht dazu gekommen, weil er ganz und gar in seinem Lehramte aufging.
Bischer wäre der Mann gewesen, uns eine "Griechische Literaturgeschichte" zu
schenken, die, auf umfassender Belesenheit in den Quellen beruhend und in das
Gewand einer im besten Sinne populären Darstellung gekleidet, Otfried Müller's
schönes Fragment, zu dem noch immer jeder greift, der die trocknen Paragraphen
und den bibliographischen Notizenkram seines Handbuches sich beleben möchte,
hätte ergänzen und -- ablösen können. Auch dazu ist er nicht gelangt, weil
seine vielseitige amtliche Thätigkeit ihn fort und fort in Anspruch nahm. "Kleine
Schriften" -- das war alles, worin er, abgesehen von seinen etwas Nmfäng-
licheren "Erinnerungen und Eindrücken aus Griechenland" jederzeit die Ergebnisse
seiner Studien niederlegte, "kleine Schriften" freilich, durch die er die Wissen¬
schaft mehr gefördert hat, als mancher andere durch dickleibige Bücher; denn
"alle seine Arbeiten sind echte, selbständige Forschungen, welche das Gebiet des
Wissens wirklich erweitern. Er gehörte nicht zu denen, welche mit dem von
anderen gesammelten Material spielen, welche die Bausteine, die längst beige¬
bracht sind, nur noch einmal durch einander werfen; seine Schriften sind immer
Fortschritte des Erkennens, sie sind allgemein anerkannt als eine Stufe am
großen Bau, auf der sich unbedenklich weiter bauen läßt, und auf der auch er
und andere weiter gebaut haben." Mit diesen ehrenden Worten, die jeder seiner
Fachgenossen mit Freuden unterschreiben wird, ist seine wissenschaftliche Thätig¬
keit gewürdigt in dem kleinen, knapp und prägnant gezeichneten Lebensbilde,
mit welchem der langjährige Freund des Verstorbenen, A. v. Gonzenbach, eine
soeben vollendete zweibändige Sammlung der "Kleinen Schriften" Vischer's be¬
gleitet hat.*)



*) Kleine Schriften von Wilhelm Bischer, 1. Band: Historische Schriften, her¬
ausgegeben von Dr. H. Gelzer. Leipzig, Hirzel, 1877, 2, Band: Archäologische und
Epigraphische Schriften, herausgegeben von Dr. A. Burckhardt, Ebenda, 1878.

von Schülern dauernd festzuhalten, weil jeder von ihnen den positiven Gewinn
des Unterrichts fühlt, wie oft sind sie gerade unter denen zu suchen, die „nichts
geschrieben" haben! Selten genug ist auch im Universitätsleben die Erscheinung,
daß ein Gelehrter, der voll und ganz seinem Dozentenberufe lebt, zugleich durch
umfassende und epochemachende schriftstellerische Arbeiten die Wissenschaft bereichert.

Wilhelm Bischer, der am 5. Juli 1874 verstorbene Professor der griechi¬
schen Sprache und Literatur an der Universität zu Basel, wäre der Mann ge¬
wesen, eine „Griechische Geschichte" zu schreiben, die, was Kunst der Gruppirung,
Anschaulichkeit der Darstellung, Schönheit der sprachlichen Form betrifft, sich
ohne Zweifel neben die von Ernst Curtius hätte stellen können, durch den Um¬
fang eigener Forschung aber, durch die Vorsicht im Kombiniren, durch Enthalt¬
samkeit auf dem Gebiete der Hypothese sie vielleicht übertroffen haben würde;
er ist nicht dazu gekommen, weil er ganz und gar in seinem Lehramte aufging.
Bischer wäre der Mann gewesen, uns eine „Griechische Literaturgeschichte" zu
schenken, die, auf umfassender Belesenheit in den Quellen beruhend und in das
Gewand einer im besten Sinne populären Darstellung gekleidet, Otfried Müller's
schönes Fragment, zu dem noch immer jeder greift, der die trocknen Paragraphen
und den bibliographischen Notizenkram seines Handbuches sich beleben möchte,
hätte ergänzen und — ablösen können. Auch dazu ist er nicht gelangt, weil
seine vielseitige amtliche Thätigkeit ihn fort und fort in Anspruch nahm. „Kleine
Schriften" — das war alles, worin er, abgesehen von seinen etwas Nmfäng-
licheren „Erinnerungen und Eindrücken aus Griechenland" jederzeit die Ergebnisse
seiner Studien niederlegte, „kleine Schriften" freilich, durch die er die Wissen¬
schaft mehr gefördert hat, als mancher andere durch dickleibige Bücher; denn
„alle seine Arbeiten sind echte, selbständige Forschungen, welche das Gebiet des
Wissens wirklich erweitern. Er gehörte nicht zu denen, welche mit dem von
anderen gesammelten Material spielen, welche die Bausteine, die längst beige¬
bracht sind, nur noch einmal durch einander werfen; seine Schriften sind immer
Fortschritte des Erkennens, sie sind allgemein anerkannt als eine Stufe am
großen Bau, auf der sich unbedenklich weiter bauen läßt, und auf der auch er
und andere weiter gebaut haben." Mit diesen ehrenden Worten, die jeder seiner
Fachgenossen mit Freuden unterschreiben wird, ist seine wissenschaftliche Thätig¬
keit gewürdigt in dem kleinen, knapp und prägnant gezeichneten Lebensbilde,
mit welchem der langjährige Freund des Verstorbenen, A. v. Gonzenbach, eine
soeben vollendete zweibändige Sammlung der „Kleinen Schriften" Vischer's be¬
gleitet hat.*)



*) Kleine Schriften von Wilhelm Bischer, 1. Band: Historische Schriften, her¬
ausgegeben von Dr. H. Gelzer. Leipzig, Hirzel, 1877, 2, Band: Archäologische und
Epigraphische Schriften, herausgegeben von Dr. A. Burckhardt, Ebenda, 1878.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/179>, abgerufen am 03.07.2024.