Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

hält und die stille, unsichtbare, nicht auf die Hand zu legende Arbeit der Schule
nur in seltnen Fällen zu würdigen weiß, so beurtheilt sie auch die amtliche
Thätigkeit wohl gar nach schriftstellerischen Leistungen. Wie mag es dann aber
in Wahrheit oft um das Amt stehen? Wie oft haben Behörden sich schon betrogen,
die einen Gelehrten auf feine schriftstellerischen Arbeiten hin in ein Lehramt be¬
riefen und zu spät einsahen, daß Lehrthätigkeit und literarische Thätigkeit sehr
verschiedene Voraussetzungen haben. Sie sagten sich nicht, was doch so nahe lag,
daß der Berufene, wenn er mit Leib und Seele in seinem Amte gestanden
Hütte, schwerlich jene imponirende, ausschlaggebende schriftstellerische Thätigkeit
hätte entfalten können. Denn klein, verschwindend klein ist die Anzahl derer,
welche die eiserne Arbeitskraft, die Frische des Geistes, die rasche Auffassungs¬
gabe und die Leichtigkeit der Darstellung besitzen, um auf die Dauer nach beiden
Seiten hin Bemerkenswerthes zu leisten und in dieser Zwiespältigkeit sich nicht
aufzureiben. In den meisten Fällen wird eins von beiden zu kurz kommen,
das Amt oder die Wissenschaft, oft aber beides: das Amt wird als Nebensache
betrachtet werden, und an die Stelle echter, ehrlicher Forscherarbeit, durch welche
die Wissenschaft wirklich gefördert werden würde, wird jene vielgefchäftige, oft
nur auf materiellen Gewinn gerichtete literarische Betriebsamkeit oberflächlicher
Popularisier der Wissenschaft treten, wie sie gerade in den Kreisen der Schule
heutzutage und zum Theil an recht exponirter Stelle vielfach zu beobachten ist.

Aehnlich, wenn auch günstiger liegen die Dinge an der Universität. Wenn
auch der Universitätsdozent schon durch die geringere Anzahl seiner Kollegien,
durch reichlicher und im Vergleich zu anderen Lehranstalten vielleicht sogar
überreichlich bemessene Ferienzeit wesentlich besser gestellt ist, als der Lehrer
an der höheren Schule, so ist doch die praktische Thätigkeit, die er außer den
Kollegien als Leiter von wissenschaftlichen Gesellschaften, als Mitglied von
Prüfungskommissionen, als Direktor wissenschaftlicher Sammlungen oft auszu¬
üben hat, eine so anstrengende und zersplitternde, daß nur eine außergewöhn¬
liche Kraft im Stande ist, noch eine bedeutendere literarische Thätigkeit damit
zu vereinigen. Mit Recht wird auf die letztere an der Universität ein noch
höheres Gewicht gelegt als an der Schule; dennoch sollte die Neigung, die Be¬
deutung eines Dozenten nach den von ihm veröffentlichten wissenschaftlichen
Arbeiten zu beurtheilen, nicht eine so verbreitete sein, wie sie es thatsächlich ist.
Wie viel Universitätslehrer gibt es nicht, die durch ihre Feder sich einen ge¬
achteten Namen erworben haben und Schüler von nah und fern herbeilocken,
und die doch in ihrer Lehrthätigkeit so wenig Beruf an den Tag legen, daß sie auf
jedem Schulkatheder vor einer kritiklustigeren Jugend glänzendes Fiasko machen
würden, auf dem Universitätskatheder freilich geduldig ertragen werden müssen!
Und umgekehrt: die größten pädagogischen Meister, denen es gelingt, einen Kreis


hält und die stille, unsichtbare, nicht auf die Hand zu legende Arbeit der Schule
nur in seltnen Fällen zu würdigen weiß, so beurtheilt sie auch die amtliche
Thätigkeit wohl gar nach schriftstellerischen Leistungen. Wie mag es dann aber
in Wahrheit oft um das Amt stehen? Wie oft haben Behörden sich schon betrogen,
die einen Gelehrten auf feine schriftstellerischen Arbeiten hin in ein Lehramt be¬
riefen und zu spät einsahen, daß Lehrthätigkeit und literarische Thätigkeit sehr
verschiedene Voraussetzungen haben. Sie sagten sich nicht, was doch so nahe lag,
daß der Berufene, wenn er mit Leib und Seele in seinem Amte gestanden
Hütte, schwerlich jene imponirende, ausschlaggebende schriftstellerische Thätigkeit
hätte entfalten können. Denn klein, verschwindend klein ist die Anzahl derer,
welche die eiserne Arbeitskraft, die Frische des Geistes, die rasche Auffassungs¬
gabe und die Leichtigkeit der Darstellung besitzen, um auf die Dauer nach beiden
Seiten hin Bemerkenswerthes zu leisten und in dieser Zwiespältigkeit sich nicht
aufzureiben. In den meisten Fällen wird eins von beiden zu kurz kommen,
das Amt oder die Wissenschaft, oft aber beides: das Amt wird als Nebensache
betrachtet werden, und an die Stelle echter, ehrlicher Forscherarbeit, durch welche
die Wissenschaft wirklich gefördert werden würde, wird jene vielgefchäftige, oft
nur auf materiellen Gewinn gerichtete literarische Betriebsamkeit oberflächlicher
Popularisier der Wissenschaft treten, wie sie gerade in den Kreisen der Schule
heutzutage und zum Theil an recht exponirter Stelle vielfach zu beobachten ist.

Aehnlich, wenn auch günstiger liegen die Dinge an der Universität. Wenn
auch der Universitätsdozent schon durch die geringere Anzahl seiner Kollegien,
durch reichlicher und im Vergleich zu anderen Lehranstalten vielleicht sogar
überreichlich bemessene Ferienzeit wesentlich besser gestellt ist, als der Lehrer
an der höheren Schule, so ist doch die praktische Thätigkeit, die er außer den
Kollegien als Leiter von wissenschaftlichen Gesellschaften, als Mitglied von
Prüfungskommissionen, als Direktor wissenschaftlicher Sammlungen oft auszu¬
üben hat, eine so anstrengende und zersplitternde, daß nur eine außergewöhn¬
liche Kraft im Stande ist, noch eine bedeutendere literarische Thätigkeit damit
zu vereinigen. Mit Recht wird auf die letztere an der Universität ein noch
höheres Gewicht gelegt als an der Schule; dennoch sollte die Neigung, die Be¬
deutung eines Dozenten nach den von ihm veröffentlichten wissenschaftlichen
Arbeiten zu beurtheilen, nicht eine so verbreitete sein, wie sie es thatsächlich ist.
Wie viel Universitätslehrer gibt es nicht, die durch ihre Feder sich einen ge¬
achteten Namen erworben haben und Schüler von nah und fern herbeilocken,
und die doch in ihrer Lehrthätigkeit so wenig Beruf an den Tag legen, daß sie auf
jedem Schulkatheder vor einer kritiklustigeren Jugend glänzendes Fiasko machen
würden, auf dem Universitätskatheder freilich geduldig ertragen werden müssen!
Und umgekehrt: die größten pädagogischen Meister, denen es gelingt, einen Kreis


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141589"/>
          <p xml:id="ID_527" prev="#ID_526"> hält und die stille, unsichtbare, nicht auf die Hand zu legende Arbeit der Schule<lb/>
nur in seltnen Fällen zu würdigen weiß, so beurtheilt sie auch die amtliche<lb/>
Thätigkeit wohl gar nach schriftstellerischen Leistungen. Wie mag es dann aber<lb/>
in Wahrheit oft um das Amt stehen? Wie oft haben Behörden sich schon betrogen,<lb/>
die einen Gelehrten auf feine schriftstellerischen Arbeiten hin in ein Lehramt be¬<lb/>
riefen und zu spät einsahen, daß Lehrthätigkeit und literarische Thätigkeit sehr<lb/>
verschiedene Voraussetzungen haben. Sie sagten sich nicht, was doch so nahe lag,<lb/>
daß der Berufene, wenn er mit Leib und Seele in seinem Amte gestanden<lb/>
Hütte, schwerlich jene imponirende, ausschlaggebende schriftstellerische Thätigkeit<lb/>
hätte entfalten können. Denn klein, verschwindend klein ist die Anzahl derer,<lb/>
welche die eiserne Arbeitskraft, die Frische des Geistes, die rasche Auffassungs¬<lb/>
gabe und die Leichtigkeit der Darstellung besitzen, um auf die Dauer nach beiden<lb/>
Seiten hin Bemerkenswerthes zu leisten und in dieser Zwiespältigkeit sich nicht<lb/>
aufzureiben. In den meisten Fällen wird eins von beiden zu kurz kommen,<lb/>
das Amt oder die Wissenschaft, oft aber beides: das Amt wird als Nebensache<lb/>
betrachtet werden, und an die Stelle echter, ehrlicher Forscherarbeit, durch welche<lb/>
die Wissenschaft wirklich gefördert werden würde, wird jene vielgefchäftige, oft<lb/>
nur auf materiellen Gewinn gerichtete literarische Betriebsamkeit oberflächlicher<lb/>
Popularisier der Wissenschaft treten, wie sie gerade in den Kreisen der Schule<lb/>
heutzutage und zum Theil an recht exponirter Stelle vielfach zu beobachten ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_528" next="#ID_529"> Aehnlich, wenn auch günstiger liegen die Dinge an der Universität. Wenn<lb/>
auch der Universitätsdozent schon durch die geringere Anzahl seiner Kollegien,<lb/>
durch reichlicher und im Vergleich zu anderen Lehranstalten vielleicht sogar<lb/>
überreichlich bemessene Ferienzeit wesentlich besser gestellt ist, als der Lehrer<lb/>
an der höheren Schule, so ist doch die praktische Thätigkeit, die er außer den<lb/>
Kollegien als Leiter von wissenschaftlichen Gesellschaften, als Mitglied von<lb/>
Prüfungskommissionen, als Direktor wissenschaftlicher Sammlungen oft auszu¬<lb/>
üben hat, eine so anstrengende und zersplitternde, daß nur eine außergewöhn¬<lb/>
liche Kraft im Stande ist, noch eine bedeutendere literarische Thätigkeit damit<lb/>
zu vereinigen. Mit Recht wird auf die letztere an der Universität ein noch<lb/>
höheres Gewicht gelegt als an der Schule; dennoch sollte die Neigung, die Be¬<lb/>
deutung eines Dozenten nach den von ihm veröffentlichten wissenschaftlichen<lb/>
Arbeiten zu beurtheilen, nicht eine so verbreitete sein, wie sie es thatsächlich ist.<lb/>
Wie viel Universitätslehrer gibt es nicht, die durch ihre Feder sich einen ge¬<lb/>
achteten Namen erworben haben und Schüler von nah und fern herbeilocken,<lb/>
und die doch in ihrer Lehrthätigkeit so wenig Beruf an den Tag legen, daß sie auf<lb/>
jedem Schulkatheder vor einer kritiklustigeren Jugend glänzendes Fiasko machen<lb/>
würden, auf dem Universitätskatheder freilich geduldig ertragen werden müssen!<lb/>
Und umgekehrt: die größten pädagogischen Meister, denen es gelingt, einen Kreis</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0178] hält und die stille, unsichtbare, nicht auf die Hand zu legende Arbeit der Schule nur in seltnen Fällen zu würdigen weiß, so beurtheilt sie auch die amtliche Thätigkeit wohl gar nach schriftstellerischen Leistungen. Wie mag es dann aber in Wahrheit oft um das Amt stehen? Wie oft haben Behörden sich schon betrogen, die einen Gelehrten auf feine schriftstellerischen Arbeiten hin in ein Lehramt be¬ riefen und zu spät einsahen, daß Lehrthätigkeit und literarische Thätigkeit sehr verschiedene Voraussetzungen haben. Sie sagten sich nicht, was doch so nahe lag, daß der Berufene, wenn er mit Leib und Seele in seinem Amte gestanden Hütte, schwerlich jene imponirende, ausschlaggebende schriftstellerische Thätigkeit hätte entfalten können. Denn klein, verschwindend klein ist die Anzahl derer, welche die eiserne Arbeitskraft, die Frische des Geistes, die rasche Auffassungs¬ gabe und die Leichtigkeit der Darstellung besitzen, um auf die Dauer nach beiden Seiten hin Bemerkenswerthes zu leisten und in dieser Zwiespältigkeit sich nicht aufzureiben. In den meisten Fällen wird eins von beiden zu kurz kommen, das Amt oder die Wissenschaft, oft aber beides: das Amt wird als Nebensache betrachtet werden, und an die Stelle echter, ehrlicher Forscherarbeit, durch welche die Wissenschaft wirklich gefördert werden würde, wird jene vielgefchäftige, oft nur auf materiellen Gewinn gerichtete literarische Betriebsamkeit oberflächlicher Popularisier der Wissenschaft treten, wie sie gerade in den Kreisen der Schule heutzutage und zum Theil an recht exponirter Stelle vielfach zu beobachten ist. Aehnlich, wenn auch günstiger liegen die Dinge an der Universität. Wenn auch der Universitätsdozent schon durch die geringere Anzahl seiner Kollegien, durch reichlicher und im Vergleich zu anderen Lehranstalten vielleicht sogar überreichlich bemessene Ferienzeit wesentlich besser gestellt ist, als der Lehrer an der höheren Schule, so ist doch die praktische Thätigkeit, die er außer den Kollegien als Leiter von wissenschaftlichen Gesellschaften, als Mitglied von Prüfungskommissionen, als Direktor wissenschaftlicher Sammlungen oft auszu¬ üben hat, eine so anstrengende und zersplitternde, daß nur eine außergewöhn¬ liche Kraft im Stande ist, noch eine bedeutendere literarische Thätigkeit damit zu vereinigen. Mit Recht wird auf die letztere an der Universität ein noch höheres Gewicht gelegt als an der Schule; dennoch sollte die Neigung, die Be¬ deutung eines Dozenten nach den von ihm veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten zu beurtheilen, nicht eine so verbreitete sein, wie sie es thatsächlich ist. Wie viel Universitätslehrer gibt es nicht, die durch ihre Feder sich einen ge¬ achteten Namen erworben haben und Schüler von nah und fern herbeilocken, und die doch in ihrer Lehrthätigkeit so wenig Beruf an den Tag legen, daß sie auf jedem Schulkatheder vor einer kritiklustigeren Jugend glänzendes Fiasko machen würden, auf dem Universitätskatheder freilich geduldig ertragen werden müssen! Und umgekehrt: die größten pädagogischen Meister, denen es gelingt, einen Kreis

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/178
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/178>, abgerufen am 01.07.2024.