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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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der Kornzölle und nach der Navigationsakte, die nnr zum Theil hierher ge¬
hören, sich keiner Erfolge mehr zu rühmen gehabt. Wir werden uns das von
Stommel weiterhin ausführlich zeigen lassen. Für jetzt kehren wir nach Deutsch¬
land zurück, um mit dem Verfasser unsrer Schrift den heutigen Stand der
Parteien und namentlich das noch nicht schamhaft gewordene, sowie das ver¬
hüllte Manchesterthnm in seinem Verhalten zum Staat und seinen Aufgaben
näher zu betrachten.

Eigentliche Schutzzöllner gibt es nur noch wenige. Die Erfahrung der
letzten fünfzehn Jahre hat die große Mehrzahl überzeugt, daß in der Schutz¬
zollpolitik auch zu viel gethan werden kann, und daß der Freihandel seine guten
Seiten hat. "Es ist," sagt Stommel, "kein leerer Wahn, daß der Wettbewerb
die Kräfte entfesselt, die Fähigkeiten entwickelt, die Produktion verbessert; kein
grundloser Vorwurf, daß Schutzzoll mit prohibitiven Charakter Passivität er¬
zeugt, Privilegien ohne Gegenleistung bildet, die Produktion qualitativ nicht
fördert und zur Ueberproduktion führt. Oesterreich, Rußland, Amerika beweisen
dies hinlänglich, auch Deutschland ließ sich, so lange der amerikanische Markt
der Textilindustrie noch offen stciud, als Beispiel dafür anführen. Die Schließung
dieses Marktes hat bei uns besonders in der ebengenannten Industrie eine
außerordentliche Reaktion hervorgerufen: sie hat den Fabrikanten aufgerüttelt
aus dem Schlendrian allzuleichten Verdienstes, sie hat die Kapitalkraft wieder
an die Intelligenz und Kenntniß verwiesen und ist unbarmherzig über viele
Leichen hiugeschritten, welche nicht die Kraft oder Elastizität besaßen, sich der
veränderten Lage der Dinge anzupassen." Diese und andere Beobachtungen
haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Die meisten sogenannten Schutzzöllner be¬
kennen sich jetzt zu einem Freihandel, der die nationalen Interessen berücksichtigt,
oder der mit andern Worten durch den berechtigten Staatsegoismus beschränkt
und bedingt ist, und man kann überzeugt sein, daß sie wenigstens mit einem Theile
der Zollreduktionen des letzten Jahrzehnts einverstanden sind. Ist für diese
also die Bezeichnung "Schutzzöllner" unpassend, so deckt andrerseits der Name
"Freihändler" neben einer Anzahl solcher, die ihn nach der Meinung des Ver¬
fassers der hier benutzten Schrift und nach der unsern mit Recht tragen, auch
viele, die sich mit ihm nur maskiren, die nicht den wahren, den bedingten na¬
tionalen, sondern den unbedingten internationalen Freihandel erstreben, der eben
das Manchesterthum ist.

Das reine Manchesterthum fordert als Prinzip diesen uneingeschränkten
Freihandel, d. h. das Fallen aller und jeder Schutzzölle ohne Rücksicht auf
Reziprozität bei den Nachbarn, indem es behauptet, der wahre natürliche Bor¬
theil des Volkes erfordere dies, da die Staaten sich durch solche Zölle nur
selbst schadeten. Nicht die thatsächlichen Verhältnisse und nicht die industrielle


der Kornzölle und nach der Navigationsakte, die nnr zum Theil hierher ge¬
hören, sich keiner Erfolge mehr zu rühmen gehabt. Wir werden uns das von
Stommel weiterhin ausführlich zeigen lassen. Für jetzt kehren wir nach Deutsch¬
land zurück, um mit dem Verfasser unsrer Schrift den heutigen Stand der
Parteien und namentlich das noch nicht schamhaft gewordene, sowie das ver¬
hüllte Manchesterthnm in seinem Verhalten zum Staat und seinen Aufgaben
näher zu betrachten.

Eigentliche Schutzzöllner gibt es nur noch wenige. Die Erfahrung der
letzten fünfzehn Jahre hat die große Mehrzahl überzeugt, daß in der Schutz¬
zollpolitik auch zu viel gethan werden kann, und daß der Freihandel seine guten
Seiten hat. „Es ist," sagt Stommel, „kein leerer Wahn, daß der Wettbewerb
die Kräfte entfesselt, die Fähigkeiten entwickelt, die Produktion verbessert; kein
grundloser Vorwurf, daß Schutzzoll mit prohibitiven Charakter Passivität er¬
zeugt, Privilegien ohne Gegenleistung bildet, die Produktion qualitativ nicht
fördert und zur Ueberproduktion führt. Oesterreich, Rußland, Amerika beweisen
dies hinlänglich, auch Deutschland ließ sich, so lange der amerikanische Markt
der Textilindustrie noch offen stciud, als Beispiel dafür anführen. Die Schließung
dieses Marktes hat bei uns besonders in der ebengenannten Industrie eine
außerordentliche Reaktion hervorgerufen: sie hat den Fabrikanten aufgerüttelt
aus dem Schlendrian allzuleichten Verdienstes, sie hat die Kapitalkraft wieder
an die Intelligenz und Kenntniß verwiesen und ist unbarmherzig über viele
Leichen hiugeschritten, welche nicht die Kraft oder Elastizität besaßen, sich der
veränderten Lage der Dinge anzupassen." Diese und andere Beobachtungen
haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Die meisten sogenannten Schutzzöllner be¬
kennen sich jetzt zu einem Freihandel, der die nationalen Interessen berücksichtigt,
oder der mit andern Worten durch den berechtigten Staatsegoismus beschränkt
und bedingt ist, und man kann überzeugt sein, daß sie wenigstens mit einem Theile
der Zollreduktionen des letzten Jahrzehnts einverstanden sind. Ist für diese
also die Bezeichnung „Schutzzöllner" unpassend, so deckt andrerseits der Name
„Freihändler" neben einer Anzahl solcher, die ihn nach der Meinung des Ver¬
fassers der hier benutzten Schrift und nach der unsern mit Recht tragen, auch
viele, die sich mit ihm nur maskiren, die nicht den wahren, den bedingten na¬
tionalen, sondern den unbedingten internationalen Freihandel erstreben, der eben
das Manchesterthum ist.

Das reine Manchesterthum fordert als Prinzip diesen uneingeschränkten
Freihandel, d. h. das Fallen aller und jeder Schutzzölle ohne Rücksicht auf
Reziprozität bei den Nachbarn, indem es behauptet, der wahre natürliche Bor¬
theil des Volkes erfordere dies, da die Staaten sich durch solche Zölle nur
selbst schadeten. Nicht die thatsächlichen Verhältnisse und nicht die industrielle


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[0015] der Kornzölle und nach der Navigationsakte, die nnr zum Theil hierher ge¬ hören, sich keiner Erfolge mehr zu rühmen gehabt. Wir werden uns das von Stommel weiterhin ausführlich zeigen lassen. Für jetzt kehren wir nach Deutsch¬ land zurück, um mit dem Verfasser unsrer Schrift den heutigen Stand der Parteien und namentlich das noch nicht schamhaft gewordene, sowie das ver¬ hüllte Manchesterthnm in seinem Verhalten zum Staat und seinen Aufgaben näher zu betrachten. Eigentliche Schutzzöllner gibt es nur noch wenige. Die Erfahrung der letzten fünfzehn Jahre hat die große Mehrzahl überzeugt, daß in der Schutz¬ zollpolitik auch zu viel gethan werden kann, und daß der Freihandel seine guten Seiten hat. „Es ist," sagt Stommel, „kein leerer Wahn, daß der Wettbewerb die Kräfte entfesselt, die Fähigkeiten entwickelt, die Produktion verbessert; kein grundloser Vorwurf, daß Schutzzoll mit prohibitiven Charakter Passivität er¬ zeugt, Privilegien ohne Gegenleistung bildet, die Produktion qualitativ nicht fördert und zur Ueberproduktion führt. Oesterreich, Rußland, Amerika beweisen dies hinlänglich, auch Deutschland ließ sich, so lange der amerikanische Markt der Textilindustrie noch offen stciud, als Beispiel dafür anführen. Die Schließung dieses Marktes hat bei uns besonders in der ebengenannten Industrie eine außerordentliche Reaktion hervorgerufen: sie hat den Fabrikanten aufgerüttelt aus dem Schlendrian allzuleichten Verdienstes, sie hat die Kapitalkraft wieder an die Intelligenz und Kenntniß verwiesen und ist unbarmherzig über viele Leichen hiugeschritten, welche nicht die Kraft oder Elastizität besaßen, sich der veränderten Lage der Dinge anzupassen." Diese und andere Beobachtungen haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Die meisten sogenannten Schutzzöllner be¬ kennen sich jetzt zu einem Freihandel, der die nationalen Interessen berücksichtigt, oder der mit andern Worten durch den berechtigten Staatsegoismus beschränkt und bedingt ist, und man kann überzeugt sein, daß sie wenigstens mit einem Theile der Zollreduktionen des letzten Jahrzehnts einverstanden sind. Ist für diese also die Bezeichnung „Schutzzöllner" unpassend, so deckt andrerseits der Name „Freihändler" neben einer Anzahl solcher, die ihn nach der Meinung des Ver¬ fassers der hier benutzten Schrift und nach der unsern mit Recht tragen, auch viele, die sich mit ihm nur maskiren, die nicht den wahren, den bedingten na¬ tionalen, sondern den unbedingten internationalen Freihandel erstreben, der eben das Manchesterthum ist. Das reine Manchesterthum fordert als Prinzip diesen uneingeschränkten Freihandel, d. h. das Fallen aller und jeder Schutzzölle ohne Rücksicht auf Reziprozität bei den Nachbarn, indem es behauptet, der wahre natürliche Bor¬ theil des Volkes erfordere dies, da die Staaten sich durch solche Zölle nur selbst schadeten. Nicht die thatsächlichen Verhältnisse und nicht die industrielle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/15>, abgerufen am 05.02.2025.