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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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zum Freihandel über, mit dem es die Landesindustrie bei der ihr zu Gebote
stehenden Kapitalkraft und andern Begünstigungen ihrer Arbeit längst schon
wagen konnte. Aber zu gleicher Zeit bauschte die Interessenpolitik der englischen
Großfabrikanten diese sehr verständige Bewegung zu einer weit über ihr an¬
fängliches Ziel hinausschießenden Theorie auf. Ein Theil der Anhänger des
so erwachsenen Manchesterthums allerdings bestand aus idealistischen Freiheits¬
schwärmern, der andere aber aus nüchternen egoistischen Spekulanten. Jene
ließen sich dnrch Uebertreibung der Grundsätze, welche die Bewegung gegen die
Korngesetze auf ihre Fahne geschrieben, zu dem utopistischen Verlangen nach
unbeschränkter internationaler Konkurrenz hinreißen, diese unterstützten zu selbst¬
süchtigen Zwecken, zu möglichst radikaler prinzipieller Ausbreitung des Frei¬
handels auf dem ihnen noch nicht gewachsenen Kontinente, jene Uebertreibung
aus allen Kräften.

Im Auslande sah man natürlich nur die erstere Richtung, und daß den
idealistischen Deutschen die Figur eines Cobden, den systematisch Opposition
machenden Myrmidonen des preußischen Fortschritts der geistesverwandte
Bright imponirte, daß den großen Theoretikern und schwächlichen Praktikern,
den Freiheitsaposteln und Republikanern der Jahre kurz vor und kurz nach
Z848 die Lehre vom internationalen, kosmopolitischen Freihandel sofort ein¬
leuchtete, verstand sich von selbst. Dazu kam, daß die neue Weisheit von
England importirt wurde und man damals alles Fremde überschätzte und
alles Heimische gering achtete, und so war es kaum zu verwundern, daß die
Geistesarbeit der deutschen Nationalökonomen, besonders List's, ohne die ihr
gebührende Beachtung blieb. Die Presse that, wie immer mit der Tages¬
strömung gehend, ein Uebriges, und die rasche Entwickelung der deutschen
Industrie, welche sich stoßweise und abnorm vollzog, hat ohne Zweifel ebenfalls
dazu beigetragen, daß das Manchesterthum so lange in unserer Gesetzgebung
auf wirthschaftlichem Gebiet einflußreich und oft maßgebend gewesen ist; Es
ist in der That, wenn man die genannten Ursachen nicht kennt, ganz erstaun¬
lich und fast unerklärlich, daß die bedeutendsten unter unsern Nationalökonomen
sich mehr oder minder bestimmt gegen diese Partei erklärt haben, und daß ein
Mann von dem Ansehen Robert's von Mohl unzweideutig gegen die Grund¬
sätze derselben aufgetreten ist, und doch noch vor Kurzem nur die Wissenschaft
und uicht die Mehrheit des Reichstags die Handelspolitik gutheißen konnte,
welche durch ihre Uebereinstimmung mit der oben bezeichneten Entwickelung der
Rechtsidee den Beweis des Organischen für sich hatte.

Ganz anders in England. Hier ist die Regierung Angesichts aller man-
chesternen Theorien stets ans dem Boden der Thatsachen stehen geblieben, welche
die nationale Wohlfahrt bedingen, und jene Theorien haben dort nach Aufhören


zum Freihandel über, mit dem es die Landesindustrie bei der ihr zu Gebote
stehenden Kapitalkraft und andern Begünstigungen ihrer Arbeit längst schon
wagen konnte. Aber zu gleicher Zeit bauschte die Interessenpolitik der englischen
Großfabrikanten diese sehr verständige Bewegung zu einer weit über ihr an¬
fängliches Ziel hinausschießenden Theorie auf. Ein Theil der Anhänger des
so erwachsenen Manchesterthums allerdings bestand aus idealistischen Freiheits¬
schwärmern, der andere aber aus nüchternen egoistischen Spekulanten. Jene
ließen sich dnrch Uebertreibung der Grundsätze, welche die Bewegung gegen die
Korngesetze auf ihre Fahne geschrieben, zu dem utopistischen Verlangen nach
unbeschränkter internationaler Konkurrenz hinreißen, diese unterstützten zu selbst¬
süchtigen Zwecken, zu möglichst radikaler prinzipieller Ausbreitung des Frei¬
handels auf dem ihnen noch nicht gewachsenen Kontinente, jene Uebertreibung
aus allen Kräften.

Im Auslande sah man natürlich nur die erstere Richtung, und daß den
idealistischen Deutschen die Figur eines Cobden, den systematisch Opposition
machenden Myrmidonen des preußischen Fortschritts der geistesverwandte
Bright imponirte, daß den großen Theoretikern und schwächlichen Praktikern,
den Freiheitsaposteln und Republikanern der Jahre kurz vor und kurz nach
Z848 die Lehre vom internationalen, kosmopolitischen Freihandel sofort ein¬
leuchtete, verstand sich von selbst. Dazu kam, daß die neue Weisheit von
England importirt wurde und man damals alles Fremde überschätzte und
alles Heimische gering achtete, und so war es kaum zu verwundern, daß die
Geistesarbeit der deutschen Nationalökonomen, besonders List's, ohne die ihr
gebührende Beachtung blieb. Die Presse that, wie immer mit der Tages¬
strömung gehend, ein Uebriges, und die rasche Entwickelung der deutschen
Industrie, welche sich stoßweise und abnorm vollzog, hat ohne Zweifel ebenfalls
dazu beigetragen, daß das Manchesterthum so lange in unserer Gesetzgebung
auf wirthschaftlichem Gebiet einflußreich und oft maßgebend gewesen ist; Es
ist in der That, wenn man die genannten Ursachen nicht kennt, ganz erstaun¬
lich und fast unerklärlich, daß die bedeutendsten unter unsern Nationalökonomen
sich mehr oder minder bestimmt gegen diese Partei erklärt haben, und daß ein
Mann von dem Ansehen Robert's von Mohl unzweideutig gegen die Grund¬
sätze derselben aufgetreten ist, und doch noch vor Kurzem nur die Wissenschaft
und uicht die Mehrheit des Reichstags die Handelspolitik gutheißen konnte,
welche durch ihre Uebereinstimmung mit der oben bezeichneten Entwickelung der
Rechtsidee den Beweis des Organischen für sich hatte.

Ganz anders in England. Hier ist die Regierung Angesichts aller man-
chesternen Theorien stets ans dem Boden der Thatsachen stehen geblieben, welche
die nationale Wohlfahrt bedingen, und jene Theorien haben dort nach Aufhören


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/14>, abgerufen am 05.02.2025.