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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Männer, welche Preußen aus der Verwüstung der Napoleonischen Kriege heraus¬
arbeiteten, verfuhren unter den damaligen Verhältnissen geradeso, wie Bismarck
unter den gegenwärtigen verfahren will. Sie machten gar nicht Anspruch
darauf, wissenschaftlich zu sein, sondern überließen das den Professoren. Erst
eine spätere Zeit hat ihr Verfahren das System der natürlichen Kräfte genannt.
Ihre Denkschriften sind, von Diterici in seiner Geschichte der preußischen Steuer¬
gesetzgebung aus den Archiven zugänglich gemacht, von der manchesterlichen
Presse todtgeschwiegen worden und so nur den wenigsten unserer Volksvertreter
bekannt. Gleichzeitig mit ihnen wirkte List. Die Freihandelsagitation bei uns,
von den Stettiner und Hamburger Importeuren ausgehend, datirt unseres
Wissens aus den vierziger Jahren. Der Freihandelsverein in Berlin ist unter
der Leitung von Prince Smith, Michaelis und Faucher um das Jahr 1848
gegründet. Als der Anfangs mit Stolz geführte Name etwas anrüchig ge¬
worden war, pausirte der Verein ein Jahr, häutete sich und trat unter der
neuen Bezeichnung "Volkswirthschaftliche Gesellschaft" unter den drei genannten
Herren wieder in Thätigkeit.

Kehren wir zu Adam Smith zurück, so bildeten *) die Schüler des Meisters
seine Fehler mehr ans als seine Vorzüge. Smith's Philosophie war der eng¬
lische Militarismus, dem wir auf dem Gebiete induktiver Forschung werthvolle
Ergebnisse verdanken, und der auch für die Betrachtung volkswirtschaftlicher
Dinge wohl geeignet ist. Mit dieser Auffassung der Welt hat jener über die
Erscheinungen der Volkswirthschaft die scharfsinnigsten Untersuchungen angestellt
und ein gewaltiges Material zusammengehäuft. Aber in die Tiefe geht er
weniger, und im Grunde kommt er doch wieder auf die Deduktionen der
Physiotraten zurück, während man in seinen speziellen Ausführungen der that¬
sächlichen wirthschaftlichen Vorkommnisse die richtige Grundlegung, d. h. die
staatlich nationale, herauszuerkennen glaubt.

Auf jener schwachen Seite des Meisters, auf dem naturrechtlichen, staats¬
feindlichen Individualismus, fußt das Manchesterthum, aber nur zum Theil.
Mit dem anderen Fuße ruht es auf einer Nöthigung der englischen Industrie.
In dem Maße, in welchem der Kontinent selbst herstellte, was England bisher
allein fabrizirt hatte, mußte letzteres darauf bedacht sein, die aufkeimende
Konkurrenz auf dem Weltmarkte zu beseitigen. Gezwungen ging es in rascher
Folge vom Prohibitiv- zum Schutzzollsystem und theilweise -- nämlich, wie
später gezeigt werden soll, nur für das Mutterland, nicht für die Kolonien --



Vgl. hierzu G. Stommel's vortrefflich"! kleine Schrift: "Die deutsche Industrie
vor dem Reichstage", dritte Auflage (Leipzig, 1877, Frohberg!, der wir den größten
Theil des Nachstehenden auszugsweise entlehnen.

Männer, welche Preußen aus der Verwüstung der Napoleonischen Kriege heraus¬
arbeiteten, verfuhren unter den damaligen Verhältnissen geradeso, wie Bismarck
unter den gegenwärtigen verfahren will. Sie machten gar nicht Anspruch
darauf, wissenschaftlich zu sein, sondern überließen das den Professoren. Erst
eine spätere Zeit hat ihr Verfahren das System der natürlichen Kräfte genannt.
Ihre Denkschriften sind, von Diterici in seiner Geschichte der preußischen Steuer¬
gesetzgebung aus den Archiven zugänglich gemacht, von der manchesterlichen
Presse todtgeschwiegen worden und so nur den wenigsten unserer Volksvertreter
bekannt. Gleichzeitig mit ihnen wirkte List. Die Freihandelsagitation bei uns,
von den Stettiner und Hamburger Importeuren ausgehend, datirt unseres
Wissens aus den vierziger Jahren. Der Freihandelsverein in Berlin ist unter
der Leitung von Prince Smith, Michaelis und Faucher um das Jahr 1848
gegründet. Als der Anfangs mit Stolz geführte Name etwas anrüchig ge¬
worden war, pausirte der Verein ein Jahr, häutete sich und trat unter der
neuen Bezeichnung „Volkswirthschaftliche Gesellschaft" unter den drei genannten
Herren wieder in Thätigkeit.

Kehren wir zu Adam Smith zurück, so bildeten *) die Schüler des Meisters
seine Fehler mehr ans als seine Vorzüge. Smith's Philosophie war der eng¬
lische Militarismus, dem wir auf dem Gebiete induktiver Forschung werthvolle
Ergebnisse verdanken, und der auch für die Betrachtung volkswirtschaftlicher
Dinge wohl geeignet ist. Mit dieser Auffassung der Welt hat jener über die
Erscheinungen der Volkswirthschaft die scharfsinnigsten Untersuchungen angestellt
und ein gewaltiges Material zusammengehäuft. Aber in die Tiefe geht er
weniger, und im Grunde kommt er doch wieder auf die Deduktionen der
Physiotraten zurück, während man in seinen speziellen Ausführungen der that¬
sächlichen wirthschaftlichen Vorkommnisse die richtige Grundlegung, d. h. die
staatlich nationale, herauszuerkennen glaubt.

Auf jener schwachen Seite des Meisters, auf dem naturrechtlichen, staats¬
feindlichen Individualismus, fußt das Manchesterthum, aber nur zum Theil.
Mit dem anderen Fuße ruht es auf einer Nöthigung der englischen Industrie.
In dem Maße, in welchem der Kontinent selbst herstellte, was England bisher
allein fabrizirt hatte, mußte letzteres darauf bedacht sein, die aufkeimende
Konkurrenz auf dem Weltmarkte zu beseitigen. Gezwungen ging es in rascher
Folge vom Prohibitiv- zum Schutzzollsystem und theilweise — nämlich, wie
später gezeigt werden soll, nur für das Mutterland, nicht für die Kolonien —



Vgl. hierzu G. Stommel's vortrefflich«! kleine Schrift: „Die deutsche Industrie
vor dem Reichstage", dritte Auflage (Leipzig, 1877, Frohberg!, der wir den größten
Theil des Nachstehenden auszugsweise entlehnen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/13>, abgerufen am 29.09.2024.