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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Sultan den Juden, der übrigens bei ihm den Namen Absalon führt, zu be¬
rauben sucht. Die Juden sind verhaßt, man braucht sich daher kein Gewissen
zu machen, einem unter ihnen sein Geld abzunehmen. Dem toleranten Boc¬
caccio widerstrebte wohl eine solche Auffassung; deshalb stellt er den Juden
als einen reichen, geizigen Wucherer hin.

Um vieles erheblicher sind die Abweichungen in der anderen Ueberlieferung.
Die Cento Novelle sind bekanntlich eine Sammlung alter Erzählungen, Mär¬
chen und Anekdoten, der namentlich die aus arabischen Quellen geflossenem Er¬
zählungen der DisoixlinÄ clsric^is von Petrus Alphonsus, schwanke und Züge
der kavIiaux-Dichtung der nordfranzösischen ?ronvürss, alte französische Ritter¬
romane, italienische Chroniken u. a. zu Grunde liegen. Ueber Verfasser und Ab¬
fassungszeit dieses Sammelwerkes läßt sich nichts Bestimmtes angeben. Eine
Reihe der darin erzählten Begebenheiten gehört der zweiten Hälfte des 13.
Jahrhunderts an, ja die 15. Novelle fällt nachweislich sogar in die ersten
Dezennien des 14. Jahrhunderts. Vielleicht ist die Sammlung der Novellen
sogar erst nach Boccaccio veranstaltet worden. Die Zahl der Novellen wenig¬
stens in den gedruckten Ausgaben ist wahrscheinlich erst in Nachahmung des
Decamerone auf hundert fixirt worden. Die wenigen Handschriften, welche den
Herausgebern zu Gebote standen, weichen nach Zahl und Anordnung der No¬
vellen bedeutend von einander ab. Wenn wir also sagten, Boccaccio habe aus
Busone und dieser wieder aus den C. N. geschöpft, so bleibt dabei nicht aus¬
geschlossen, daß nicht schon ersterer die gegenwärtige Form der Ringparabel in
den C. N. gekannt habe. Nur die Art der Nachahmung ergibt auf's be¬
stimmteste eine direkte Anlehnung an Busone. Zu Busone's Zeit lebten die
C. N., wie sie in der vorhandenen ältesten gedruckten Sammlung vom Jahre
1525 vorliegen, im Munde des Volkes, einzelne mochten auch bereits nieder¬
geschrieben sein.

Nach der Darstellung in den C. N. lautet die Parabel kurz, wie folgt. Der
Sultan ist in Geldverlegenheit, und um sich zu helfen, wird ihm gerathen,
Gelegenheit gegen einen reichen Juden zu fuchen, der auf seinem Grundbesitze
lebt, und ihm sein beträchtliches Vermögen zu nehmen. Der Sultan läßt den
Juden kommen und stellt ihm eine Falle, indem er ihn nach dem rechten
Glauben fragt. Er denkt nämlich: Antwortet er: der jüdische, so beleidigt
er mich, und ich habe das Recht, ihn zu bestrafen; sagt er dagegen: der sara¬
zenische, so werde ich sagen: Wie darfst du am jüdischen festhalten? Der Jude
merkt die List und antwortet mit der Parabel von den drei Ringen. Ein
Vater hatte drei Söhne, aber nur einen Ring mit einem sehr kostbaren Steine.
Um das Verlangen aller seiner Söhne zu beschwichtigen, ließ er von einem
Goldschmied zwei dem echten Ringe so täuschend ähnliche machen, daß nur er


Grenzboten I. 1879. 17

Sultan den Juden, der übrigens bei ihm den Namen Absalon führt, zu be¬
rauben sucht. Die Juden sind verhaßt, man braucht sich daher kein Gewissen
zu machen, einem unter ihnen sein Geld abzunehmen. Dem toleranten Boc¬
caccio widerstrebte wohl eine solche Auffassung; deshalb stellt er den Juden
als einen reichen, geizigen Wucherer hin.

Um vieles erheblicher sind die Abweichungen in der anderen Ueberlieferung.
Die Cento Novelle sind bekanntlich eine Sammlung alter Erzählungen, Mär¬
chen und Anekdoten, der namentlich die aus arabischen Quellen geflossenem Er¬
zählungen der DisoixlinÄ clsric^is von Petrus Alphonsus, schwanke und Züge
der kavIiaux-Dichtung der nordfranzösischen ?ronvürss, alte französische Ritter¬
romane, italienische Chroniken u. a. zu Grunde liegen. Ueber Verfasser und Ab¬
fassungszeit dieses Sammelwerkes läßt sich nichts Bestimmtes angeben. Eine
Reihe der darin erzählten Begebenheiten gehört der zweiten Hälfte des 13.
Jahrhunderts an, ja die 15. Novelle fällt nachweislich sogar in die ersten
Dezennien des 14. Jahrhunderts. Vielleicht ist die Sammlung der Novellen
sogar erst nach Boccaccio veranstaltet worden. Die Zahl der Novellen wenig¬
stens in den gedruckten Ausgaben ist wahrscheinlich erst in Nachahmung des
Decamerone auf hundert fixirt worden. Die wenigen Handschriften, welche den
Herausgebern zu Gebote standen, weichen nach Zahl und Anordnung der No¬
vellen bedeutend von einander ab. Wenn wir also sagten, Boccaccio habe aus
Busone und dieser wieder aus den C. N. geschöpft, so bleibt dabei nicht aus¬
geschlossen, daß nicht schon ersterer die gegenwärtige Form der Ringparabel in
den C. N. gekannt habe. Nur die Art der Nachahmung ergibt auf's be¬
stimmteste eine direkte Anlehnung an Busone. Zu Busone's Zeit lebten die
C. N., wie sie in der vorhandenen ältesten gedruckten Sammlung vom Jahre
1525 vorliegen, im Munde des Volkes, einzelne mochten auch bereits nieder¬
geschrieben sein.

Nach der Darstellung in den C. N. lautet die Parabel kurz, wie folgt. Der
Sultan ist in Geldverlegenheit, und um sich zu helfen, wird ihm gerathen,
Gelegenheit gegen einen reichen Juden zu fuchen, der auf seinem Grundbesitze
lebt, und ihm sein beträchtliches Vermögen zu nehmen. Der Sultan läßt den
Juden kommen und stellt ihm eine Falle, indem er ihn nach dem rechten
Glauben fragt. Er denkt nämlich: Antwortet er: der jüdische, so beleidigt
er mich, und ich habe das Recht, ihn zu bestrafen; sagt er dagegen: der sara¬
zenische, so werde ich sagen: Wie darfst du am jüdischen festhalten? Der Jude
merkt die List und antwortet mit der Parabel von den drei Ringen. Ein
Vater hatte drei Söhne, aber nur einen Ring mit einem sehr kostbaren Steine.
Um das Verlangen aller seiner Söhne zu beschwichtigen, ließ er von einem
Goldschmied zwei dem echten Ringe so täuschend ähnliche machen, daß nur er


Grenzboten I. 1879. 17
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[0137] Sultan den Juden, der übrigens bei ihm den Namen Absalon führt, zu be¬ rauben sucht. Die Juden sind verhaßt, man braucht sich daher kein Gewissen zu machen, einem unter ihnen sein Geld abzunehmen. Dem toleranten Boc¬ caccio widerstrebte wohl eine solche Auffassung; deshalb stellt er den Juden als einen reichen, geizigen Wucherer hin. Um vieles erheblicher sind die Abweichungen in der anderen Ueberlieferung. Die Cento Novelle sind bekanntlich eine Sammlung alter Erzählungen, Mär¬ chen und Anekdoten, der namentlich die aus arabischen Quellen geflossenem Er¬ zählungen der DisoixlinÄ clsric^is von Petrus Alphonsus, schwanke und Züge der kavIiaux-Dichtung der nordfranzösischen ?ronvürss, alte französische Ritter¬ romane, italienische Chroniken u. a. zu Grunde liegen. Ueber Verfasser und Ab¬ fassungszeit dieses Sammelwerkes läßt sich nichts Bestimmtes angeben. Eine Reihe der darin erzählten Begebenheiten gehört der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an, ja die 15. Novelle fällt nachweislich sogar in die ersten Dezennien des 14. Jahrhunderts. Vielleicht ist die Sammlung der Novellen sogar erst nach Boccaccio veranstaltet worden. Die Zahl der Novellen wenig¬ stens in den gedruckten Ausgaben ist wahrscheinlich erst in Nachahmung des Decamerone auf hundert fixirt worden. Die wenigen Handschriften, welche den Herausgebern zu Gebote standen, weichen nach Zahl und Anordnung der No¬ vellen bedeutend von einander ab. Wenn wir also sagten, Boccaccio habe aus Busone und dieser wieder aus den C. N. geschöpft, so bleibt dabei nicht aus¬ geschlossen, daß nicht schon ersterer die gegenwärtige Form der Ringparabel in den C. N. gekannt habe. Nur die Art der Nachahmung ergibt auf's be¬ stimmteste eine direkte Anlehnung an Busone. Zu Busone's Zeit lebten die C. N., wie sie in der vorhandenen ältesten gedruckten Sammlung vom Jahre 1525 vorliegen, im Munde des Volkes, einzelne mochten auch bereits nieder¬ geschrieben sein. Nach der Darstellung in den C. N. lautet die Parabel kurz, wie folgt. Der Sultan ist in Geldverlegenheit, und um sich zu helfen, wird ihm gerathen, Gelegenheit gegen einen reichen Juden zu fuchen, der auf seinem Grundbesitze lebt, und ihm sein beträchtliches Vermögen zu nehmen. Der Sultan läßt den Juden kommen und stellt ihm eine Falle, indem er ihn nach dem rechten Glauben fragt. Er denkt nämlich: Antwortet er: der jüdische, so beleidigt er mich, und ich habe das Recht, ihn zu bestrafen; sagt er dagegen: der sara¬ zenische, so werde ich sagen: Wie darfst du am jüdischen festhalten? Der Jude merkt die List und antwortet mit der Parabel von den drei Ringen. Ein Vater hatte drei Söhne, aber nur einen Ring mit einem sehr kostbaren Steine. Um das Verlangen aller seiner Söhne zu beschwichtigen, ließ er von einem Goldschmied zwei dem echten Ringe so täuschend ähnliche machen, daß nur er Grenzboten I. 1879. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/137>, abgerufen am 03.07.2024.