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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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allein jenen erkannte. Er gab nun jedem Sohne einen Ring im Geheimen,
und jeder glaubte den echten zu haben. So steht es auch mit den Glauben,
deren drei sind; der Vater droben weiß den besten. Die Söhne sind wir,
jeder meint den> rechten Glauben zu haben. AIs der Sultan hört, wie sich
der Jude aus der Schlinge gezogen, weiß er nicht, was er sagen soll, und
läßt ihn gehen.

Daß diese Relation von den beiden anderen genannten das Recht größerer
Ursprünglichkeit in Anspruch nimmt, erhellt schon aus der Form. Das ein¬
fache und schmucklose Gewand vindizirt ihr entschieden die Priorität. Dazu
kommt die Kürze. Der Bericht zählt nur 230 Worte; bei Busone ist er schon
um hundert Worte gewachsen, und bei Boccaccio hat er bereits 740 Worte.
Aber auch die sachlichen Abweichungen zwischen beiden Fassungen sind der Art,
daß sich die Ursprünglichkeit auf Seiten der C. N. nicht verkennen läßt. Ihre
Darstellung gibt nur an, daß der Sultan in Geldverlegenheit ist, es wird aber
nicht gesagt, wozu er das Geld nöthig hat. Auch die Beraubung des Juden
wird durch nichts motivirt. Der Jude nimmt unwillkürlich nicht gegen sich,
sondern für sich ein; Geiz und Geldgier treten an seiner Person nicht hervor,
und der Leser fühlt dnrch nichts den vom Sultan ihm gestellten Hinterhalt
berechtigt. Ferner handelt es sich nach dieser Darstellung nicht, wie bei Boc¬
caccio und Busone, um drei, sondern nur um zwei Religionen, Die christliche
zieht der Jude unaufgefordert mit in die Parabel hinein, es bleibt indessen
unerörtert, was ihn dazu veranlaßt, ein Umstand, der nicht ohne Bedeutung
für die weitere Untersuchung sein wird. Ein sehr beachtenswerther Unterschied
liegt ferner in der Nutzanwendung. In ihr wird die Frage an Gott ver¬
wiesen, der allein den besten Glauben kenne; bei Busone und Boccaccio da¬
gegen ist zwar eine von den drei Religionen die echte; welche aber, diese Frage
bleibt in der Schwebe. Endlich sind nach den C. N. der Sultan und der
Jude namenlos, die Szene hat keinen bestimmten Schauplatz, und sür Religion
steht das Wort thats (Glauben), während Busone und Boccaccio dafür das
Wort IsM (Gesetz) setzen.

In jüngster Zeit ist nun vielfach die Frage nach dem eigentlichen Ursprünge
der Ringparabel ventilirt worden. Vor allem hat sich der in Mainz erschei¬
nende "Jsraeli:" in einem längeren Artikel damit beschäftigt. Der "Jsraelit"
hält nicht nur die Parabel für das Produkt eines Juden, sondern nimmt auch
eine jüdische Quelle und zwar das Buch Schedels Jehuda von R. Salomo
aben Verga in Anspruch, welche das Original enthalten soll. Diese Ent¬
deckung ist nicht neu, denn John Dunlop hat bereits vor mehr als 60 Jahren
in seiner Histor^ ok Viotion bei Betrachtung des Deccunerone auf den Schedels
Jehuda als muthmaßliche Quelle der Parabel hingewiesen. M. Wiener, der


allein jenen erkannte. Er gab nun jedem Sohne einen Ring im Geheimen,
und jeder glaubte den echten zu haben. So steht es auch mit den Glauben,
deren drei sind; der Vater droben weiß den besten. Die Söhne sind wir,
jeder meint den> rechten Glauben zu haben. AIs der Sultan hört, wie sich
der Jude aus der Schlinge gezogen, weiß er nicht, was er sagen soll, und
läßt ihn gehen.

Daß diese Relation von den beiden anderen genannten das Recht größerer
Ursprünglichkeit in Anspruch nimmt, erhellt schon aus der Form. Das ein¬
fache und schmucklose Gewand vindizirt ihr entschieden die Priorität. Dazu
kommt die Kürze. Der Bericht zählt nur 230 Worte; bei Busone ist er schon
um hundert Worte gewachsen, und bei Boccaccio hat er bereits 740 Worte.
Aber auch die sachlichen Abweichungen zwischen beiden Fassungen sind der Art,
daß sich die Ursprünglichkeit auf Seiten der C. N. nicht verkennen läßt. Ihre
Darstellung gibt nur an, daß der Sultan in Geldverlegenheit ist, es wird aber
nicht gesagt, wozu er das Geld nöthig hat. Auch die Beraubung des Juden
wird durch nichts motivirt. Der Jude nimmt unwillkürlich nicht gegen sich,
sondern für sich ein; Geiz und Geldgier treten an seiner Person nicht hervor,
und der Leser fühlt dnrch nichts den vom Sultan ihm gestellten Hinterhalt
berechtigt. Ferner handelt es sich nach dieser Darstellung nicht, wie bei Boc¬
caccio und Busone, um drei, sondern nur um zwei Religionen, Die christliche
zieht der Jude unaufgefordert mit in die Parabel hinein, es bleibt indessen
unerörtert, was ihn dazu veranlaßt, ein Umstand, der nicht ohne Bedeutung
für die weitere Untersuchung sein wird. Ein sehr beachtenswerther Unterschied
liegt ferner in der Nutzanwendung. In ihr wird die Frage an Gott ver¬
wiesen, der allein den besten Glauben kenne; bei Busone und Boccaccio da¬
gegen ist zwar eine von den drei Religionen die echte; welche aber, diese Frage
bleibt in der Schwebe. Endlich sind nach den C. N. der Sultan und der
Jude namenlos, die Szene hat keinen bestimmten Schauplatz, und sür Religion
steht das Wort thats (Glauben), während Busone und Boccaccio dafür das
Wort IsM (Gesetz) setzen.

In jüngster Zeit ist nun vielfach die Frage nach dem eigentlichen Ursprünge
der Ringparabel ventilirt worden. Vor allem hat sich der in Mainz erschei¬
nende „Jsraeli:" in einem längeren Artikel damit beschäftigt. Der „Jsraelit"
hält nicht nur die Parabel für das Produkt eines Juden, sondern nimmt auch
eine jüdische Quelle und zwar das Buch Schedels Jehuda von R. Salomo
aben Verga in Anspruch, welche das Original enthalten soll. Diese Ent¬
deckung ist nicht neu, denn John Dunlop hat bereits vor mehr als 60 Jahren
in seiner Histor^ ok Viotion bei Betrachtung des Deccunerone auf den Schedels
Jehuda als muthmaßliche Quelle der Parabel hingewiesen. M. Wiener, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/138>, abgerufen am 22.07.2024.