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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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seine eben wegen der "Wolfenbüttler Fragmente" ausgefochtene theologische
Fehde: "Noch weiß ich nicht, was für einen Ausgang mein Handel nehmen
wird. Aber ich möchte gern auf einen jeden gefaßt seyn. Du weißt wohl,
daß man das nicht besser ist, als wenn man Geld hat, soviel man braucht;
und da habe ich diese vergangene Nacht einen närrischen Einfall gehabt. Ich
habe vor vielen Jahren einmal ein Schauspiel entworfen, dessen Inhalt eine
Art von Analogie mit meinen gegenwärtigen Streitigkeiten hat, die ich mir
damals wohl nicht träumen ließ____Ich möchte zwar nicht gern, daß der
eigentliche Inhalt meines Stücks allzufrüh bekannt würde; aber doch, wenn
Ihr, Du oder Moses, ihn wissen wollt, so schlagt das vkWwsronv des Loo
CÄceio auf: (^iornata. I. Nov. III. Nslodissciseli (?iuckoc>. Ich glaube eine
sehr interessante Episode dazu erfunden zu haben, daß sich alles sehr gut soll
lesen lassen, und ich gewiß den Theologen einen ärgeren Possen damit spielen
will, als noch mit zehn Fragmenten."

Daß die Parabel unter Lessing's Händen wesentlich umgestaltet und ver¬
tieft worden ist und erst durch ihn ihre Welt- und kirchengeschichtliche Bedeu¬
tung erlangt hat, ist oft genug erörtert worden und braucht an dieser Stelle
nicht wiederholt zu werden. Weniger bekannt dürfte es sein, daß die Ring¬
fabel außer bei Boccaccio noch in zwei älteren Werken vorkommt: einmal in
dem etwa vierzig Jahre vor dem Decamerone verfaßten Ritterroman
turosc" OieiliÄno des Busone da Rafaelli Gubbio, oder wie er gewöhnlicher
genannt wird, Busone oder Busone da Gubbio*), eines Freundes und Zeit¬
genossen Dante's, und sodann in den Osuto Novells Älltictis. Alle drei italie¬
nischen Relationen stehen zu einander in einem auffälligen Abhängigkeitsver¬
hältniß, und zwar weist Boccaccio's Darstellung zunächst auf Busone und
dieser wieder auf die Cento Novelle zurück.

Die Abweichungen zwischen Boccaccio und Busone sind im Ganzen un¬
bedeutend. Folgendes heben wir hervor. Während es bei Boccaccio einigermaßen
zweifelhaft bleibt, zu welchem Zwecke der Sultan das Geld des Juden nöthig
hat, ob zur Befriedigung seiner Prachtliebe oder zu einem neuen Kriegsunter¬
nehmen gegen die Christen, so erfahren wir bei Busone bestimmt, daß es sich
um letzteren Zweck handelt. Ebenso gibt Busone den Grund an, warum der



lag das Stück gedruckt vor. Auf ein zweites Jubiläum bedarf es Wohl kaum eines beson-
deren Hinweises: Der Tag, an welchem diese Nummer unseres Blattes vollendet wird, ist
Lessing's 1S0 jähriger Geburtstag (Gotthold Ephraim Lessing geboren am 22. Januar 1729
D. Red. zu Camenz in der Lausitz).
*) Busone wurde 1290 geboren und starb 1360. Seinen Roman vollendete er um
das Jahr 1311, derselbe fand aber, weil er weder nach Inhalt noch Form fesselte, wenig
Verbreitung.

seine eben wegen der „Wolfenbüttler Fragmente" ausgefochtene theologische
Fehde: „Noch weiß ich nicht, was für einen Ausgang mein Handel nehmen
wird. Aber ich möchte gern auf einen jeden gefaßt seyn. Du weißt wohl,
daß man das nicht besser ist, als wenn man Geld hat, soviel man braucht;
und da habe ich diese vergangene Nacht einen närrischen Einfall gehabt. Ich
habe vor vielen Jahren einmal ein Schauspiel entworfen, dessen Inhalt eine
Art von Analogie mit meinen gegenwärtigen Streitigkeiten hat, die ich mir
damals wohl nicht träumen ließ____Ich möchte zwar nicht gern, daß der
eigentliche Inhalt meines Stücks allzufrüh bekannt würde; aber doch, wenn
Ihr, Du oder Moses, ihn wissen wollt, so schlagt das vkWwsronv des Loo
CÄceio auf: (^iornata. I. Nov. III. Nslodissciseli (?iuckoc>. Ich glaube eine
sehr interessante Episode dazu erfunden zu haben, daß sich alles sehr gut soll
lesen lassen, und ich gewiß den Theologen einen ärgeren Possen damit spielen
will, als noch mit zehn Fragmenten."

Daß die Parabel unter Lessing's Händen wesentlich umgestaltet und ver¬
tieft worden ist und erst durch ihn ihre Welt- und kirchengeschichtliche Bedeu¬
tung erlangt hat, ist oft genug erörtert worden und braucht an dieser Stelle
nicht wiederholt zu werden. Weniger bekannt dürfte es sein, daß die Ring¬
fabel außer bei Boccaccio noch in zwei älteren Werken vorkommt: einmal in
dem etwa vierzig Jahre vor dem Decamerone verfaßten Ritterroman
turosc» OieiliÄno des Busone da Rafaelli Gubbio, oder wie er gewöhnlicher
genannt wird, Busone oder Busone da Gubbio*), eines Freundes und Zeit¬
genossen Dante's, und sodann in den Osuto Novells Älltictis. Alle drei italie¬
nischen Relationen stehen zu einander in einem auffälligen Abhängigkeitsver¬
hältniß, und zwar weist Boccaccio's Darstellung zunächst auf Busone und
dieser wieder auf die Cento Novelle zurück.

Die Abweichungen zwischen Boccaccio und Busone sind im Ganzen un¬
bedeutend. Folgendes heben wir hervor. Während es bei Boccaccio einigermaßen
zweifelhaft bleibt, zu welchem Zwecke der Sultan das Geld des Juden nöthig
hat, ob zur Befriedigung seiner Prachtliebe oder zu einem neuen Kriegsunter¬
nehmen gegen die Christen, so erfahren wir bei Busone bestimmt, daß es sich
um letzteren Zweck handelt. Ebenso gibt Busone den Grund an, warum der



lag das Stück gedruckt vor. Auf ein zweites Jubiläum bedarf es Wohl kaum eines beson-
deren Hinweises: Der Tag, an welchem diese Nummer unseres Blattes vollendet wird, ist
Lessing's 1S0 jähriger Geburtstag (Gotthold Ephraim Lessing geboren am 22. Januar 1729
D. Red. zu Camenz in der Lausitz).
*) Busone wurde 1290 geboren und starb 1360. Seinen Roman vollendete er um
das Jahr 1311, derselbe fand aber, weil er weder nach Inhalt noch Form fesselte, wenig
Verbreitung.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/136>, abgerufen am 01.07.2024.