Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.Indem wir im Folgenden das Wesen und die Ziele des Manchesterthums Fragt man sich, weshalb die Lehren der Manchesterschule in Deutschland Indem wir im Folgenden das Wesen und die Ziele des Manchesterthums Fragt man sich, weshalb die Lehren der Manchesterschule in Deutschland <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141423"/> <p xml:id="ID_11"> Indem wir im Folgenden das Wesen und die Ziele des Manchesterthums<lb/> betrachten, beginnen wir mit einem Zugeständniß in Betreff der Stellung der¬<lb/> selben zur Zollpolitik. Die Idee des universellen und bedingungslosen Frei¬<lb/> handels ist eine solche, die im Allgemeinen bei jedem Vorgehen in handels¬<lb/> politischen Dingen vorschweben sollte. Indeß darf man, wie wir sogleich<lb/> hinzufügen, dabei nicht in den Fehler verfallen, eine abstrakte Wahrheit überall<lb/> konkret anzuwenden. Allenthalben verlangen die thatsächlichen Verhältnisse<lb/> Berücksichtigung, nirgends aber so sehr wie in der Zollpolitik. Bei Abschluß<lb/> von Handelsverträgen handelt es sich nicht um die allgemeine Tendenz durch¬<lb/> gängiger Erhöhung oder Herabsetzung der Tarife, sondern um die Ermittelung<lb/> derjenigen Zollhöhe für die einzelnen Produkte, bei welcher die Fähigkeit des<lb/> Inlandes, mit dem betreffenden fremden Lande zu konkurriren, steigt oder ab¬<lb/> nimmt, und um dies ermitteln zu können, bedarf man einer genauen Kenntniß<lb/> der dabei in Frage kommenden Zweige der gewerblichen Thätigkeit und ihrer<lb/> Erzeugnisse, wie sie nur die Vertreter dieser speziellen Gebiete der Industrie<lb/> und des sich und deren Vertrieb befassenden Theils des Handelsstandes be¬<lb/> sitzen. Diese Gedanken vertritt das zu Anfang angeführte Schreiben des<lb/> Reichskanzlers. Der echte und rechte Freihändler mit manchesternen Grund-<lb/> sätzen will aber von ihnen möglichst wenig wissen; denn seine Meister haben<lb/> ihm gesagt: der Staat, der jene Fabrikanten und Kaufleute zu befragen hätte,<lb/> hat in wirthschaftliche Dinge nicht einzugreifen; je weniger Zollschranken, je<lb/> ungehinderter die internationale Konkurrenz, desto besser.</p><lb/> <p xml:id="ID_12" next="#ID_13"> Fragt man sich, weshalb die Lehren der Manchesterschule in Deutschland<lb/> so viel Anklang gefunden haben, so erklärt sich das großentheils aus dem<lb/> natürlichen Gange unserer Entwickelung. Es ist ein Grundzug des deutschen<lb/> Charakters, alle Erscheinungen aus dem Ganzen zu beurtheilen und darnach zu<lb/> systematisiren. Das frische Ergreifen des Augenblicks, der äußeren Umstände<lb/> und deren sofortige, um die inneren Gesetze unbekümmerte praktische Verwer¬<lb/> thung widerstrebt uns ebensosehr, wie sie den Engländer charakterisirt. Die<lb/> weniger auf eine Theorie gebauten, nur ungenau auf die Grundlage des<lb/> Merkantilsystems gestellten Maßnahmen Colbert's, der allenthalben die nächsten<lb/> thatsächlichen Verhältnisse in's Auge faßte, darin aber zu weit ging, konnten<lb/> der deutschen Art nicht so zusagen, wie die systematisch auf das Naturrecht<lb/> begründeten Lehren der Physiokraten. Als nun Adam Smith auftrat, das<lb/> Merkantilsystem wissenschaftlich vernichtete und die mit dem Leben im Wider¬<lb/> spruch stehenden Ungeheuerlichkeiten der Physiokraten der Lächerlichkeit preisgab,<lb/> während er doch über deren Grundprinzip nicht hinaus kam, jubelte man ihm<lb/> fast überall zu. Ju Deutschland dauerte es lange, ehe man von seinem 1776<lb/> erschienenen Hauptwerke „^fällt nMons" Kenntniß nahm. Die Staats-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
Indem wir im Folgenden das Wesen und die Ziele des Manchesterthums
betrachten, beginnen wir mit einem Zugeständniß in Betreff der Stellung der¬
selben zur Zollpolitik. Die Idee des universellen und bedingungslosen Frei¬
handels ist eine solche, die im Allgemeinen bei jedem Vorgehen in handels¬
politischen Dingen vorschweben sollte. Indeß darf man, wie wir sogleich
hinzufügen, dabei nicht in den Fehler verfallen, eine abstrakte Wahrheit überall
konkret anzuwenden. Allenthalben verlangen die thatsächlichen Verhältnisse
Berücksichtigung, nirgends aber so sehr wie in der Zollpolitik. Bei Abschluß
von Handelsverträgen handelt es sich nicht um die allgemeine Tendenz durch¬
gängiger Erhöhung oder Herabsetzung der Tarife, sondern um die Ermittelung
derjenigen Zollhöhe für die einzelnen Produkte, bei welcher die Fähigkeit des
Inlandes, mit dem betreffenden fremden Lande zu konkurriren, steigt oder ab¬
nimmt, und um dies ermitteln zu können, bedarf man einer genauen Kenntniß
der dabei in Frage kommenden Zweige der gewerblichen Thätigkeit und ihrer
Erzeugnisse, wie sie nur die Vertreter dieser speziellen Gebiete der Industrie
und des sich und deren Vertrieb befassenden Theils des Handelsstandes be¬
sitzen. Diese Gedanken vertritt das zu Anfang angeführte Schreiben des
Reichskanzlers. Der echte und rechte Freihändler mit manchesternen Grund-
sätzen will aber von ihnen möglichst wenig wissen; denn seine Meister haben
ihm gesagt: der Staat, der jene Fabrikanten und Kaufleute zu befragen hätte,
hat in wirthschaftliche Dinge nicht einzugreifen; je weniger Zollschranken, je
ungehinderter die internationale Konkurrenz, desto besser.
Fragt man sich, weshalb die Lehren der Manchesterschule in Deutschland
so viel Anklang gefunden haben, so erklärt sich das großentheils aus dem
natürlichen Gange unserer Entwickelung. Es ist ein Grundzug des deutschen
Charakters, alle Erscheinungen aus dem Ganzen zu beurtheilen und darnach zu
systematisiren. Das frische Ergreifen des Augenblicks, der äußeren Umstände
und deren sofortige, um die inneren Gesetze unbekümmerte praktische Verwer¬
thung widerstrebt uns ebensosehr, wie sie den Engländer charakterisirt. Die
weniger auf eine Theorie gebauten, nur ungenau auf die Grundlage des
Merkantilsystems gestellten Maßnahmen Colbert's, der allenthalben die nächsten
thatsächlichen Verhältnisse in's Auge faßte, darin aber zu weit ging, konnten
der deutschen Art nicht so zusagen, wie die systematisch auf das Naturrecht
begründeten Lehren der Physiokraten. Als nun Adam Smith auftrat, das
Merkantilsystem wissenschaftlich vernichtete und die mit dem Leben im Wider¬
spruch stehenden Ungeheuerlichkeiten der Physiokraten der Lächerlichkeit preisgab,
während er doch über deren Grundprinzip nicht hinaus kam, jubelte man ihm
fast überall zu. Ju Deutschland dauerte es lange, ehe man von seinem 1776
erschienenen Hauptwerke „^fällt nMons" Kenntniß nahm. Die Staats-
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