Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.Begabung, in realen Formen zu denken, unbeeinträchtigt und unverblendet zur Was ist der Geist und das Endziel unserer modernen Rechtsentwickelung? Begabung, in realen Formen zu denken, unbeeinträchtigt und unverblendet zur Was ist der Geist und das Endziel unserer modernen Rechtsentwickelung? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141422"/> <p xml:id="ID_9" prev="#ID_8"> Begabung, in realen Formen zu denken, unbeeinträchtigt und unverblendet zur<lb/> Auffindung des Hauptgrundes unseres wirthschaftlichen Nothstandes und auf<lb/> den Weg zur Beseitigung desselben. Niemand wahrscheinlich hat - so deutlich<lb/> wie er empfunden, welcher Alp in dieser Beziehung auf uns lastet, und welcher<lb/> Vampyr an uns- saugt. Niemand sah im Großen und Ganzen so klar, wie<lb/> nothwendig es ist, und wie befähigt wir sind, mit dem Bisherigen zu brechen<lb/> und, der neuerlangten staatlichen Bedeutung des deutschen Volkes entsprechend,<lb/> auch dessen wirtschaftliche Befreiung vom Auslande und dessen Wiedergeburt<lb/> zur Größe und Macht auf industriellem Gebiete anzubahnen. Er allein end¬<lb/> lich hatte den Muth, dieser Erkenntniß die That solgen zu lassen und, den<lb/> herrschenden Theorien den Krieg erklärend wie einst dem veralteten Bundesrechte<lb/> und später dem Einfluß Frankreich's und der Anmaßung Rom's, das rechte<lb/> Mittel in die Hand zu nehmen, mit welchem der aus Einseitigkeit und Ueber¬<lb/> treibung eines an sich richtigen Lehrsatzes entstandene Aberglaube von der<lb/> allein seligmachenden Kraft direkter Steuern und mehr oder minder absoluten<lb/> Freihandels in seinen unheilvollen Folgen aus unserm nationalen Leben zu<lb/> entfernen sein wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_10"> Was ist der Geist und das Endziel unserer modernen Rechtsentwickelung?<lb/> Die Antwort lautet: Beschränkung des Privatrechts und Ausdehnung des<lb/> öffentlichen Rechts im Bewußtsein der Freiheit, oder mit andern Worten: Ein-<lb/> dämmung des Egoismus und Ausbildung des Gemeinsinnes in den Formen<lb/> der Selbstverwaltung und des Patriotismus. Damit sollte die Manchester¬<lb/> theorie, das wirthschaftliche Gehenlassen des Einzelnen, verurtheilt und das<lb/> Prinzip des Freihandels unter staatlicher Organisation anerkannt sein — des<lb/> Freihandels ans staatlich nationaler, nicht, wie das Manchesterthum<lb/> will, ans internationaler, individuell kosmopolitischer Grundlage.<lb/> Dmi ist indeß in unserer Handelspolitik in den letzten beiden Jahrzehnten<lb/> nicht so gewesen. Hier und in unserer Volksvertretung hatte vielmehr das<lb/> Manchesterthum Oberwasser. Allerdings verwahrte man sich, je mehr die That¬<lb/> sachen dieser Theorie widersprachen, desto lauter dagegen, ein Anhänger der¬<lb/> selben zu sein. Anfangs unbedingt für alle ihre Konsequenzen eintretend, be¬<lb/> gann man zu schwanken und mit Sophismen zu laviren. Aber nur sehr<lb/> allmählich und ungern gestand man ein, daß man einem verderblichen Irrthum<lb/> gehuldigt, und bei sehr hartgesottenen Doktrinären kam es im Ernst nicht einmal<lb/> dazu. Indeß werden Viele umkehren müssen, wenn sie nicht fortfahren wollen,<lb/> sich vor denjenigen von ihren Wählern, denen in der Praxis über die Falsch¬<lb/> heit der Theorie ein Licht aufgegangen ist, zu diskreditiren. Eine gute Anzahl<lb/> ist bereits auf dem besten Wege dazu. Der voraussichtliche Erfolg der Bis-<lb/> mnrck'schen Reformpläne wird dies bestätigen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
Begabung, in realen Formen zu denken, unbeeinträchtigt und unverblendet zur
Auffindung des Hauptgrundes unseres wirthschaftlichen Nothstandes und auf
den Weg zur Beseitigung desselben. Niemand wahrscheinlich hat - so deutlich
wie er empfunden, welcher Alp in dieser Beziehung auf uns lastet, und welcher
Vampyr an uns- saugt. Niemand sah im Großen und Ganzen so klar, wie
nothwendig es ist, und wie befähigt wir sind, mit dem Bisherigen zu brechen
und, der neuerlangten staatlichen Bedeutung des deutschen Volkes entsprechend,
auch dessen wirtschaftliche Befreiung vom Auslande und dessen Wiedergeburt
zur Größe und Macht auf industriellem Gebiete anzubahnen. Er allein end¬
lich hatte den Muth, dieser Erkenntniß die That solgen zu lassen und, den
herrschenden Theorien den Krieg erklärend wie einst dem veralteten Bundesrechte
und später dem Einfluß Frankreich's und der Anmaßung Rom's, das rechte
Mittel in die Hand zu nehmen, mit welchem der aus Einseitigkeit und Ueber¬
treibung eines an sich richtigen Lehrsatzes entstandene Aberglaube von der
allein seligmachenden Kraft direkter Steuern und mehr oder minder absoluten
Freihandels in seinen unheilvollen Folgen aus unserm nationalen Leben zu
entfernen sein wird.
Was ist der Geist und das Endziel unserer modernen Rechtsentwickelung?
Die Antwort lautet: Beschränkung des Privatrechts und Ausdehnung des
öffentlichen Rechts im Bewußtsein der Freiheit, oder mit andern Worten: Ein-
dämmung des Egoismus und Ausbildung des Gemeinsinnes in den Formen
der Selbstverwaltung und des Patriotismus. Damit sollte die Manchester¬
theorie, das wirthschaftliche Gehenlassen des Einzelnen, verurtheilt und das
Prinzip des Freihandels unter staatlicher Organisation anerkannt sein — des
Freihandels ans staatlich nationaler, nicht, wie das Manchesterthum
will, ans internationaler, individuell kosmopolitischer Grundlage.
Dmi ist indeß in unserer Handelspolitik in den letzten beiden Jahrzehnten
nicht so gewesen. Hier und in unserer Volksvertretung hatte vielmehr das
Manchesterthum Oberwasser. Allerdings verwahrte man sich, je mehr die That¬
sachen dieser Theorie widersprachen, desto lauter dagegen, ein Anhänger der¬
selben zu sein. Anfangs unbedingt für alle ihre Konsequenzen eintretend, be¬
gann man zu schwanken und mit Sophismen zu laviren. Aber nur sehr
allmählich und ungern gestand man ein, daß man einem verderblichen Irrthum
gehuldigt, und bei sehr hartgesottenen Doktrinären kam es im Ernst nicht einmal
dazu. Indeß werden Viele umkehren müssen, wenn sie nicht fortfahren wollen,
sich vor denjenigen von ihren Wählern, denen in der Praxis über die Falsch¬
heit der Theorie ein Licht aufgegangen ist, zu diskreditiren. Eine gute Anzahl
ist bereits auf dem besten Wege dazu. Der voraussichtliche Erfolg der Bis-
mnrck'schen Reformpläne wird dies bestätigen.
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