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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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daß das bei uns vorhandene Lumpenmaterial zur Befriedigung der Nachfrage
unserer Papiermüller nicht genügt hat, sodaß sie genöthigt waren, eine sehr
erhebliche Menge von Lumpen (in den letzten beiden Jahren zusammen weit
über eine Million Zentner) von auswärts zu beziehen.

Ebensoviel werth war es, wenn die Freihändler ihr Verlangen nach Auf¬
hebung des in Frage stehenden Ausfuhrzolles darauf gründeten, daß derselbe
auf die Ansammlung von Lumpen ungünstig wirke. Wenn sie dabei auf
Oesterreich hinwiesen, das in dieser Hinsicht hinter anderen Ländern, besonders
hinter England, zurückstand, so war die Ursache nicht in dem Zolle, sondern
in dem Umstände zu suchen, daß Slaven und Magyaren weniger Wäsche und
andere Webstoffe verbrauchen als die Deutschen und die Engländer, und daß
der Papierfabrikation der letzteren aus dem Verbrauch ihrer Rhedereien und
Fischereien ein sehr erhebliches Material an alten Netzen, Segeln und Tauen
zufließt.

Ganz und gar hinfällig war es endlich, wenn die Befürworter der Auf¬
hebung des Lumpenzolles meinten, die Erfahrung lehre, daß die bestmögliche
Verwerthung verbrauchter Webstoffe außerordentlich günstig auf die sittliche
Hebung der unteren Volksklassen einwirke, indem sie dadurch zur Sparsamkeit
angehalten würden. Kein Mensch ist von der hier prophezeiten Folge jener
Maßregel irgend etwas gewahr geworden.

Als die Papierfabrikanten damals baten, man möge mit der Beseitigung
des Lumpenzolles wenigstens so lange warten, bis Oesterreich und Rußland
ihre Gesetzgebung in gleicher Weise änderten, antwortete man ihnen von den
Bänken der Manchesterpartei patzig: "Diese Ritter des Gegenseitigkeitsprinzips
verlangen, daß wir hier stillsitzen und in dieser Frage nicht debattiren, bis
Rußland und Oesterreich die Lumpenausfuhrzölle aufgehoben haben, und Amerika
sich entschlossen hat, den Eingangszoll auf Papier zu ermäßigen. Eine solche
Zumuthung verdiente, wenn es nicht des Hauses unwürdig wäre, derartig zu
beschließen, eine scharfe Zurechtweisung." Nun, glücklicherweise hat sich die
Reichsregierung wiederholt zu dem hier so barsch verurtheilten Prinzipe bekannt,
es bildet einen der Grundzüge des Schreibens unseres Kanzlers vom 15.
Dezember, und man darf annehmen, daß die Mehrheit des deutschen Volkes,
soweit es über unsere Erfahrungen in den letzten Jahren nachdenkt, die Ueber¬
zeugung gewonnen hat, daß wir in Zollfragen ohne das Prinzip der Gegen¬
seitigkeit unbedingt zu kurz kommen müssen.

Die Wissenschaft hat sich bemüht, der Papierfabrikation Surrogate für
die Hadern zu verschaffen, und sie hat dabei Erfolg gehabt, aber keinen voll¬
ständigen Ersatz liefern können. Namentlich ist es ihr bisher nicht gelungen,
die leinenen Lumpen, ohne welche sich die besseren Papiersorten nicht herstellen


daß das bei uns vorhandene Lumpenmaterial zur Befriedigung der Nachfrage
unserer Papiermüller nicht genügt hat, sodaß sie genöthigt waren, eine sehr
erhebliche Menge von Lumpen (in den letzten beiden Jahren zusammen weit
über eine Million Zentner) von auswärts zu beziehen.

Ebensoviel werth war es, wenn die Freihändler ihr Verlangen nach Auf¬
hebung des in Frage stehenden Ausfuhrzolles darauf gründeten, daß derselbe
auf die Ansammlung von Lumpen ungünstig wirke. Wenn sie dabei auf
Oesterreich hinwiesen, das in dieser Hinsicht hinter anderen Ländern, besonders
hinter England, zurückstand, so war die Ursache nicht in dem Zolle, sondern
in dem Umstände zu suchen, daß Slaven und Magyaren weniger Wäsche und
andere Webstoffe verbrauchen als die Deutschen und die Engländer, und daß
der Papierfabrikation der letzteren aus dem Verbrauch ihrer Rhedereien und
Fischereien ein sehr erhebliches Material an alten Netzen, Segeln und Tauen
zufließt.

Ganz und gar hinfällig war es endlich, wenn die Befürworter der Auf¬
hebung des Lumpenzolles meinten, die Erfahrung lehre, daß die bestmögliche
Verwerthung verbrauchter Webstoffe außerordentlich günstig auf die sittliche
Hebung der unteren Volksklassen einwirke, indem sie dadurch zur Sparsamkeit
angehalten würden. Kein Mensch ist von der hier prophezeiten Folge jener
Maßregel irgend etwas gewahr geworden.

Als die Papierfabrikanten damals baten, man möge mit der Beseitigung
des Lumpenzolles wenigstens so lange warten, bis Oesterreich und Rußland
ihre Gesetzgebung in gleicher Weise änderten, antwortete man ihnen von den
Bänken der Manchesterpartei patzig: „Diese Ritter des Gegenseitigkeitsprinzips
verlangen, daß wir hier stillsitzen und in dieser Frage nicht debattiren, bis
Rußland und Oesterreich die Lumpenausfuhrzölle aufgehoben haben, und Amerika
sich entschlossen hat, den Eingangszoll auf Papier zu ermäßigen. Eine solche
Zumuthung verdiente, wenn es nicht des Hauses unwürdig wäre, derartig zu
beschließen, eine scharfe Zurechtweisung." Nun, glücklicherweise hat sich die
Reichsregierung wiederholt zu dem hier so barsch verurtheilten Prinzipe bekannt,
es bildet einen der Grundzüge des Schreibens unseres Kanzlers vom 15.
Dezember, und man darf annehmen, daß die Mehrheit des deutschen Volkes,
soweit es über unsere Erfahrungen in den letzten Jahren nachdenkt, die Ueber¬
zeugung gewonnen hat, daß wir in Zollfragen ohne das Prinzip der Gegen¬
seitigkeit unbedingt zu kurz kommen müssen.

Die Wissenschaft hat sich bemüht, der Papierfabrikation Surrogate für
die Hadern zu verschaffen, und sie hat dabei Erfolg gehabt, aber keinen voll¬
ständigen Ersatz liefern können. Namentlich ist es ihr bisher nicht gelungen,
die leinenen Lumpen, ohne welche sich die besseren Papiersorten nicht herstellen


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[0116] daß das bei uns vorhandene Lumpenmaterial zur Befriedigung der Nachfrage unserer Papiermüller nicht genügt hat, sodaß sie genöthigt waren, eine sehr erhebliche Menge von Lumpen (in den letzten beiden Jahren zusammen weit über eine Million Zentner) von auswärts zu beziehen. Ebensoviel werth war es, wenn die Freihändler ihr Verlangen nach Auf¬ hebung des in Frage stehenden Ausfuhrzolles darauf gründeten, daß derselbe auf die Ansammlung von Lumpen ungünstig wirke. Wenn sie dabei auf Oesterreich hinwiesen, das in dieser Hinsicht hinter anderen Ländern, besonders hinter England, zurückstand, so war die Ursache nicht in dem Zolle, sondern in dem Umstände zu suchen, daß Slaven und Magyaren weniger Wäsche und andere Webstoffe verbrauchen als die Deutschen und die Engländer, und daß der Papierfabrikation der letzteren aus dem Verbrauch ihrer Rhedereien und Fischereien ein sehr erhebliches Material an alten Netzen, Segeln und Tauen zufließt. Ganz und gar hinfällig war es endlich, wenn die Befürworter der Auf¬ hebung des Lumpenzolles meinten, die Erfahrung lehre, daß die bestmögliche Verwerthung verbrauchter Webstoffe außerordentlich günstig auf die sittliche Hebung der unteren Volksklassen einwirke, indem sie dadurch zur Sparsamkeit angehalten würden. Kein Mensch ist von der hier prophezeiten Folge jener Maßregel irgend etwas gewahr geworden. Als die Papierfabrikanten damals baten, man möge mit der Beseitigung des Lumpenzolles wenigstens so lange warten, bis Oesterreich und Rußland ihre Gesetzgebung in gleicher Weise änderten, antwortete man ihnen von den Bänken der Manchesterpartei patzig: „Diese Ritter des Gegenseitigkeitsprinzips verlangen, daß wir hier stillsitzen und in dieser Frage nicht debattiren, bis Rußland und Oesterreich die Lumpenausfuhrzölle aufgehoben haben, und Amerika sich entschlossen hat, den Eingangszoll auf Papier zu ermäßigen. Eine solche Zumuthung verdiente, wenn es nicht des Hauses unwürdig wäre, derartig zu beschließen, eine scharfe Zurechtweisung." Nun, glücklicherweise hat sich die Reichsregierung wiederholt zu dem hier so barsch verurtheilten Prinzipe bekannt, es bildet einen der Grundzüge des Schreibens unseres Kanzlers vom 15. Dezember, und man darf annehmen, daß die Mehrheit des deutschen Volkes, soweit es über unsere Erfahrungen in den letzten Jahren nachdenkt, die Ueber¬ zeugung gewonnen hat, daß wir in Zollfragen ohne das Prinzip der Gegen¬ seitigkeit unbedingt zu kurz kommen müssen. Die Wissenschaft hat sich bemüht, der Papierfabrikation Surrogate für die Hadern zu verschaffen, und sie hat dabei Erfolg gehabt, aber keinen voll¬ ständigen Ersatz liefern können. Namentlich ist es ihr bisher nicht gelungen, die leinenen Lumpen, ohne welche sich die besseren Papiersorten nicht herstellen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/116>, abgerufen am 23.07.2024.