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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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der damaligen Autoritäten unter den Naturforschern und Aerzten von Amts
wegen sich auf seine Seite gestellt hätte.

Während sich alle diese Dinge gewissermaßen im Verborgenen abspielten,
war auch in Deutschland ein Nebenbuhler für Mayer erstanden, der zwar nicht
die Aequivalentzahl aufgefunden hatte, aber doch über die Kraft ähnliche Ge¬
danken wie Mayer gehabt zu haben meinte. Im Jahre 1847 nämlich hatte
Helmholtz unter dem Titel "Erhaltung der Kraft" eine kleine Schrift ver¬
öffentlicht, die vielerlei bereits bekannte Dinge in einer neuen, wenn anch die
Wissenschaft nicht fördernden Form vorführte. Die Joule'schen Arbeiten waren
erwähnt, Mayer nicht. Der Schwabe war in den hohen Berliner wissenschaft¬
lichen Zirkeln, in denen Helmholtz von Potsdam ans damals zu verkehren
pflegte, noch nicht bekannt, wohl aber der Engländer. Auf diese Schrift hin,
glaubte nun Helmholtz, müsse der Entdecker die Ehre der Entdeckung mit ihm
theilen. In einem Königsberger Vortrage von 1854 sagt er, nachdem er
Mayer, Colding und Joule auf eine Stufe gestellt hat: "Ich selbst hatte,
ohne von Mayer und Colding etwas zu wissen und mit Joule's Versuchen
erst am Ende meiner Arbeit bekannt geworden, denselben Weg betreten." (Helm¬
holtz, Populäre wissenschaftliche Vorträge, S. 113.) Der Vortrag entwickelt dann
im weiteren Verlaufe alle Konsequenzen, welche Mayer gezogen hatte, Mayer's
Name aber findet nur ganz beiläufig bei einem Nebenpunkte Erwähnung. Das
Weitere besorgten dann Andere und priesen Helmholtz als einen, der an der
Entdeckung Antheil habe. Ja auf der Naturforscherversammlung zu Innsbruck
wußte man darüber der Höflichkeit Mayer's selbst ein Zeugniß abzulocken.
Und sogar 1877, nachdem die Verhältnisse allmählich aufgeklärt worden waren, er¬
hob Helmholtz ("Das Denken in der Medizin"), wenn auch schüchtern, noch einmal
denselben Anspruch, so daß Mayer sich genöthigt sah, ihn nun zurückzuweisen, frei¬
lich in jener zarten Art, die von Manchem nicht verstanden, wohl gar für das
Gegentheil gehalten oder zu bestimmten Zwecken absichtlich dazu umgedeutet wurde.

Die Taktik des völligen und, als dies nicht mehr anging, des halben Jgno-
rirens, wie sie von Helmholtz in dem erwähnten Vortrage geübt worden war,
blieb auch später noch lange Zeit bei den Männern vom Fach an der Tages¬
ordnung. Man wußte so wenig von Mayer, daß die Augsburger Allgemeine
Zeitung ihn ruhig im Irrenhause sterben lassen konnte und einige Jahre später,
als er derselben Zeitung zum Trotz noch lebte, ihn auch ganz kaltblütig ohne
ein Wort der Trauer wieder lebendig sein ließ; so wenig, daß Poggendorff,
Professor der Physik in Berlin und Herausgeber der "Annalen der Physik",
der schon an der ersten Arbeit Mayer's einen so rühmlichen Antheil gehabt
hatte, in seinem Biographisch-literarischen Handwörterbuche zur Geschichte der
exakten Wissenschaften, gestützt auf die Unfehlbarkeit der "Allgemeinen", die


der damaligen Autoritäten unter den Naturforschern und Aerzten von Amts
wegen sich auf seine Seite gestellt hätte.

Während sich alle diese Dinge gewissermaßen im Verborgenen abspielten,
war auch in Deutschland ein Nebenbuhler für Mayer erstanden, der zwar nicht
die Aequivalentzahl aufgefunden hatte, aber doch über die Kraft ähnliche Ge¬
danken wie Mayer gehabt zu haben meinte. Im Jahre 1847 nämlich hatte
Helmholtz unter dem Titel „Erhaltung der Kraft" eine kleine Schrift ver¬
öffentlicht, die vielerlei bereits bekannte Dinge in einer neuen, wenn anch die
Wissenschaft nicht fördernden Form vorführte. Die Joule'schen Arbeiten waren
erwähnt, Mayer nicht. Der Schwabe war in den hohen Berliner wissenschaft¬
lichen Zirkeln, in denen Helmholtz von Potsdam ans damals zu verkehren
pflegte, noch nicht bekannt, wohl aber der Engländer. Auf diese Schrift hin,
glaubte nun Helmholtz, müsse der Entdecker die Ehre der Entdeckung mit ihm
theilen. In einem Königsberger Vortrage von 1854 sagt er, nachdem er
Mayer, Colding und Joule auf eine Stufe gestellt hat: „Ich selbst hatte,
ohne von Mayer und Colding etwas zu wissen und mit Joule's Versuchen
erst am Ende meiner Arbeit bekannt geworden, denselben Weg betreten." (Helm¬
holtz, Populäre wissenschaftliche Vorträge, S. 113.) Der Vortrag entwickelt dann
im weiteren Verlaufe alle Konsequenzen, welche Mayer gezogen hatte, Mayer's
Name aber findet nur ganz beiläufig bei einem Nebenpunkte Erwähnung. Das
Weitere besorgten dann Andere und priesen Helmholtz als einen, der an der
Entdeckung Antheil habe. Ja auf der Naturforscherversammlung zu Innsbruck
wußte man darüber der Höflichkeit Mayer's selbst ein Zeugniß abzulocken.
Und sogar 1877, nachdem die Verhältnisse allmählich aufgeklärt worden waren, er¬
hob Helmholtz („Das Denken in der Medizin"), wenn auch schüchtern, noch einmal
denselben Anspruch, so daß Mayer sich genöthigt sah, ihn nun zurückzuweisen, frei¬
lich in jener zarten Art, die von Manchem nicht verstanden, wohl gar für das
Gegentheil gehalten oder zu bestimmten Zwecken absichtlich dazu umgedeutet wurde.

Die Taktik des völligen und, als dies nicht mehr anging, des halben Jgno-
rirens, wie sie von Helmholtz in dem erwähnten Vortrage geübt worden war,
blieb auch später noch lange Zeit bei den Männern vom Fach an der Tages¬
ordnung. Man wußte so wenig von Mayer, daß die Augsburger Allgemeine
Zeitung ihn ruhig im Irrenhause sterben lassen konnte und einige Jahre später,
als er derselben Zeitung zum Trotz noch lebte, ihn auch ganz kaltblütig ohne
ein Wort der Trauer wieder lebendig sein ließ; so wenig, daß Poggendorff,
Professor der Physik in Berlin und Herausgeber der „Annalen der Physik",
der schon an der ersten Arbeit Mayer's einen so rühmlichen Antheil gehabt
hatte, in seinem Biographisch-literarischen Handwörterbuche zur Geschichte der
exakten Wissenschaften, gestützt auf die Unfehlbarkeit der „Allgemeinen", die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/112>, abgerufen am 03.07.2024.