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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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kurze, aber inhaltschwere Mittheilung machen konnte: "Soll vor 1858 im
Irrenhause gestorben sein. Augsburger Allgemeine Zeitung", um sie am
Schlüsse des Bandes ebenso kurz und geistvoll zu berichtigen: "Ist nicht 1858
im Irrenhause gestorben, sondern (1862) noch am Leben"; daß endlich selbst
in Konversationslexizis Mayer's Wahnsinn und Tod eine ausgemachte Sache
wurde.

Wie beleidigend die. Insulte, selbst öffentlich, gegen Mayer ausfallen durften,
davon hat der bekannte Karl Vogt in der Kölnischen Zeitung vom 22. Sep¬
tember 1869 eine beschämende Probe gegeben. Er macht es dort den Ge¬
schäftsführern auf der Innsbrucker Naturforscherversammlung zum Vorwurf,
daß sie Mayer zu einem Vortrage eingeladen hätten; was er vorgebracht, sei
derartig gewesen, daß man sich staunend angesehen habe. Das Unglück freilich,
das Mayer begegnet sei, mache das erklärlich: sein Geist sei eben umnachtet.
Liest man den Vortrag, so wird man allerdings von gewaltigem Staunen er¬
griffen, aber nicht über Mayer's Unlogik, sondern über den Mangel an Logik
bei den staunenden. Niemand trat gegen diese Abscheulichkeit auf; ganz natür¬
lich, denn Vogt sagte nur nach, was man auf der Versammlung kolportirt hatte;
er selbst verstand ja von der Sache gar nichts. Der Artikel der Kölnischen
Zeitung aber bildete nun das Beweisstück für den Wahnsinn, und sprach man
in gelehrten Kreisen damals von Mayer, so sprach man nur von dem "wahn¬
sinnigen Mayer" -- selbstverständlich nicht ohne Beileidsbezeigungen.

Mit der Andichtung des Wahnsinns aber ging die wissenschaftliche Ver¬
kleinerung und Verleumdung Hand in Hand. Sie ging aus vou Engländern
und fand dann in Deutschland geflissentliche und ungehinderte Verbreitung.
Stewart, W. Thomson und Tait waren in diesem Handwerk die Leistungs¬
fähigsten. Obenan steht Tait. Noch vor etwa zwei Jahren hat er ein Pamphlet
(Tait, Vorlesungen) gegen Mayer geschleudert, das niederträchtig sein würde,
wenn es nicht lächerlich wäre, und es fand sich auch ein Landsmann Mayer's, der
dem deutschen Publikum diese englische Delikatesse serviren zu müssen glaubte.
Als Mayer gestorben war, und sein Name in den Zeitungen genannt wurde,
hallte das Echo der Verkleinerung selbst in der "Jllustrirten Zeitung" und in
"Ueber Land und Meer" wieder, und Freund Rümelin, in dessen Shakespeare¬
studien doch wahrlich von Physik nichts zu finden ist, wollte in der Allgemeinen
Zeitung ganz freundschaftlich das Räthsel lösen, wie Mayer "ohne eigentliche
Fachgelehrsamkeit zu Einblicken in den Zusammenhang der elementaren Natur¬
kräfte gelangt sei".

Die Engländer und ihre Nachbeter wollen absolut nicht erkennen können,
daß Mayer seine Rechnung auf Experimente gestützt habe. Sie reden stets
von einer Hypothese und glücklichen Vorwegnähme Mayer's, die Joule erst


Grenzboten I. 1879. 14

kurze, aber inhaltschwere Mittheilung machen konnte: „Soll vor 1858 im
Irrenhause gestorben sein. Augsburger Allgemeine Zeitung", um sie am
Schlüsse des Bandes ebenso kurz und geistvoll zu berichtigen: „Ist nicht 1858
im Irrenhause gestorben, sondern (1862) noch am Leben"; daß endlich selbst
in Konversationslexizis Mayer's Wahnsinn und Tod eine ausgemachte Sache
wurde.

Wie beleidigend die. Insulte, selbst öffentlich, gegen Mayer ausfallen durften,
davon hat der bekannte Karl Vogt in der Kölnischen Zeitung vom 22. Sep¬
tember 1869 eine beschämende Probe gegeben. Er macht es dort den Ge¬
schäftsführern auf der Innsbrucker Naturforscherversammlung zum Vorwurf,
daß sie Mayer zu einem Vortrage eingeladen hätten; was er vorgebracht, sei
derartig gewesen, daß man sich staunend angesehen habe. Das Unglück freilich,
das Mayer begegnet sei, mache das erklärlich: sein Geist sei eben umnachtet.
Liest man den Vortrag, so wird man allerdings von gewaltigem Staunen er¬
griffen, aber nicht über Mayer's Unlogik, sondern über den Mangel an Logik
bei den staunenden. Niemand trat gegen diese Abscheulichkeit auf; ganz natür¬
lich, denn Vogt sagte nur nach, was man auf der Versammlung kolportirt hatte;
er selbst verstand ja von der Sache gar nichts. Der Artikel der Kölnischen
Zeitung aber bildete nun das Beweisstück für den Wahnsinn, und sprach man
in gelehrten Kreisen damals von Mayer, so sprach man nur von dem „wahn¬
sinnigen Mayer" — selbstverständlich nicht ohne Beileidsbezeigungen.

Mit der Andichtung des Wahnsinns aber ging die wissenschaftliche Ver¬
kleinerung und Verleumdung Hand in Hand. Sie ging aus vou Engländern
und fand dann in Deutschland geflissentliche und ungehinderte Verbreitung.
Stewart, W. Thomson und Tait waren in diesem Handwerk die Leistungs¬
fähigsten. Obenan steht Tait. Noch vor etwa zwei Jahren hat er ein Pamphlet
(Tait, Vorlesungen) gegen Mayer geschleudert, das niederträchtig sein würde,
wenn es nicht lächerlich wäre, und es fand sich auch ein Landsmann Mayer's, der
dem deutschen Publikum diese englische Delikatesse serviren zu müssen glaubte.
Als Mayer gestorben war, und sein Name in den Zeitungen genannt wurde,
hallte das Echo der Verkleinerung selbst in der „Jllustrirten Zeitung" und in
„Ueber Land und Meer" wieder, und Freund Rümelin, in dessen Shakespeare¬
studien doch wahrlich von Physik nichts zu finden ist, wollte in der Allgemeinen
Zeitung ganz freundschaftlich das Räthsel lösen, wie Mayer „ohne eigentliche
Fachgelehrsamkeit zu Einblicken in den Zusammenhang der elementaren Natur¬
kräfte gelangt sei".

Die Engländer und ihre Nachbeter wollen absolut nicht erkennen können,
daß Mayer seine Rechnung auf Experimente gestützt habe. Sie reden stets
von einer Hypothese und glücklichen Vorwegnähme Mayer's, die Joule erst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/113>, abgerufen am 03.07.2024.