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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Prinzips sammt den daraus von ihm für die Physiologie, die Mechanik des
Himmels :c. gezogenen Konsequenzen gegen etwa auf ein jüngeres Datum sich
stützeude Ansprüche englischer und französischer Naturforscher" erscheinen.
Man sollte meinen, die deutschen Physiker hätten sich nnn ihres Landsmannes
angenommen und ihn gegen freche Uebergriffe vertheidigt. Im Gegentheil:
Am 21. Mai erschien in derselben Augsburger Zeitung von einem Tübinger
Privatdozenten der Physik, Namens Seyffer, ein Artikel, der ohne das geringste
Verständniß für die Sache so anmaßend und geringschätzig auf sie herabsah, daß
Mayer in die höchste Aufregung gerieth. Er glaubte sich beschimpft und ent¬
ehrt und schickte eine Entgegnung ein. Sie fand keine Aufnahme. Er that
Schritte bei der Redaktion. Umsonst, er erzielte nichts. Auch in Liebig's
"Annalen" konnte er keine Vertheidigung anbringen, geschweige denn, daß
Liebig selbst damals seine Stimme für ihn erhoben Hütte.

Der Grimm über die Verlassenheit und die erlittene Schmach verzehrte
ihn Tag und Nacht, er fand keine Ruhe mehr. Entweder, meinte er, sei sein
ganzes Denken anormal und sein richtiger Platz im Irrenhause, oder er habe
eine wichtige Wahrheit entdeckt und finde statt Anerkennung nur Hohn und
Schmähung; beides sei gleich niederdrückend. Endlich verfiel er in ein
Nervenleiden. Da geschah es, daß er in der Frühe des 28. Mai 1850 nach
einer schlaflosen Nacht im Fiebertraum unangekleidet vor den Augen seiner
eben erwachten Frau zwei Stockwerke hoch auf die gepflasterte Straße sprang.
Seine Füße wurden schwer verletzt, so daß er zeitlebens das rechte Bein
stützen und nachschleppen mußte.

Erst nach langer und schwerer Krankheit konnte er zu seinen naturwissen¬
schaftlichen Arbeiten und zu seiner Praxis zurückkehren. Noch am Schlüsse
desselben Jahres schrieb er feine Reklamationsschrift: "Bemerkungen über das
mechanische Aequivalent der Wärme", die ein Muster von populärer Dar¬
stellung ist und mannichfache Beweise von der großen und in ihrer Aufrich¬
tigkeit seltenen Bescheidenheit -- die heuchlerische ist ja häufig -- Mayer's
enthält. "Was ich," sagt er, "mit schwachen Kräften und ohne jegliche Unter¬
stützung von außen geleistet, ist freilich wenig; aber -- ultra xosss nsmc"
obli^atur"; und an anderer Stelle: "Wenn auch die von mir veröffentlichten
wenigen Arbeiten, die in der Fluth von Druckschriften, welche jeder Tag bringt,
fast spurlos verschwunden sind, schon in ihrer Form den Beweis enthalten,
daß ich nicht nach Effekt hasche, so soll damit doch keineswegs eine Geneigtheit,
von dokumeutirten Eigenthnmsrechten abzugehen, ausgesprochen sein." Sein
Recht also wahrte er, aber die Gegner freilich schonte er, anstatt sie an den
Pranger zu stellen.

Die Augsburger Zeitung entschuldigt sich jetzt wegen der Zurückweisung


Prinzips sammt den daraus von ihm für die Physiologie, die Mechanik des
Himmels :c. gezogenen Konsequenzen gegen etwa auf ein jüngeres Datum sich
stützeude Ansprüche englischer und französischer Naturforscher" erscheinen.
Man sollte meinen, die deutschen Physiker hätten sich nnn ihres Landsmannes
angenommen und ihn gegen freche Uebergriffe vertheidigt. Im Gegentheil:
Am 21. Mai erschien in derselben Augsburger Zeitung von einem Tübinger
Privatdozenten der Physik, Namens Seyffer, ein Artikel, der ohne das geringste
Verständniß für die Sache so anmaßend und geringschätzig auf sie herabsah, daß
Mayer in die höchste Aufregung gerieth. Er glaubte sich beschimpft und ent¬
ehrt und schickte eine Entgegnung ein. Sie fand keine Aufnahme. Er that
Schritte bei der Redaktion. Umsonst, er erzielte nichts. Auch in Liebig's
„Annalen" konnte er keine Vertheidigung anbringen, geschweige denn, daß
Liebig selbst damals seine Stimme für ihn erhoben Hütte.

Der Grimm über die Verlassenheit und die erlittene Schmach verzehrte
ihn Tag und Nacht, er fand keine Ruhe mehr. Entweder, meinte er, sei sein
ganzes Denken anormal und sein richtiger Platz im Irrenhause, oder er habe
eine wichtige Wahrheit entdeckt und finde statt Anerkennung nur Hohn und
Schmähung; beides sei gleich niederdrückend. Endlich verfiel er in ein
Nervenleiden. Da geschah es, daß er in der Frühe des 28. Mai 1850 nach
einer schlaflosen Nacht im Fiebertraum unangekleidet vor den Augen seiner
eben erwachten Frau zwei Stockwerke hoch auf die gepflasterte Straße sprang.
Seine Füße wurden schwer verletzt, so daß er zeitlebens das rechte Bein
stützen und nachschleppen mußte.

Erst nach langer und schwerer Krankheit konnte er zu seinen naturwissen¬
schaftlichen Arbeiten und zu seiner Praxis zurückkehren. Noch am Schlüsse
desselben Jahres schrieb er feine Reklamationsschrift: „Bemerkungen über das
mechanische Aequivalent der Wärme", die ein Muster von populärer Dar¬
stellung ist und mannichfache Beweise von der großen und in ihrer Aufrich¬
tigkeit seltenen Bescheidenheit — die heuchlerische ist ja häufig — Mayer's
enthält. „Was ich," sagt er, „mit schwachen Kräften und ohne jegliche Unter¬
stützung von außen geleistet, ist freilich wenig; aber — ultra xosss nsmc»
obli^atur"; und an anderer Stelle: „Wenn auch die von mir veröffentlichten
wenigen Arbeiten, die in der Fluth von Druckschriften, welche jeder Tag bringt,
fast spurlos verschwunden sind, schon in ihrer Form den Beweis enthalten,
daß ich nicht nach Effekt hasche, so soll damit doch keineswegs eine Geneigtheit,
von dokumeutirten Eigenthnmsrechten abzugehen, ausgesprochen sein." Sein
Recht also wahrte er, aber die Gegner freilich schonte er, anstatt sie an den
Pranger zu stellen.

Die Augsburger Zeitung entschuldigt sich jetzt wegen der Zurückweisung


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[0109] Prinzips sammt den daraus von ihm für die Physiologie, die Mechanik des Himmels :c. gezogenen Konsequenzen gegen etwa auf ein jüngeres Datum sich stützeude Ansprüche englischer und französischer Naturforscher" erscheinen. Man sollte meinen, die deutschen Physiker hätten sich nnn ihres Landsmannes angenommen und ihn gegen freche Uebergriffe vertheidigt. Im Gegentheil: Am 21. Mai erschien in derselben Augsburger Zeitung von einem Tübinger Privatdozenten der Physik, Namens Seyffer, ein Artikel, der ohne das geringste Verständniß für die Sache so anmaßend und geringschätzig auf sie herabsah, daß Mayer in die höchste Aufregung gerieth. Er glaubte sich beschimpft und ent¬ ehrt und schickte eine Entgegnung ein. Sie fand keine Aufnahme. Er that Schritte bei der Redaktion. Umsonst, er erzielte nichts. Auch in Liebig's „Annalen" konnte er keine Vertheidigung anbringen, geschweige denn, daß Liebig selbst damals seine Stimme für ihn erhoben Hütte. Der Grimm über die Verlassenheit und die erlittene Schmach verzehrte ihn Tag und Nacht, er fand keine Ruhe mehr. Entweder, meinte er, sei sein ganzes Denken anormal und sein richtiger Platz im Irrenhause, oder er habe eine wichtige Wahrheit entdeckt und finde statt Anerkennung nur Hohn und Schmähung; beides sei gleich niederdrückend. Endlich verfiel er in ein Nervenleiden. Da geschah es, daß er in der Frühe des 28. Mai 1850 nach einer schlaflosen Nacht im Fiebertraum unangekleidet vor den Augen seiner eben erwachten Frau zwei Stockwerke hoch auf die gepflasterte Straße sprang. Seine Füße wurden schwer verletzt, so daß er zeitlebens das rechte Bein stützen und nachschleppen mußte. Erst nach langer und schwerer Krankheit konnte er zu seinen naturwissen¬ schaftlichen Arbeiten und zu seiner Praxis zurückkehren. Noch am Schlüsse desselben Jahres schrieb er feine Reklamationsschrift: „Bemerkungen über das mechanische Aequivalent der Wärme", die ein Muster von populärer Dar¬ stellung ist und mannichfache Beweise von der großen und in ihrer Aufrich¬ tigkeit seltenen Bescheidenheit — die heuchlerische ist ja häufig — Mayer's enthält. „Was ich," sagt er, „mit schwachen Kräften und ohne jegliche Unter¬ stützung von außen geleistet, ist freilich wenig; aber — ultra xosss nsmc» obli^atur"; und an anderer Stelle: „Wenn auch die von mir veröffentlichten wenigen Arbeiten, die in der Fluth von Druckschriften, welche jeder Tag bringt, fast spurlos verschwunden sind, schon in ihrer Form den Beweis enthalten, daß ich nicht nach Effekt hasche, so soll damit doch keineswegs eine Geneigtheit, von dokumeutirten Eigenthnmsrechten abzugehen, ausgesprochen sein." Sein Recht also wahrte er, aber die Gegner freilich schonte er, anstatt sie an den Pranger zu stellen. Die Augsburger Zeitung entschuldigt sich jetzt wegen der Zurückweisung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/109>, abgerufen am 03.07.2024.