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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Studiums, die sich des allgemeinen Beifalls der Mediziner schwerlich wird zu
erfreuen haben. Heute zwickt man lieber Katzen, Hunde und Kaninchen.

Etwas weiteres Bemerkenswerthes läßt sich aus Mayer's Universitätszeit
kaum berichten, wenn man nicht das dafür nehmen will, daß er nicht blos am
Krankenbett Beobachtungen und Berechnungen anstellte, sondern täglich minde¬
stens einige Stunden beim Spiel zubrachte und daß er mit solcher Leidenschaft
dabei war, daß er oft noch nach Wochen den Stand einer Schachpartie wieder¬
herstellen konnte. Den Morgen widmete er den Studien, den Abend der Ge¬
selligkeit und selten kehrte er aus dem Kreise der Freunde eher heim, als bis
die Polizeistunde schlug. Wie er alles, was er that, mit großem Feuereifer
betrieb, so war er auch bei den Trivialitäten des studentischen Lebens, wenn
sie einmal Reiz für ihn hatten, mit Leib und Seele. So begeisterte er sich
noch in späten Semestern für die Gründung einer Verbindung, des Korps
"Guestphalia", lernte Fechten und Reiten. Aber alle solche Aeußerlichkeiten
der Repräsentation standen ihm nicht, er zeigte sich stets in seinem eigenen,
originellen Wesen, so daß selbst über den Kreis seiner Bekannten hinaus manche
Anekdote von ihm im Umlauf war. Als er bereits im Begriff stand, Tübingen
zu verlassen, wurde er auf ein Jahr von der Universität verwiesen und zwar
wegen Verbindungslappcilieu, die dem hohen Bundestage zu jener Zeit gerade
ein Dorn im Ange waren, und -- was noch erstaunlicher ist -- weil er einem
Balle einige Minuten lang ohne Frack zugesehen hatte. Seine Untersuchungs¬
haft mußte man ihm in Hausarrest umwandeln. Er erzwang es durch eine
Hungerkur. Den ehrwürdigen Perrücken des Universitätsgerichts mag das
allerdings mehr als originell erschienen sein.

Mayer besuchte nun die großen Kliniken von München und Wien und
machte dann im nächsten Jahre, 1838, die Examina für die medizinische Praxis
Seine Arbeiten verriethen "gründliche Kenntnisse und selbständiges Urtheil".
Es war seine Absicht, als Militärarzt in holländische Dienste zu gehen, um das
Ausland keimen zu lernen, worin ihn der Vater lebhaft bestärkte. Da er aber
hörte, daß ein besonderes Examen und die Kenntniß der holländischen Sprache
dazu nöthig seien, so ließ er sich vorläufig als praktischer Arzt in seiner Vater"
stadt nieder und studirte, da es mit der Praxis nicht sofort nach Wunsch gehen
wollte, eifrig Holländisch. Im Herbst 1839 war er fertig damit. Nachdem
er längere Zeit sich zusammen mit den Medizinern Wunderlich und Griesinger
in Paris aufgehalten, wandte er sich nach Holland, bestand die Prüfung, erhielt
das Patent als "Offizier von der Gesundheit" und nahm sofort auf einem von
Rotterdam nach Java segelnden Kauffahrteischiffe die Stelle eines Schiffsarztes
an. Er hatte viel von der Langeweile gehört, der ein Schiffsarzt während
der Fahrt ausgesetzt sei. Er versäumte darum nicht, sich von Paris aus nicht


Grenzlinien I. 1379. 13

Studiums, die sich des allgemeinen Beifalls der Mediziner schwerlich wird zu
erfreuen haben. Heute zwickt man lieber Katzen, Hunde und Kaninchen.

Etwas weiteres Bemerkenswerthes läßt sich aus Mayer's Universitätszeit
kaum berichten, wenn man nicht das dafür nehmen will, daß er nicht blos am
Krankenbett Beobachtungen und Berechnungen anstellte, sondern täglich minde¬
stens einige Stunden beim Spiel zubrachte und daß er mit solcher Leidenschaft
dabei war, daß er oft noch nach Wochen den Stand einer Schachpartie wieder¬
herstellen konnte. Den Morgen widmete er den Studien, den Abend der Ge¬
selligkeit und selten kehrte er aus dem Kreise der Freunde eher heim, als bis
die Polizeistunde schlug. Wie er alles, was er that, mit großem Feuereifer
betrieb, so war er auch bei den Trivialitäten des studentischen Lebens, wenn
sie einmal Reiz für ihn hatten, mit Leib und Seele. So begeisterte er sich
noch in späten Semestern für die Gründung einer Verbindung, des Korps
„Guestphalia", lernte Fechten und Reiten. Aber alle solche Aeußerlichkeiten
der Repräsentation standen ihm nicht, er zeigte sich stets in seinem eigenen,
originellen Wesen, so daß selbst über den Kreis seiner Bekannten hinaus manche
Anekdote von ihm im Umlauf war. Als er bereits im Begriff stand, Tübingen
zu verlassen, wurde er auf ein Jahr von der Universität verwiesen und zwar
wegen Verbindungslappcilieu, die dem hohen Bundestage zu jener Zeit gerade
ein Dorn im Ange waren, und — was noch erstaunlicher ist — weil er einem
Balle einige Minuten lang ohne Frack zugesehen hatte. Seine Untersuchungs¬
haft mußte man ihm in Hausarrest umwandeln. Er erzwang es durch eine
Hungerkur. Den ehrwürdigen Perrücken des Universitätsgerichts mag das
allerdings mehr als originell erschienen sein.

Mayer besuchte nun die großen Kliniken von München und Wien und
machte dann im nächsten Jahre, 1838, die Examina für die medizinische Praxis
Seine Arbeiten verriethen „gründliche Kenntnisse und selbständiges Urtheil".
Es war seine Absicht, als Militärarzt in holländische Dienste zu gehen, um das
Ausland keimen zu lernen, worin ihn der Vater lebhaft bestärkte. Da er aber
hörte, daß ein besonderes Examen und die Kenntniß der holländischen Sprache
dazu nöthig seien, so ließ er sich vorläufig als praktischer Arzt in seiner Vater«
stadt nieder und studirte, da es mit der Praxis nicht sofort nach Wunsch gehen
wollte, eifrig Holländisch. Im Herbst 1839 war er fertig damit. Nachdem
er längere Zeit sich zusammen mit den Medizinern Wunderlich und Griesinger
in Paris aufgehalten, wandte er sich nach Holland, bestand die Prüfung, erhielt
das Patent als „Offizier von der Gesundheit" und nahm sofort auf einem von
Rotterdam nach Java segelnden Kauffahrteischiffe die Stelle eines Schiffsarztes
an. Er hatte viel von der Langeweile gehört, der ein Schiffsarzt während
der Fahrt ausgesetzt sei. Er versäumte darum nicht, sich von Paris aus nicht


Grenzlinien I. 1379. 13
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[0105] Studiums, die sich des allgemeinen Beifalls der Mediziner schwerlich wird zu erfreuen haben. Heute zwickt man lieber Katzen, Hunde und Kaninchen. Etwas weiteres Bemerkenswerthes läßt sich aus Mayer's Universitätszeit kaum berichten, wenn man nicht das dafür nehmen will, daß er nicht blos am Krankenbett Beobachtungen und Berechnungen anstellte, sondern täglich minde¬ stens einige Stunden beim Spiel zubrachte und daß er mit solcher Leidenschaft dabei war, daß er oft noch nach Wochen den Stand einer Schachpartie wieder¬ herstellen konnte. Den Morgen widmete er den Studien, den Abend der Ge¬ selligkeit und selten kehrte er aus dem Kreise der Freunde eher heim, als bis die Polizeistunde schlug. Wie er alles, was er that, mit großem Feuereifer betrieb, so war er auch bei den Trivialitäten des studentischen Lebens, wenn sie einmal Reiz für ihn hatten, mit Leib und Seele. So begeisterte er sich noch in späten Semestern für die Gründung einer Verbindung, des Korps „Guestphalia", lernte Fechten und Reiten. Aber alle solche Aeußerlichkeiten der Repräsentation standen ihm nicht, er zeigte sich stets in seinem eigenen, originellen Wesen, so daß selbst über den Kreis seiner Bekannten hinaus manche Anekdote von ihm im Umlauf war. Als er bereits im Begriff stand, Tübingen zu verlassen, wurde er auf ein Jahr von der Universität verwiesen und zwar wegen Verbindungslappcilieu, die dem hohen Bundestage zu jener Zeit gerade ein Dorn im Ange waren, und — was noch erstaunlicher ist — weil er einem Balle einige Minuten lang ohne Frack zugesehen hatte. Seine Untersuchungs¬ haft mußte man ihm in Hausarrest umwandeln. Er erzwang es durch eine Hungerkur. Den ehrwürdigen Perrücken des Universitätsgerichts mag das allerdings mehr als originell erschienen sein. Mayer besuchte nun die großen Kliniken von München und Wien und machte dann im nächsten Jahre, 1838, die Examina für die medizinische Praxis Seine Arbeiten verriethen „gründliche Kenntnisse und selbständiges Urtheil". Es war seine Absicht, als Militärarzt in holländische Dienste zu gehen, um das Ausland keimen zu lernen, worin ihn der Vater lebhaft bestärkte. Da er aber hörte, daß ein besonderes Examen und die Kenntniß der holländischen Sprache dazu nöthig seien, so ließ er sich vorläufig als praktischer Arzt in seiner Vater« stadt nieder und studirte, da es mit der Praxis nicht sofort nach Wunsch gehen wollte, eifrig Holländisch. Im Herbst 1839 war er fertig damit. Nachdem er längere Zeit sich zusammen mit den Medizinern Wunderlich und Griesinger in Paris aufgehalten, wandte er sich nach Holland, bestand die Prüfung, erhielt das Patent als „Offizier von der Gesundheit" und nahm sofort auf einem von Rotterdam nach Java segelnden Kauffahrteischiffe die Stelle eines Schiffsarztes an. Er hatte viel von der Langeweile gehört, der ein Schiffsarzt während der Fahrt ausgesetzt sei. Er versäumte darum nicht, sich von Paris aus nicht Grenzlinien I. 1379. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/105>, abgerufen am 24.07.2024.