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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Aufnahme gefunden hatte -- noch mehr hervor als im Gymnasium seiner
Vaterstadt.

Seinen Mitschülern, obgleich sie ihn in den Schulkenntnissen überragten,
kam es doch nicht in den Sinn, ihn daran gering zu schätzen. "Sie sahen
bald," sagt Rümelin in seinen ,Erinnerungen^, "daß er mit einem anderen Ma߬
stab zu messen sei, daß er eine Menge von Dingen wußte und verstand, von
denen wir keine Ahnung hatten; man traute ihm ganz wohl zu, daß er es
nach Umständen einmal weiter bringen könne, als wir alle zusammen. Er war
ebenso beliebt und beachtet bei den Lehrern wie bei den Mitschülern. Er gab
sich stets, ganz wie er war; es kam kein unwahres Wort aus seinem Munde;
er hatte eine volle und freudige Anerkennung für fremde Vorzüge und trat
Niemandem zu nahe. Er war nach seiner Gemüthsart eine aniras. oarMäg,
zu nennen. Aber alles, was er sagte und that, trug den Stempel der Origi¬
nalität. Sein Gedankengang, der ganz logisch war, bei dem er aber die ver¬
bindenden Mittelglieder übersprang oder unausgesprochen ließ, war stets über¬
raschend und oft verblüffend; bis man den Faden gefunden hatte, war er
schon wieder wo anders angekommen. Und da es an Witz und gutem Humor
nicht fehlte, so war seine Unterhaltung stets ergötzlich; an Zitaten und Sen¬
tenzen aus Bibel und Gesangbuch, aus Sprichwörtern, Dichtern und alten
Autoren war er unerschöpflich und wußte sie anzubringen, wo sonst kein
Mensch an sie gedacht hätte. Manche sahen ihn stets verwundert und erwar¬
tungsvoll an und lachten über jedes Wort, das er sprach. Einzelnen war ein
solches Feuerwerk von Gedankensprüngen unbehaglich."

Auch in Schönthal unterhielt er die Kameraden mit physikalischen Expe¬
rimenten. So ließ er einmal längere Zeit in einem der Kreuzgänge des alten
Klosters Geister erscheinen und hielt, um die Belustigung noch größer zu
machen, entsprechende Reden dazu, weshalb er zur Unterscheidung von den
vielen anderen Mayern mit dem Beinamen "der Geist" belegt wurde.

Im Frühling 1832 ging er auf die Universität Tübingen zum Studium
der Medizin. Er widmete sich derselben ganz ausschließlich und hörte, abge¬
sehen von etwas Physik im ersten Semester, nur medizinische Fachvorlesungen
und die praktischen klinischen Kurse. Andere Vorlesungen hatten nichts An¬
ziehendes für ihn, und ohne Zweifel that er wohl daran, sie zu meiden; die
Originalität seines Geistes blieb um so frischer. Wie groß sein Interesse und
seine Begeisterung für die Medizin war und in welcher Art er seine Studien
zu betreiben pflegte, das mag man aus einem kleinen Zuge erkennen. Um die
Wirkung der verschiedenen Methoden der Wundbehandlung zu erproben, ließ
er eine Reihe von Zunderstücken auf seinem Arme verglühen und behandelte
darauf jede Wunde nach einer anderen Methode, eine originelle Art des


Aufnahme gefunden hatte — noch mehr hervor als im Gymnasium seiner
Vaterstadt.

Seinen Mitschülern, obgleich sie ihn in den Schulkenntnissen überragten,
kam es doch nicht in den Sinn, ihn daran gering zu schätzen. „Sie sahen
bald," sagt Rümelin in seinen ,Erinnerungen^, „daß er mit einem anderen Ma߬
stab zu messen sei, daß er eine Menge von Dingen wußte und verstand, von
denen wir keine Ahnung hatten; man traute ihm ganz wohl zu, daß er es
nach Umständen einmal weiter bringen könne, als wir alle zusammen. Er war
ebenso beliebt und beachtet bei den Lehrern wie bei den Mitschülern. Er gab
sich stets, ganz wie er war; es kam kein unwahres Wort aus seinem Munde;
er hatte eine volle und freudige Anerkennung für fremde Vorzüge und trat
Niemandem zu nahe. Er war nach seiner Gemüthsart eine aniras. oarMäg,
zu nennen. Aber alles, was er sagte und that, trug den Stempel der Origi¬
nalität. Sein Gedankengang, der ganz logisch war, bei dem er aber die ver¬
bindenden Mittelglieder übersprang oder unausgesprochen ließ, war stets über¬
raschend und oft verblüffend; bis man den Faden gefunden hatte, war er
schon wieder wo anders angekommen. Und da es an Witz und gutem Humor
nicht fehlte, so war seine Unterhaltung stets ergötzlich; an Zitaten und Sen¬
tenzen aus Bibel und Gesangbuch, aus Sprichwörtern, Dichtern und alten
Autoren war er unerschöpflich und wußte sie anzubringen, wo sonst kein
Mensch an sie gedacht hätte. Manche sahen ihn stets verwundert und erwar¬
tungsvoll an und lachten über jedes Wort, das er sprach. Einzelnen war ein
solches Feuerwerk von Gedankensprüngen unbehaglich."

Auch in Schönthal unterhielt er die Kameraden mit physikalischen Expe¬
rimenten. So ließ er einmal längere Zeit in einem der Kreuzgänge des alten
Klosters Geister erscheinen und hielt, um die Belustigung noch größer zu
machen, entsprechende Reden dazu, weshalb er zur Unterscheidung von den
vielen anderen Mayern mit dem Beinamen „der Geist" belegt wurde.

Im Frühling 1832 ging er auf die Universität Tübingen zum Studium
der Medizin. Er widmete sich derselben ganz ausschließlich und hörte, abge¬
sehen von etwas Physik im ersten Semester, nur medizinische Fachvorlesungen
und die praktischen klinischen Kurse. Andere Vorlesungen hatten nichts An¬
ziehendes für ihn, und ohne Zweifel that er wohl daran, sie zu meiden; die
Originalität seines Geistes blieb um so frischer. Wie groß sein Interesse und
seine Begeisterung für die Medizin war und in welcher Art er seine Studien
zu betreiben pflegte, das mag man aus einem kleinen Zuge erkennen. Um die
Wirkung der verschiedenen Methoden der Wundbehandlung zu erproben, ließ
er eine Reihe von Zunderstücken auf seinem Arme verglühen und behandelte
darauf jede Wunde nach einer anderen Methode, eine originelle Art des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/104>, abgerufen am 24.07.2024.