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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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dienste des großen Physikers mit Nachdruck eingetreten war, wurde von der
Berliner Universität im Sommer 1877 mit "Remotion" bestraft, d. h. man
entzog ihm die Erlaubniß, Vorlesungen zu halten. Mayer hörte davon, trat
mit Dühring in Verkehr und besuchte ihn im Herbst des Jahres auf mehrere
Tage in Wildbad. Dort theilte er ihm mündlich seine Erlebnisse mit und bat
ihn, sie vor die Öffentlichkeit zu bringen, da er selbst über den ihm angedich¬
teten Wahnsinn sich öffentlich nicht auslassen möge. Nach Berlin zurückgekehrt,
kam Dühring diesem Wunsche nach und besprach das, Schicksal Mayer's in
einem öffentlichen Vortrage. Mayer erhielt darüber ein Zeitnngsreferat, das
die Aeußerungen Dllhring's meistens wörtlich wiedergab und namentlich die
über den angedichteten Größenwahn und die fortgesetzten Verkleinerungsver¬
suche seiner Gegner. Bald darauf schrieb Mayer, seine Freude und Zustim¬
mung ausdrückend, in einer für seine ganze Lage höchst charakteristischen Weise
an Dühring:

"Gestern habe ich endlich einen ausführlichen Brief an Herrn or. Heinrich
Rohlfs in Göttingen fertig gebracht, der schon vor Monaten an mich wieder
geschrieben und sich dabei erkundigt hat, was ich von der "Dühring'jeher An¬
gelegenheit" halte. Ich schrieb ihm, ich hätte die von ihm gewünschte Auto¬
biographie bis jetzt noch immer nicht fertigen können, da ich die Angelegenheit
mit den Irrenhäusern und Zwangsstühlen (vgl. meine Schrift über Auslösung)
weder verschweigen, noch selbst erzählen wollte. Nun sei aber durch Freund
Dühring, den ich in Wildbad aufgesucht und persönlich kennen gelernt, geholfen,
indem derselbe in seinem Vortrage vom 30. Oktober zu meiner großen Freude
und ganz in meinem Sinne von den ihm in Wildbad gegebenen Notizen Ge¬
brauch gemacht habe, und Sie werden ohne Zweifel gern bereit fein, ihm das
Nähere hierüber für seine Geschichte der deutschen Medizin mitzutheilen. Von
meiner genußreichen und mir unvergeßlichen Tour in's Wildbald und ihrem
Zwecke habe ich natürlich kein Geheimniß gemacht, habe aber recht deutlich
gesehen, daß diese kleine Reise vor den Augen offizieller und offiziöser Personen
keine Gnade gefunden hat. Wie schade, daß ich nicht vorher angefragt! Still
lächelnd habe ich bei mir gedacht: Der einzige Dühring ist mir lieber, als viele
Professoren -- wenn auch manchmal mit noch so langen Ohren. Da Jeder¬
mann weiß, daß ich ein Narr bin, so hielt sich auch Jedermann für berufen,
eine geistige Kuratel über mich auszuüben." (Vgl. Dühring, Neue Grundgesetze
zur rationellen Physik und Chemie S. 110.)

Diesen Brief mögen sich alle diejenigen hinter's Ohr schreiben, welche
heute die Meinung zu verbreiten suchen, das Schicksal Mayer's sei nur von
Dühring so schwarz gemalt worden, in Wahrheit sei es ganz rosig gewesen.
Ein Glück, daß Mayer eiuen Dühring fand und durch ihn erzählen konnte,


dienste des großen Physikers mit Nachdruck eingetreten war, wurde von der
Berliner Universität im Sommer 1877 mit „Remotion" bestraft, d. h. man
entzog ihm die Erlaubniß, Vorlesungen zu halten. Mayer hörte davon, trat
mit Dühring in Verkehr und besuchte ihn im Herbst des Jahres auf mehrere
Tage in Wildbad. Dort theilte er ihm mündlich seine Erlebnisse mit und bat
ihn, sie vor die Öffentlichkeit zu bringen, da er selbst über den ihm angedich¬
teten Wahnsinn sich öffentlich nicht auslassen möge. Nach Berlin zurückgekehrt,
kam Dühring diesem Wunsche nach und besprach das, Schicksal Mayer's in
einem öffentlichen Vortrage. Mayer erhielt darüber ein Zeitnngsreferat, das
die Aeußerungen Dllhring's meistens wörtlich wiedergab und namentlich die
über den angedichteten Größenwahn und die fortgesetzten Verkleinerungsver¬
suche seiner Gegner. Bald darauf schrieb Mayer, seine Freude und Zustim¬
mung ausdrückend, in einer für seine ganze Lage höchst charakteristischen Weise
an Dühring:

„Gestern habe ich endlich einen ausführlichen Brief an Herrn or. Heinrich
Rohlfs in Göttingen fertig gebracht, der schon vor Monaten an mich wieder
geschrieben und sich dabei erkundigt hat, was ich von der „Dühring'jeher An¬
gelegenheit" halte. Ich schrieb ihm, ich hätte die von ihm gewünschte Auto¬
biographie bis jetzt noch immer nicht fertigen können, da ich die Angelegenheit
mit den Irrenhäusern und Zwangsstühlen (vgl. meine Schrift über Auslösung)
weder verschweigen, noch selbst erzählen wollte. Nun sei aber durch Freund
Dühring, den ich in Wildbad aufgesucht und persönlich kennen gelernt, geholfen,
indem derselbe in seinem Vortrage vom 30. Oktober zu meiner großen Freude
und ganz in meinem Sinne von den ihm in Wildbad gegebenen Notizen Ge¬
brauch gemacht habe, und Sie werden ohne Zweifel gern bereit fein, ihm das
Nähere hierüber für seine Geschichte der deutschen Medizin mitzutheilen. Von
meiner genußreichen und mir unvergeßlichen Tour in's Wildbald und ihrem
Zwecke habe ich natürlich kein Geheimniß gemacht, habe aber recht deutlich
gesehen, daß diese kleine Reise vor den Augen offizieller und offiziöser Personen
keine Gnade gefunden hat. Wie schade, daß ich nicht vorher angefragt! Still
lächelnd habe ich bei mir gedacht: Der einzige Dühring ist mir lieber, als viele
Professoren — wenn auch manchmal mit noch so langen Ohren. Da Jeder¬
mann weiß, daß ich ein Narr bin, so hielt sich auch Jedermann für berufen,
eine geistige Kuratel über mich auszuüben." (Vgl. Dühring, Neue Grundgesetze
zur rationellen Physik und Chemie S. 110.)

Diesen Brief mögen sich alle diejenigen hinter's Ohr schreiben, welche
heute die Meinung zu verbreiten suchen, das Schicksal Mayer's sei nur von
Dühring so schwarz gemalt worden, in Wahrheit sei es ganz rosig gewesen.
Ein Glück, daß Mayer eiuen Dühring fand und durch ihn erzählen konnte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/101>, abgerufen am 24.07.2024.