Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Verwaltuugsmechanismus absorvirte, so entging auch die Kirche diesem Ge¬
schicke nicht.

Ein anderes Moment, das uns die veränderte Stellung des Staates zu
den Kirchen begreiflich macht, ist der Einfluß der modernen Philosophie, welche
den Gesichtskreis erweiterte und der Idee der Toleranz Raum schaffte.

War so die staatskirchliche Gestalt des organischen Zusammenhangs beider
Faktoren erschüttert und mußte im Laufe der Zeit in Folge der parlamenta-
tarischen Regierungsform auf der einen, in Folge des immer mächtiger wer¬
denden Dranges nach einer repräsentativen Kirchenverfcifsung auf der andern
Seite schließlich aufgelöst werden, so ergab sich damit noch keineswegs die
Nothwendigkeit, diesen organischen Zusammenhang selbst zu beseitigen, viel¬
mehr war es angezeigt, denselben in einer sowohl den gegenwärtigen Verhält¬
nissen als auch dem Begriff dieses Zusammenhanges entsprechenderen Gestalt
wieder herzustellen. Eine solche finden wir in der landeskirchlichen Verbindung
zwischen Staat und Kirche, wie sie jetzt in den meisten deutschen Territorien
besteht. Wir verkennen die unleugbaren Uebelstände dieses Verhältnisses nicht,
aber wir halten sie für geringer als die Nachtheile, welche für Staat und
Kirche aus der Zerreißung des in der Landeskirche sie verknüpfenden Bandes
entstehen würden. Ebenso verkennen wir auch nicht die Vorzüge freikirchlicher
Bildungen, wie sie sich uns in Amerika zeigen, aber weder halten wir sie im
Allgemeinen für so bedeutend, daß die sie begleitenden Nachtheile von ihnen
aufgewogen würden, noch erscheinen sie uns als ein Ziel, das für die deutschen
Verhältnisse erreichbar wäre, ohne die tiefsten Erschütterungen und die größten
Schädigungen für unser Volk herbeizuführen. Wir verzichten darauf, den
Beweis für diese Behauptungen hier von neuem zu führen und verweisen
auf unsere früheren eingehenden Erörterungen in diesen Blattern.") Nur dies
eine wollen wir bemerken. Baumgarten's Konstruktionen ruhen auf dem
fundamentalen Irrthum, daß er die pädagogischen Aufgaben verkennt, die Staat
und Kirche am Volke auszuüben haben. Daraus entspringt sein Radikalismus.
Daraus erklärt es sich auch, daß ihm alles Verständniß dafür fehlt, daß
die Einführung der obligatorischen Zivilehe einen so starken Widerstand ge¬
funden hat und in bestimmten Kreisen noch gegenwärtig keinen Beifall findet.,
Referent hat noch vor Einführung des Zivilehestandsregisters dieselbe als eine
unabweisliche Nothwendigkeit angesehen und sich in diesem Sinne in akade¬
mischen Vorlesungen ausgesprochen, aber das hat ihm immer fern gelegen,
die Widerstrebenden des Hierarchismus anzuklagen. Es war eine fehr ernste



*) Staatskirche, Freikirche, Landeskirche. Grenzboten 137S, Separatabdrnck, Leipzig,
F. W. Grunow, 187S.
Grenzboten 187S. IV. 59

Verwaltuugsmechanismus absorvirte, so entging auch die Kirche diesem Ge¬
schicke nicht.

Ein anderes Moment, das uns die veränderte Stellung des Staates zu
den Kirchen begreiflich macht, ist der Einfluß der modernen Philosophie, welche
den Gesichtskreis erweiterte und der Idee der Toleranz Raum schaffte.

War so die staatskirchliche Gestalt des organischen Zusammenhangs beider
Faktoren erschüttert und mußte im Laufe der Zeit in Folge der parlamenta-
tarischen Regierungsform auf der einen, in Folge des immer mächtiger wer¬
denden Dranges nach einer repräsentativen Kirchenverfcifsung auf der andern
Seite schließlich aufgelöst werden, so ergab sich damit noch keineswegs die
Nothwendigkeit, diesen organischen Zusammenhang selbst zu beseitigen, viel¬
mehr war es angezeigt, denselben in einer sowohl den gegenwärtigen Verhält¬
nissen als auch dem Begriff dieses Zusammenhanges entsprechenderen Gestalt
wieder herzustellen. Eine solche finden wir in der landeskirchlichen Verbindung
zwischen Staat und Kirche, wie sie jetzt in den meisten deutschen Territorien
besteht. Wir verkennen die unleugbaren Uebelstände dieses Verhältnisses nicht,
aber wir halten sie für geringer als die Nachtheile, welche für Staat und
Kirche aus der Zerreißung des in der Landeskirche sie verknüpfenden Bandes
entstehen würden. Ebenso verkennen wir auch nicht die Vorzüge freikirchlicher
Bildungen, wie sie sich uns in Amerika zeigen, aber weder halten wir sie im
Allgemeinen für so bedeutend, daß die sie begleitenden Nachtheile von ihnen
aufgewogen würden, noch erscheinen sie uns als ein Ziel, das für die deutschen
Verhältnisse erreichbar wäre, ohne die tiefsten Erschütterungen und die größten
Schädigungen für unser Volk herbeizuführen. Wir verzichten darauf, den
Beweis für diese Behauptungen hier von neuem zu führen und verweisen
auf unsere früheren eingehenden Erörterungen in diesen Blattern.") Nur dies
eine wollen wir bemerken. Baumgarten's Konstruktionen ruhen auf dem
fundamentalen Irrthum, daß er die pädagogischen Aufgaben verkennt, die Staat
und Kirche am Volke auszuüben haben. Daraus entspringt sein Radikalismus.
Daraus erklärt es sich auch, daß ihm alles Verständniß dafür fehlt, daß
die Einführung der obligatorischen Zivilehe einen so starken Widerstand ge¬
funden hat und in bestimmten Kreisen noch gegenwärtig keinen Beifall findet.,
Referent hat noch vor Einführung des Zivilehestandsregisters dieselbe als eine
unabweisliche Nothwendigkeit angesehen und sich in diesem Sinne in akade¬
mischen Vorlesungen ausgesprochen, aber das hat ihm immer fern gelegen,
die Widerstrebenden des Hierarchismus anzuklagen. Es war eine fehr ernste



*) Staatskirche, Freikirche, Landeskirche. Grenzboten 137S, Separatabdrnck, Leipzig,
F. W. Grunow, 187S.
Grenzboten 187S. IV. 59
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141348"/>
          <p xml:id="ID_1537" prev="#ID_1536"> Verwaltuugsmechanismus absorvirte, so entging auch die Kirche diesem Ge¬<lb/>
schicke nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1538"> Ein anderes Moment, das uns die veränderte Stellung des Staates zu<lb/>
den Kirchen begreiflich macht, ist der Einfluß der modernen Philosophie, welche<lb/>
den Gesichtskreis erweiterte und der Idee der Toleranz Raum schaffte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1539" next="#ID_1540"> War so die staatskirchliche Gestalt des organischen Zusammenhangs beider<lb/>
Faktoren erschüttert und mußte im Laufe der Zeit in Folge der parlamenta-<lb/>
tarischen Regierungsform auf der einen, in Folge des immer mächtiger wer¬<lb/>
denden Dranges nach einer repräsentativen Kirchenverfcifsung auf der andern<lb/>
Seite schließlich aufgelöst werden, so ergab sich damit noch keineswegs die<lb/>
Nothwendigkeit, diesen organischen Zusammenhang selbst zu beseitigen, viel¬<lb/>
mehr war es angezeigt, denselben in einer sowohl den gegenwärtigen Verhält¬<lb/>
nissen als auch dem Begriff dieses Zusammenhanges entsprechenderen Gestalt<lb/>
wieder herzustellen. Eine solche finden wir in der landeskirchlichen Verbindung<lb/>
zwischen Staat und Kirche, wie sie jetzt in den meisten deutschen Territorien<lb/>
besteht. Wir verkennen die unleugbaren Uebelstände dieses Verhältnisses nicht,<lb/>
aber wir halten sie für geringer als die Nachtheile, welche für Staat und<lb/>
Kirche aus der Zerreißung des in der Landeskirche sie verknüpfenden Bandes<lb/>
entstehen würden. Ebenso verkennen wir auch nicht die Vorzüge freikirchlicher<lb/>
Bildungen, wie sie sich uns in Amerika zeigen, aber weder halten wir sie im<lb/>
Allgemeinen für so bedeutend, daß die sie begleitenden Nachtheile von ihnen<lb/>
aufgewogen würden, noch erscheinen sie uns als ein Ziel, das für die deutschen<lb/>
Verhältnisse erreichbar wäre, ohne die tiefsten Erschütterungen und die größten<lb/>
Schädigungen für unser Volk herbeizuführen. Wir verzichten darauf, den<lb/>
Beweis für diese Behauptungen hier von neuem zu führen und verweisen<lb/>
auf unsere früheren eingehenden Erörterungen in diesen Blattern.") Nur dies<lb/>
eine wollen wir bemerken. Baumgarten's Konstruktionen ruhen auf dem<lb/>
fundamentalen Irrthum, daß er die pädagogischen Aufgaben verkennt, die Staat<lb/>
und Kirche am Volke auszuüben haben. Daraus entspringt sein Radikalismus.<lb/>
Daraus erklärt es sich auch, daß ihm alles Verständniß dafür fehlt, daß<lb/>
die Einführung der obligatorischen Zivilehe einen so starken Widerstand ge¬<lb/>
funden hat und in bestimmten Kreisen noch gegenwärtig keinen Beifall findet.,<lb/>
Referent hat noch vor Einführung des Zivilehestandsregisters dieselbe als eine<lb/>
unabweisliche Nothwendigkeit angesehen und sich in diesem Sinne in akade¬<lb/>
mischen Vorlesungen ausgesprochen, aber das hat ihm immer fern gelegen,<lb/>
die Widerstrebenden des Hierarchismus anzuklagen. Es war eine fehr ernste</p><lb/>
          <note xml:id="FID_181" place="foot"> *) Staatskirche, Freikirche, Landeskirche. Grenzboten 137S, Separatabdrnck, Leipzig,<lb/>
F. W. Grunow, 187S.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 187S. IV. 59</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0469] Verwaltuugsmechanismus absorvirte, so entging auch die Kirche diesem Ge¬ schicke nicht. Ein anderes Moment, das uns die veränderte Stellung des Staates zu den Kirchen begreiflich macht, ist der Einfluß der modernen Philosophie, welche den Gesichtskreis erweiterte und der Idee der Toleranz Raum schaffte. War so die staatskirchliche Gestalt des organischen Zusammenhangs beider Faktoren erschüttert und mußte im Laufe der Zeit in Folge der parlamenta- tarischen Regierungsform auf der einen, in Folge des immer mächtiger wer¬ denden Dranges nach einer repräsentativen Kirchenverfcifsung auf der andern Seite schließlich aufgelöst werden, so ergab sich damit noch keineswegs die Nothwendigkeit, diesen organischen Zusammenhang selbst zu beseitigen, viel¬ mehr war es angezeigt, denselben in einer sowohl den gegenwärtigen Verhält¬ nissen als auch dem Begriff dieses Zusammenhanges entsprechenderen Gestalt wieder herzustellen. Eine solche finden wir in der landeskirchlichen Verbindung zwischen Staat und Kirche, wie sie jetzt in den meisten deutschen Territorien besteht. Wir verkennen die unleugbaren Uebelstände dieses Verhältnisses nicht, aber wir halten sie für geringer als die Nachtheile, welche für Staat und Kirche aus der Zerreißung des in der Landeskirche sie verknüpfenden Bandes entstehen würden. Ebenso verkennen wir auch nicht die Vorzüge freikirchlicher Bildungen, wie sie sich uns in Amerika zeigen, aber weder halten wir sie im Allgemeinen für so bedeutend, daß die sie begleitenden Nachtheile von ihnen aufgewogen würden, noch erscheinen sie uns als ein Ziel, das für die deutschen Verhältnisse erreichbar wäre, ohne die tiefsten Erschütterungen und die größten Schädigungen für unser Volk herbeizuführen. Wir verzichten darauf, den Beweis für diese Behauptungen hier von neuem zu führen und verweisen auf unsere früheren eingehenden Erörterungen in diesen Blattern.") Nur dies eine wollen wir bemerken. Baumgarten's Konstruktionen ruhen auf dem fundamentalen Irrthum, daß er die pädagogischen Aufgaben verkennt, die Staat und Kirche am Volke auszuüben haben. Daraus entspringt sein Radikalismus. Daraus erklärt es sich auch, daß ihm alles Verständniß dafür fehlt, daß die Einführung der obligatorischen Zivilehe einen so starken Widerstand ge¬ funden hat und in bestimmten Kreisen noch gegenwärtig keinen Beifall findet., Referent hat noch vor Einführung des Zivilehestandsregisters dieselbe als eine unabweisliche Nothwendigkeit angesehen und sich in diesem Sinne in akade¬ mischen Vorlesungen ausgesprochen, aber das hat ihm immer fern gelegen, die Widerstrebenden des Hierarchismus anzuklagen. Es war eine fehr ernste *) Staatskirche, Freikirche, Landeskirche. Grenzboten 137S, Separatabdrnck, Leipzig, F. W. Grunow, 187S. Grenzboten 187S. IV. 59

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/469
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/469>, abgerufen am 05.02.2025.