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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Frage, vor welche die gestellt wurden, in deren Hand die Entscheidung lag.
Und sie sind sich dessen sehr wohl bewußt gewesen. Es handelte sich darum,
auf ein nicht geringes Maß pädagogischer, versittlichender Einwirkung auf
das Volksleben zu verzichten. Denn so liegt es nicht, daß die Vollziehung
der Eheschließung durch die Diener der Kirche an sich eine Beeinträchtigung
des Staates in sich schließe. Wir berufen uns auf das Urtheil eines Mannes,
den wohl Niemand hierarchischer Sympathien bezichtigen wird, der freilich aber
auch nichts von Radikalismus und Fanatismus in sich hatte, auf Trendelen¬
burg. Seine Worte sind so zutreffend und beachtenswerth zur rechten Würdi¬
gung dieser Angelegenheit, daß wir nicht umhin können, sie hier im Zusammen¬
hange anzuführen: "Es ist -- ein richtiger Zug des Gemüths, daß die Ehe,
welche die tiefsten ethischen Seiten hat, der Kirche, d. h. dem auf den Glauben
an das Göttliche gegründeten ethischen Gemeinwesen, in Obhut gegeben wird,
und der Staat der Kirche mit der Weihe die Fürsorge sür die rechtlichen Be¬
dingungen der Ehe überläßt. Wo freilich im Widerspruch mit dem, was sein
sollte, aber in der Konsequenz dessen, was geschichtlich ist, Staat und Kirche
in der Auffassung des Eherechts in Widerstreit gerathen, da wird das bürger¬
liche Gesetz, wie in der Zivilehe geschieht, zunächst seine Ansprüche zur Geltung
bringen und die Ansprüche der Kirche als eine innere Sache ihr und ihren
Genossen anheimgeben.*)

Ebenso ist auch Baumgarten im Irrthum über die weit verbreiteten Be¬
strebungen, in dem Trauungsakt anch gegenwärtig noch den Begriff des Zu¬
sammensprechens festzuhalten. Mag hier und da mit demselben eine Tendenz,
die Bedeutung der bürgerlichen Eheschließung herab zu drücken, sich verbinden,
im Wesentlichen liegen ihm andere Motive zu Grunde. Die Frage, die hier
in Betracht kommt, ist in erster Linie eine liturgische. Es handelt sich um die
Aufgabe, dem liturgischen Akt das höchste Maß der Feierlichkeit zu verleihen, das
sich mit der Wahrheit desselben vereinigen läßt. Dies ist dann erreicht, wenn
in dem zu segnenden Paare durch die Trauformel das Bewußtsein erzeugt
wird, daß ihre eheliche Gemeinschaft, wenn auch durch menschliche Faktoren,
durch ihren gegenseitigen Konsensus sowie durch die diesen legitimirende staatliche
Vollziehung, schließlich doch von Gott selbst begründet ist. Hat nun das ehe¬
liche Leben thatsächlich schon begonnen, bevor die kirchliche Trauung stattfindet,
so fehlt für eine Formel, die einen solchen Inhalt hat, die innere Möglichkeit.
Anders da, wo die Trauung vor dem wirklichen Anfang des ehelichen Lebens
erfolgt, wo sie also, wenn auch nicht rechtlich, so doch thatsächlich dasselbe herbei¬
führt, wo in ihrem Auftrag, als ihr Mandatar, die Kirche durch ihren Diener



*) Naturrecht auf dem Grunde der Ethik. 2. Auflage. Leipzig, 1868 S. 292.

Frage, vor welche die gestellt wurden, in deren Hand die Entscheidung lag.
Und sie sind sich dessen sehr wohl bewußt gewesen. Es handelte sich darum,
auf ein nicht geringes Maß pädagogischer, versittlichender Einwirkung auf
das Volksleben zu verzichten. Denn so liegt es nicht, daß die Vollziehung
der Eheschließung durch die Diener der Kirche an sich eine Beeinträchtigung
des Staates in sich schließe. Wir berufen uns auf das Urtheil eines Mannes,
den wohl Niemand hierarchischer Sympathien bezichtigen wird, der freilich aber
auch nichts von Radikalismus und Fanatismus in sich hatte, auf Trendelen¬
burg. Seine Worte sind so zutreffend und beachtenswerth zur rechten Würdi¬
gung dieser Angelegenheit, daß wir nicht umhin können, sie hier im Zusammen¬
hange anzuführen: „Es ist — ein richtiger Zug des Gemüths, daß die Ehe,
welche die tiefsten ethischen Seiten hat, der Kirche, d. h. dem auf den Glauben
an das Göttliche gegründeten ethischen Gemeinwesen, in Obhut gegeben wird,
und der Staat der Kirche mit der Weihe die Fürsorge sür die rechtlichen Be¬
dingungen der Ehe überläßt. Wo freilich im Widerspruch mit dem, was sein
sollte, aber in der Konsequenz dessen, was geschichtlich ist, Staat und Kirche
in der Auffassung des Eherechts in Widerstreit gerathen, da wird das bürger¬
liche Gesetz, wie in der Zivilehe geschieht, zunächst seine Ansprüche zur Geltung
bringen und die Ansprüche der Kirche als eine innere Sache ihr und ihren
Genossen anheimgeben.*)

Ebenso ist auch Baumgarten im Irrthum über die weit verbreiteten Be¬
strebungen, in dem Trauungsakt anch gegenwärtig noch den Begriff des Zu¬
sammensprechens festzuhalten. Mag hier und da mit demselben eine Tendenz,
die Bedeutung der bürgerlichen Eheschließung herab zu drücken, sich verbinden,
im Wesentlichen liegen ihm andere Motive zu Grunde. Die Frage, die hier
in Betracht kommt, ist in erster Linie eine liturgische. Es handelt sich um die
Aufgabe, dem liturgischen Akt das höchste Maß der Feierlichkeit zu verleihen, das
sich mit der Wahrheit desselben vereinigen läßt. Dies ist dann erreicht, wenn
in dem zu segnenden Paare durch die Trauformel das Bewußtsein erzeugt
wird, daß ihre eheliche Gemeinschaft, wenn auch durch menschliche Faktoren,
durch ihren gegenseitigen Konsensus sowie durch die diesen legitimirende staatliche
Vollziehung, schließlich doch von Gott selbst begründet ist. Hat nun das ehe¬
liche Leben thatsächlich schon begonnen, bevor die kirchliche Trauung stattfindet,
so fehlt für eine Formel, die einen solchen Inhalt hat, die innere Möglichkeit.
Anders da, wo die Trauung vor dem wirklichen Anfang des ehelichen Lebens
erfolgt, wo sie also, wenn auch nicht rechtlich, so doch thatsächlich dasselbe herbei¬
führt, wo in ihrem Auftrag, als ihr Mandatar, die Kirche durch ihren Diener



*) Naturrecht auf dem Grunde der Ethik. 2. Auflage. Leipzig, 1868 S. 292.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/470>, abgerufen am 10.02.2025.