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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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und Hemmung."') Blicken wir aus die Niederlande, so finden wir auch hier
eine staatskirchliche Gestaltung des Protestantismus, und zwar keineswegs eine
tolerante. Aus der Dortrechter General-Synode, die vom 13. November 1618
bis zum 9. Mai 1619 tagte, wurden die Arminianer verurtheilt, und in
Folge dieses Beschlusses, der durch Denkmünzen verherrlicht wurde, mußten
diese Holland verlassen. Erst im Jahre 16Z6 durften sie zurückkehren, und
wurde ihnen freier Gottesdienst gewährt.

Wir sehen überall, wo der Protestantismus Macht gewann, auf lutherischem
wie reformirten Gebiet, hat er einen rechtlichen Zusammenhang mit dem Staat
gesucht und theokratische Tendenzen gezeigt. Sogar der Protestantismus, der,
solange er unterdrückt war, für die Glaubensfreiheit eintrat, verlor die Sym¬
pathie für diese, sobald er zur Herrschaft gelangt war. Die dem Druck Eng¬
land's entfliehenden Puritaner gründeten in Amerika Staatskirchen.""') Nur
kleine Flüchtlingsgemeinden in Deutschland haben eine dem Staat gegenüber
mehr oder weniger freie Stellung sich errungen und bewahrt. Ziehen wir
schließlich die Kirche der drei ersten Jahrhunderte in Betracht, so ist es ja
gewiß richtig, daß dieselbe durch Tiefe des Glaubens und Reinheit des Wandels
sich auszeichnete und nur durch diese Eigenschaften auf rein innerlichem Wege
eine so große Anziehungskraft anf die heidnische Welt ausgeübt hat, aber wir
werden auch eingestehen müssen, daß sie mit dem sie bekämpfenden Staat in
keine innere Beziehung treten konnte. Von dem Augenblick an aber, wo dies
ihr möglich war, ist sie sich auch dessen bewußt geworden, daß sie mit dem
Staat eine erziehende Aufgabe am Volksleben auszuüben habe, und hat Pri¬
vilegien nicht verschmäht, die ihr dies Werk erleichterten.

Doch kehren wir zu den protestantischen Kirchen zurück. Es war in
der zweiten Hälfte des siebzehnten und im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts,
daß das Verhältniß zwischen Staat und Kirche eine neue Wendung nahm.
Die Nothwendigkeit, mehrere kirchliche Denominationen in sich aufzunehmen
mit größeren oder geringeren politischen Rechten, wurde die Ursache, daß der
Staat eine Stellung über den einzelnen kirchlichen Parteien einnahm. Das
Bewußtsein, schlechthin ans eigenen Füßen zu stehen, verleitete ihn freilich,
territorialistisch die Selbständigkeit der Kirche zu mißachten und ihre Angelegen¬
heiten nach seinem Ermessen zu reguliren. Wie er in seiner Ausgestaltung
zum Beamtenstaat nivellirend die geschichtlich gebildeten Besonderheiten in seinen




*) Vgl. H, Weingarten. Die Revolutionskirchen England's. Ein Beitrag zur inneren
Geschichte der englischen Kirche und der Reformation. Leipzig, 1863.
Bgl, Thompson. Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika,
Berlin, 1873. Dazu des Res. Beurtheilung in den Grenzboten, 1873, S. 441 n, sf.

und Hemmung."') Blicken wir aus die Niederlande, so finden wir auch hier
eine staatskirchliche Gestaltung des Protestantismus, und zwar keineswegs eine
tolerante. Aus der Dortrechter General-Synode, die vom 13. November 1618
bis zum 9. Mai 1619 tagte, wurden die Arminianer verurtheilt, und in
Folge dieses Beschlusses, der durch Denkmünzen verherrlicht wurde, mußten
diese Holland verlassen. Erst im Jahre 16Z6 durften sie zurückkehren, und
wurde ihnen freier Gottesdienst gewährt.

Wir sehen überall, wo der Protestantismus Macht gewann, auf lutherischem
wie reformirten Gebiet, hat er einen rechtlichen Zusammenhang mit dem Staat
gesucht und theokratische Tendenzen gezeigt. Sogar der Protestantismus, der,
solange er unterdrückt war, für die Glaubensfreiheit eintrat, verlor die Sym¬
pathie für diese, sobald er zur Herrschaft gelangt war. Die dem Druck Eng¬
land's entfliehenden Puritaner gründeten in Amerika Staatskirchen.""') Nur
kleine Flüchtlingsgemeinden in Deutschland haben eine dem Staat gegenüber
mehr oder weniger freie Stellung sich errungen und bewahrt. Ziehen wir
schließlich die Kirche der drei ersten Jahrhunderte in Betracht, so ist es ja
gewiß richtig, daß dieselbe durch Tiefe des Glaubens und Reinheit des Wandels
sich auszeichnete und nur durch diese Eigenschaften auf rein innerlichem Wege
eine so große Anziehungskraft anf die heidnische Welt ausgeübt hat, aber wir
werden auch eingestehen müssen, daß sie mit dem sie bekämpfenden Staat in
keine innere Beziehung treten konnte. Von dem Augenblick an aber, wo dies
ihr möglich war, ist sie sich auch dessen bewußt geworden, daß sie mit dem
Staat eine erziehende Aufgabe am Volksleben auszuüben habe, und hat Pri¬
vilegien nicht verschmäht, die ihr dies Werk erleichterten.

Doch kehren wir zu den protestantischen Kirchen zurück. Es war in
der zweiten Hälfte des siebzehnten und im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts,
daß das Verhältniß zwischen Staat und Kirche eine neue Wendung nahm.
Die Nothwendigkeit, mehrere kirchliche Denominationen in sich aufzunehmen
mit größeren oder geringeren politischen Rechten, wurde die Ursache, daß der
Staat eine Stellung über den einzelnen kirchlichen Parteien einnahm. Das
Bewußtsein, schlechthin ans eigenen Füßen zu stehen, verleitete ihn freilich,
territorialistisch die Selbständigkeit der Kirche zu mißachten und ihre Angelegen¬
heiten nach seinem Ermessen zu reguliren. Wie er in seiner Ausgestaltung
zum Beamtenstaat nivellirend die geschichtlich gebildeten Besonderheiten in seinen




*) Vgl. H, Weingarten. Die Revolutionskirchen England's. Ein Beitrag zur inneren
Geschichte der englischen Kirche und der Reformation. Leipzig, 1863.
Bgl, Thompson. Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika,
Berlin, 1873. Dazu des Res. Beurtheilung in den Grenzboten, 1873, S. 441 n, sf.
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[0468] und Hemmung."') Blicken wir aus die Niederlande, so finden wir auch hier eine staatskirchliche Gestaltung des Protestantismus, und zwar keineswegs eine tolerante. Aus der Dortrechter General-Synode, die vom 13. November 1618 bis zum 9. Mai 1619 tagte, wurden die Arminianer verurtheilt, und in Folge dieses Beschlusses, der durch Denkmünzen verherrlicht wurde, mußten diese Holland verlassen. Erst im Jahre 16Z6 durften sie zurückkehren, und wurde ihnen freier Gottesdienst gewährt. Wir sehen überall, wo der Protestantismus Macht gewann, auf lutherischem wie reformirten Gebiet, hat er einen rechtlichen Zusammenhang mit dem Staat gesucht und theokratische Tendenzen gezeigt. Sogar der Protestantismus, der, solange er unterdrückt war, für die Glaubensfreiheit eintrat, verlor die Sym¬ pathie für diese, sobald er zur Herrschaft gelangt war. Die dem Druck Eng¬ land's entfliehenden Puritaner gründeten in Amerika Staatskirchen.""') Nur kleine Flüchtlingsgemeinden in Deutschland haben eine dem Staat gegenüber mehr oder weniger freie Stellung sich errungen und bewahrt. Ziehen wir schließlich die Kirche der drei ersten Jahrhunderte in Betracht, so ist es ja gewiß richtig, daß dieselbe durch Tiefe des Glaubens und Reinheit des Wandels sich auszeichnete und nur durch diese Eigenschaften auf rein innerlichem Wege eine so große Anziehungskraft anf die heidnische Welt ausgeübt hat, aber wir werden auch eingestehen müssen, daß sie mit dem sie bekämpfenden Staat in keine innere Beziehung treten konnte. Von dem Augenblick an aber, wo dies ihr möglich war, ist sie sich auch dessen bewußt geworden, daß sie mit dem Staat eine erziehende Aufgabe am Volksleben auszuüben habe, und hat Pri¬ vilegien nicht verschmäht, die ihr dies Werk erleichterten. Doch kehren wir zu den protestantischen Kirchen zurück. Es war in der zweiten Hälfte des siebzehnten und im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts, daß das Verhältniß zwischen Staat und Kirche eine neue Wendung nahm. Die Nothwendigkeit, mehrere kirchliche Denominationen in sich aufzunehmen mit größeren oder geringeren politischen Rechten, wurde die Ursache, daß der Staat eine Stellung über den einzelnen kirchlichen Parteien einnahm. Das Bewußtsein, schlechthin ans eigenen Füßen zu stehen, verleitete ihn freilich, territorialistisch die Selbständigkeit der Kirche zu mißachten und ihre Angelegen¬ heiten nach seinem Ermessen zu reguliren. Wie er in seiner Ausgestaltung zum Beamtenstaat nivellirend die geschichtlich gebildeten Besonderheiten in seinen *) Vgl. H, Weingarten. Die Revolutionskirchen England's. Ein Beitrag zur inneren Geschichte der englischen Kirche und der Reformation. Leipzig, 1863. Bgl, Thompson. Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin, 1873. Dazu des Res. Beurtheilung in den Grenzboten, 1873, S. 441 n, sf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/468>, abgerufen am 05.02.2025.