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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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sein und ließ dann eine starke Truppe die Eskorte übernehmen. Am selben
Tage hatte er mit dem Major Pottinger eine Unterredung, und da ihm der¬
selbe versicherte, daß die Engländer ohne Zweifel auf Nimmerwiederkommen
aus Afghanistan abgezogen wären, wenn seitens der Afghanen der Vertrag
gewissenhaft zur Ausführung gekommen wäre, rief er aus: "Glauben Sie
das wirklich? Dann habe ich allerdings sehr thöricht gehandelt." Ueberhaupt
verrieth von du an Akbar's Wesen Unentschlossenheit und wachsende Besorgniß,
namentlich seitdem der Lauf der Ereignisse eine von ihm wenig erwartete
Wendung genommen hatte. Zunächst waren die gegen Jellalabad abgeschickten
Truppen zurückgeschlagen worden und hatten die Belagerung aufgehoben, und
die nächste Folge war, daß die wilden Stämme, die bis dahin nur und allein
durch den Erfolg und die Aussicht auf Beute hatten im Zaume gehalten werden
können, rebellisch wurden und zu desertiren anfingen. Doch suchte er seine
Unruhe den englischen Offizieren gegenüber möglichst zu verbergen, was ihm
jedoch um so weniger gelang, als er sie häufig über allerlei strategische Ver¬
hältnisse auszufragen versuchte und dabei jedesmal seine wachsende Besorgniß
durchblicken ließ. Bei einer dieser Gelegenheiten gestand er, daß ihm von
Jugend auf die irrigsten Vorstellungen über die Herren von Indien beigebracht
worden seien, und daß er nun wohl einsehen gelernt, daß er ihnen schweres
Unrecht gethan habe.

Inzwischen war seit der Ermordung des Schah Soudja in Cabul ein
wüthender Thronstreit zwischen zwei Parteien ausgebrochen, und der Sirdar
sah sich also gezwungen, mit den unter seinem Befehl stehenden Streitkräften
dorthin abzuziehen. Er schlug sogar dem Lieutenant Eyre vor, in seine Dienste
zu treten und ihm behilflich zu sein, Cabul zu erstürmen, worauf derselbe
natürlich nicht eingehen konnte. Uebrigens verrieth der fortwährende Kanonen¬
donner, als man sich der Stadt näherte, wie es in Cabul aussehen mochte.
Mohamed Akbar schlug ein Lager auf und trat dann mit .den in der Stadt
kämpfenden Parteien in Verbindung. Jedem der Hauptführer wurde ein Theil
der Zitadelle und ein Antheil an der Herrschaft eingeräumt, aber dadurch selbst¬
verständlich nur die Saat zu neuen Zerwürfnissen ausgestreut. Akbar's Be¬
streben war von nun an offenbar darauf gerichtet, sich durch alle Mittel des
Beistandes der Engländer zu versichern. Der General Pollock, welcher mit
der Hilfsarmee im Anzüge war, hatte sich erboten, die in seiner Gewalt be¬
findliche Familie des Sirdars ihm zurückzuschicken, aber Akbar mußte im Hin¬
blick auf die kritische Lage, in der er sich jetzt selbst befand und die ihn
nöthigte, beständig hin- und herzuziehen, auf diese Gunst verzichten. Er würde,
wie er bei dieser Gelegenheit zu verstehen gab, auch gern die englischen Ge-


sein und ließ dann eine starke Truppe die Eskorte übernehmen. Am selben
Tage hatte er mit dem Major Pottinger eine Unterredung, und da ihm der¬
selbe versicherte, daß die Engländer ohne Zweifel auf Nimmerwiederkommen
aus Afghanistan abgezogen wären, wenn seitens der Afghanen der Vertrag
gewissenhaft zur Ausführung gekommen wäre, rief er aus: „Glauben Sie
das wirklich? Dann habe ich allerdings sehr thöricht gehandelt." Ueberhaupt
verrieth von du an Akbar's Wesen Unentschlossenheit und wachsende Besorgniß,
namentlich seitdem der Lauf der Ereignisse eine von ihm wenig erwartete
Wendung genommen hatte. Zunächst waren die gegen Jellalabad abgeschickten
Truppen zurückgeschlagen worden und hatten die Belagerung aufgehoben, und
die nächste Folge war, daß die wilden Stämme, die bis dahin nur und allein
durch den Erfolg und die Aussicht auf Beute hatten im Zaume gehalten werden
können, rebellisch wurden und zu desertiren anfingen. Doch suchte er seine
Unruhe den englischen Offizieren gegenüber möglichst zu verbergen, was ihm
jedoch um so weniger gelang, als er sie häufig über allerlei strategische Ver¬
hältnisse auszufragen versuchte und dabei jedesmal seine wachsende Besorgniß
durchblicken ließ. Bei einer dieser Gelegenheiten gestand er, daß ihm von
Jugend auf die irrigsten Vorstellungen über die Herren von Indien beigebracht
worden seien, und daß er nun wohl einsehen gelernt, daß er ihnen schweres
Unrecht gethan habe.

Inzwischen war seit der Ermordung des Schah Soudja in Cabul ein
wüthender Thronstreit zwischen zwei Parteien ausgebrochen, und der Sirdar
sah sich also gezwungen, mit den unter seinem Befehl stehenden Streitkräften
dorthin abzuziehen. Er schlug sogar dem Lieutenant Eyre vor, in seine Dienste
zu treten und ihm behilflich zu sein, Cabul zu erstürmen, worauf derselbe
natürlich nicht eingehen konnte. Uebrigens verrieth der fortwährende Kanonen¬
donner, als man sich der Stadt näherte, wie es in Cabul aussehen mochte.
Mohamed Akbar schlug ein Lager auf und trat dann mit .den in der Stadt
kämpfenden Parteien in Verbindung. Jedem der Hauptführer wurde ein Theil
der Zitadelle und ein Antheil an der Herrschaft eingeräumt, aber dadurch selbst¬
verständlich nur die Saat zu neuen Zerwürfnissen ausgestreut. Akbar's Be¬
streben war von nun an offenbar darauf gerichtet, sich durch alle Mittel des
Beistandes der Engländer zu versichern. Der General Pollock, welcher mit
der Hilfsarmee im Anzüge war, hatte sich erboten, die in seiner Gewalt be¬
findliche Familie des Sirdars ihm zurückzuschicken, aber Akbar mußte im Hin¬
blick auf die kritische Lage, in der er sich jetzt selbst befand und die ihn
nöthigte, beständig hin- und herzuziehen, auf diese Gunst verzichten. Er würde,
wie er bei dieser Gelegenheit zu verstehen gab, auch gern die englischen Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/426>, abgerufen am 05.02.2025.